Andreas Brandhorst – Das Artefakt (Buch)

Andreas Brandhorst - Das Artefakt (Buch)Allmächtige Muster und die Landschaft der Globalisierung

Letztes Jahr gab es im Bereich der deutschsprachigen Science Fiction-Romane richtig gute Bücher zu lesen. Dietmar Dath glänzte mit seiner intellektuell-experimentierwütigen “Pulsarnacht” und gewann den Kurd-Laßwitz-Preis. Georg Klein wird für seinen absolut empfehlenswerten Roman “Die Zukunft des Mars” dieses Jahr hoffentlich für eben diesen oder den Deutschen Science Fiction-Preis nominiert. Den hat 2013 noch Andreas Brandhorst für seine Space Opera “Das Artefakt” erhalten. Zu Recht: Denn wo Dath mit einer abgedrehten Ästhetik bei dem ein oder anderen Leser aneckt, und wo Klein ohne großes Technologieorakel und Weltraumschlachten dem Vollblut-Genre-Fan zu dezent daherkommt, harmoniert Brandhorsts Roman im großen Entwurf und im Detail. Wenig amerikanisch und dennoch bei weitem nicht so sperrig-verkopft wie bei manch deutschem Science Fiction-Autor, erschafft “Das Artefakt” einen komplexen wie futuristischen Kosmos und eine großartige Story, vollbepackt mit gelungenen literarischen Motiven und bis zum Jochbein angefüllt mit Technologien und Raumschiffen. Alles also, was des Rezensenten Herz begehrt.

Das Setting beginnt sechshundert Jahre vor der eigentlichen Geschichte mit einer kosmischen Katastrophe, die offenbar von der damals technologisch weit entwickelten Menschheit ausgelöst wurde. Lediglich dreizehn der einst zweihundert von den Menschen besiedelten Planeten bleiben verschont. Auf diesen unversehrten Welten herrschen quasi-paradiesische Zustande. Durch Alientechnologie, die sogenannten Schmieden, die aus einer Basismasse (fast) alles herstellen können, ist man dort frei von Hunger, Not, Leid und Arbeit. Die übrigen Menschen-Welten, die die Katastrophe überstanden hatten, zeigen dagegen ein bekannteres Bild. Dort geht es irdisch zu. Diktatorische, wirtschaftliche oder despotische Machtstrukturen bestimmen die im Gegensatz zu den dreizehn hochtechnologisierten Planeten unterentwickelten Lebenswelten der hart arbeitenden Menschen. Kriegsgebärden, Waffen- und Technologieschmuggel, territoriale Scharmützel und Ränkespiele durchziehe die politischen Lager. Brandhorst entwickelt mit dieser Situation jedoch keine schnarchnasige Allegorie auf die geopolitische Lage der Erde zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Vielmehr wird das Setting so intelligent be- und hinterfragt, dass Macht und Geschichte besser vermessen werden, als in einer Anti-Globalisierungsdokumentation.

Die hochentwickelten Menschenwelten stehen im engen Kontakt zu mehreren Alienvölkern, den ‘Hohen Mächten’. Sie haben Zugang zur ‘Kosmischen Enzyklopädie’, einer als Musik chiffrierten Sammlung des gesamten kosmischen Wissens. Nach der Katastrophe sollte sich die Menschheit sechshundert Jahre bewähren und ihre Reife unter Beweis stellen, um Zugang zu diesem Wissen zu erhalten. Es sollte Frieden herrschen. Um dieses Ziel in jedem Fall zu erreichen, wurde von den dreizehn Planeten die Ägide gegründet und von den Hohen Mächten abgesegnet. Die Organisation ist wie ein Polizeidienst aufgebaut, ihre Agenten sind mit Sondervollmachten auf allen Welten der Menschheit ausgestattet und zudem im Besitz von Technologien der Hohen Mächte, um ihre Prinzipien des Friedens wirkungsvoll zu vertreten. Die Ägide ist es, die den gefallenen Welten der Menschen höhere Technik verbietet und vorenthält, so wie die Hohen Mächte der Ägide ihr Wissen. Alles nur, um den Frieden zu wahren.

In dieses sich wiederholende Muster gibt Brandhorst das geheimnisvolle Artefakt und seinen Protagonisten Rahil Tenerit. Die Menschheit muss noch ein paar Monate in Frieden leben, um Zugang zum kosmischen Wissen zu erhalten. Doch auf Heraklon, dem Planet des Friedens und der Diplomatie, ist ein seltsames, riesiges Artefakt aufgetaucht, das Begehrlichkeiten auf allen Welten weckt. Rahil ist ein Agent der Ägide und erblickt gerade im Uterus einer beschädigten Weltraumstation wieder das Licht der Welt. Sein eilig geklonter Körper ist unversehrt, seine Gedanken und Sinne sind beschleunigt und erweitert durch Femtomaschinen der Hohen Mächte, doch das Image seiner Erinnerungen ist unvollständig. Er weiß, dass er auf Heraklon gestorben ist, als er das Artefakt untersuchen wollte. Das war vor einem Jahr.

Im Folgenden lässt Brandhorst seinen Protagonisten die Ermittlungen aufnehmen. In einer für einen Roman nahezu perfekten Mischung aus Reflektionen und Aktionen, aus purem FullHD-Kopfkino mit Bildern wie Physikpoesie vorgetragen in hollywoodreifen Kulissen aus Sternbasen, Raumschiffen, Planetenregionen, Landschaften, sogar Eisenbahnen, folgt man Rahil auf der Suche nach seinen Erinnerungen. Gleichzeitig nimmt man Teil an seinen ‘beschleunigten Gedankengängen’, an den Fragen die er sich stellt und an den Überzeugungen, die in ihm heranreifen. Der Ägiden-Agent ist das Kind zweier Welten. Er kennt das mühselige Leben der Menschen auf den gefallenen Welten, weil er dort geboren wurde. Er kennt aber auch die machthungrigen Despoten, wie seinen Vater, die mit einem Bruchteil der Technologie der Hohen Mächte noch mehr Leid verursachen würden.

Die Wiederholung als Prinzip, das Muster im Muster, Lüge und Wahrheit als die mächtigsten Technologien, das sind Landschaften der Globalisierung die Brandhorst mit diesem gelungenen Stück Science Fiction-Literatur ausloten will. Dabei hat er einen wunderbar komplexen Kosmos erschaffen, in dem jedes Detail, beispielsweise die Femtomaschinen oder die Idee räumlicher Fraktale als Transportwege, nicht nur auf funktionaler Ebene mit dem Plot verbunden sind. Das ist hohe Erzählkunst. Das wirkt wie aus einem Gedanken gegossen. Das ist absolut empfehlenswert.

 Cover © Heyne Verlag

  • Autor: Andreas Brandhorst
  • Titel: Das Artefakt
  • Verlag: Heyne
  • Erschienen: 01/2012
  • Einband: Paperback, Broschur
  • Seiten: 656
  • ISBN: 978-3-453-52865-9
  • Sonstige Informationen:
    Erwerbsmöglichkeit

Wertung: 14/15 dpt

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2 Kommentare
  1. Ich habe das Hörbuch nach einem Drittel abgebrochen. Irgendwie habe ich nie in die Geschichte hineingefunden. Ein Lektor, der unnötige Längen herauskürzt, hätte dem Buch sicher gut getan. Es mangelt auch nicht an Action, aber selbst die ist langweilig geschrieben.

  2. Kann der Rezension nicht zustimmen. Komplexität ist kein Zeichen für Qualität. Die Story ist vorhersehbar, langweilig und wird durch Rückblenden, Nebensächlichkeiten und Nebenschauplätze unendlich gestreckt. Zum Gähnen lahm.

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