Noch immer ist ungewiss, ob, und wenn, wann es mit “Torchwood” weiter geht – nachdem bei seinem Lebenspartner Andrew Smith 2011 ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, zogen beide gemeinsam wieder nach Großbritannien, und Serienvater Russell T. Davies legte seine Aktivitäten für das Hollywood-Serienbusiness erst einmal ad acta, um sich um Smith zu kümmern (siehe Artikel in der “Daily Mail”). Mittlerweile hat er auf der Insel die kreative Arbeit wieder aufgenommen, doch “Torchwood” ist erst mal kein Thema mehr. Davies betont allerdings, dass die Serie nicht abgesetzt sei, sondern nur eine längere Pause einlege. Das lässt die Fans hoffen, und sowohl Captain-Jack-Harkness-Darsteller John Barrowman als auch Gwen-Cooper-Mimin Eve Myles meinten sinngemäß, Davies müsse nur mit dem Finger schnippen und sie seien sofort wieder dabei. Doch bis dato stellt die vierte Staffel mit dem Untertitel “Miracle Day” erst einmal die letzte Staffel dar. Selbige ist im Gegensatz zu den drei rein britischen BBC-Produktionen eine gemeinsame Produktion mit dem US-Kabelsender Starz, und nicht nur hinsichtlich Crew, Cast und Einsatzort ist diese zehnteilige Staffel, die wie schon “Kinder der Erde” einmal mehr eine durchgängige Handlung hat, um einiges “amerikanischer” ausgefallen, sondern auch in seiner ganzen Machart.
Nachdem das Torchwood-Team zum Ende der dritten Staffel “Kinder der Erde” die “456”, eine gierige Alien-Spezies, die zehn Prozent der Erdenkinder für krankerweise völlig unsinnige Zwecke holen wollte, in Schach halten konnte, wurde es erst mal wieder halbwegs ruhig für das auf zwei Mitglieder dezimierte Cardiffer Torchwood-Team. Gwen und ihr (mittlerweile) Ehemann erfreuen sich an einem abgelegenen walisischen Ort ihres Ehelebens und ihres gemeinsamen Kindes, und Jacks Mission im Hier und Jetzt war erfüllt. Ohnehin musste er den Tod Ianto Jones’ erst einmal verkraften – die “456” hatten ein Virus freigesetzt, das Ianto das Leben kostete. Grund genug, erst ein mal irgendwohin und möglicherweise auch in eine andere Zeit zu reisen, um den Kopf frei zu bekommen.
Niemand ahnt, dass die nächste Katastrophe unmittelbar bevorsteht.
In den USA wurde dem Kindsmörder Oswald Danes (Bill Pullman) die Todesstrafe verhängt, und die Hinrichtung steht unmittelbar bevor. Bei der Durchführung selbiger geschieht das Unfassbare: Danes überlebt die Exekution. Das Entsetzen und Erstaunen Amerikas schwappt bald über den gesamten Erdball. Das Erstaunen, dass er nicht stirbt. Das Entsetzen darüber, dass er wegen der misslungenen Hinrichtung freigelassen wird. Doch dieses Phänomen der Unsterblichkeit greift viel weiter, denn seit diesem Tag, der “Miracle Day” genannt wird, hört die gesamte Menschheit auf zu sterben. Selbst schwerste Verletzungen, Schüsse, Herzinfarkte und die völlige Zerfetzung und Zerstümmelung führen nicht mehr zum Tod. Doch eines wird den Menschen nicht genommen: Die Schmerzen, die sie bei ihren Unglücken erleiden. Das bekommt auch der CIA-Agent Rex Matheson (Mekhi Phifer) zu spüren, der bei einem Verkehrsunfall von einer Eisenstange aufgespießt wird. Was eigentlich hätte tödlich enden müssen, resultiert bei ihm lediglich in einem Krankenhausaufenthalt, gegen den er sich massiv sträubt – ihn zieht es zur Arbeit, zumal ihn dieses Mysterium nicht loslässt. Die Schmerzen werden mit dosenweise Pillen betäubt.
Die Folgen, wenn kein Mensch mehr jemals stirbt, sind für die Erde fatal. Die Bevölkerung wird explosionsartig wachsen, Ressourcenmangel ist vorprogrammiert, und es ist abzusehen, dass auch aus epidemologischer Sicht das Unheil nicht mehr weit ist. Die medizinische Versorgung für all die kranken und verletzten Menschen muss gewährleistet sein. Die Menschheit gerät an ihre Grenzen – so auch die Regierung. Ein mächtiger Pharmakonzern soll für das menschliche Wohl oder zumindest Besserung sorgen, während die Regierung später zu drastischeren Methoden zur Lösung des Problems zu greifen gedenkt, speziell, was die hoffnungslosen Fälle betrifft.
Als eine anonyme E-Mail, die nur das Wort “Torchwood” beinhaltet, die CIA-Zentrale erreicht, herrscht Verwunderung. Die beiden Agenten Esther Drummond (Alexa Havins) und der noch immer beachtlich verletzte Rex Matheson folgen dieser vagen Spur. Diese führt die beiden letztendlich zu Gwen Cooper, deren Aufenthaltsort in Wales wohl doch nicht so geheim zu sein schien – und kurz darauf lässt sich auch Jack Harkness wieder in der Jetztzeit blicken. Die beiden werden als Verdächtige in die USA geholt, denn zuerst wird vermutet, dass eben jene Geheimorganisation Torchwood hinter dem Ganzen steckt, da diese mehr als alle anderen wisse. Es stellt sich allerdings bald heraus, dass Matheson und Drummond mit Harkness und Cooper gemeinsam gegen das grausame Mysterium der Unsterblichkeit angehen müssen – und hierfür ist reichlich Überzeugungsarbeit und Eigeninitiative gefragt.
Bei all den katastrophalen Zuständen wird deutlich, dass das schlimmste, was dazu in der Lage sein kann, die Menschheit zu bedrohen, die Menschheit selbst ist. Ebenso wird aufgezeigt, wie sehr Ausnahmezustände dafür sorgen können, dass sich die Denkweise vieler Menschen innerhalb kürzester Zeit um einhundertachtzig Grad drehen kann, wie sich an dem fragwürdigen Fall von Oswald Danes, der als erster offizieller Unsterblicher gilt, äußert. Denn der avanciert unfreiwillig zum Medienstar. Und wie bereits in “Kinder der Erde” stellt sich auch hier die Frage: Wo sind die moralischen und ethischen Grenzen – und darf man sie in einer globalen Extremsituation wie dieser überschreiten?
Wenngleich – so viel sei vorweg genommen – “Miracle Day” nicht an das Fünf-Stunden-Epos “Kinder der Erde” heranreicht, ist diese vierte Staffel, deren Episodenlänge wieder auf ca. 45-50 Minuten heruntergeschraubt wurde, über alle Zweifel erhaben. Man merkt, dass Russell T. Davies und seine kreativen Mitstreiter um eine Weiterentwicklung bemüht sind. Ähnlich wie in “Kinder der Erde” gibt es auch dieses Mal wieder eine durchgehende Handlung, sodass man auch dieses Mal beinahe von einem gigantisch langen Film sprechen kann. Denn in den 500 Minuten respektive weit über acht Stunden endet keine Episode in sich geschlossen. Alles löst sich wirklich erst zum Schluss der finalen Episode auf.
Zwar ist es irgendwie schade, dass gerade Ianto Jones (Gareth David-Lloyd) und Owen Harper (Burn Gorman) nicht mehr Teil der Serie sind, doch sowohl Jack Harkness (John Barrowman) als auch Gwen Cooper (Eve Myles) machen vieles wieder wett, und auch die höhere Präsenz von Rhys Williams (Kai Owen) tut der Serie gut – nie war seine Bauernschläue so hilfreich. Und mit dem CIA-Agentenduo Matheson und Drummond hat man zwei charismatische, von ihren Darstellern brillant gespielte Figuren gefunden, die das “Team” mehr als passabel ergänzen. Gerade Matheson, der durch seine herrlich überheblich-respektlose Art zum “sympathischen Arschloch” mutiert, bringt einigen Schwung in die Serie. Und außerhalb des Teams muss besonders Bill Pullman großes Lob ausgesprochen werden, denn es ist nicht einfach, ein solches menschliches Ekel derart glaubwürdig zu spielen, dass man als Zuschauer am liebsten durch den Bildschirm springen und diesen Widerling eigenhändig beseitigen möchte – und somit zumindest gedanklich an seine eigenen moralischen Grenzen gebracht wird.
Inhaltlich werden nach wie vor Tabus gebrochen. Könnte man befürchten, dass durch die Coproduktion mit den US-amerikanischen Kooperationspartnern die Prüderie Einzug in “Torchwood” gehalten hätte – oder gar homophobe Wellen auch diese Serie erreicht hätten -, wird man schnell eines besseren belehrt. Immer noch wird viel Mut und die Treue zu sich selbst bewiesen, und der Fan bekommt genau das, was er an der Serie schätzt. Und hinsichtlich der Effekte hat man noch mal einiges draufgelegt. Zwar werden diese sparsamer als beispielsweise in den ersten beiden Staffeln eingesetzt, dafür sind sie umso effizienter – und vor allem noch realistischer.
Die Qualität, die sowohl darstellerisch als auch technisch, sowohl emotional als auch intellektuell dargeboten wird, liegt definitiv auf Hollywood-Niveau – und übertrifft so manchen Kino-Megaseller ohne Mühe. Sicherlich ist die Atmosphäre dieser Staffel nicht mehr ganz so “britisch”, was gerade den Puristen unter den Puristen missfallen könnte, doch andererseits zeigt sich so, dass “Torchwood” nie eine Serie war, die auf der Stelle trat. Und nachdem Ben Foster den Soundtrack zur vorhergehenden Staffel im Gegensatz zu den ersten beiden ohne Murray Gold komponiert hat, verhält es sich in “Miracle Day” genau umgekehrt. Doch anstatt alleine zu komponieren, hat Gold sich den Co-Komponisten Stu Kennedy ins Boot geholt. Und was er gemeinsam mit ihm geschrieben hat, ist noch einmal deutlich dunkler als das, was bisher als musikalische Untermalung für “Torchwood” diente.
Im Gesamtbild erweist sich die vierte Staffel demnach als mehr als solide. Sie ist den ersten beiden Staffeln mindestens ebenbürtig, hatte allerdings mit der dritten Season “Kinder der Erde” einen Vorgänger, bei dem es abzusehen war, dass dieser nicht so schnell zu toppen sein wird. Wenn Torchwood in Zukunft im Falle einer Weiterführung dieses Level hält, braucht man sich um diese Serie wohl keine Sorgen zu machen.
Übrigens: Ohne, dass zu viel verraten wird, muss gesagt werden, dass man sich für das Staffelfinale ein richtig cooles Ende ausgedacht hat, das so ziemlich alles offen lässt, ohne dass es enttäuscht oder verärgert. Es kann alles passieren. Typisch “Torchwood” sozusagen…
Cover & Szenenfotos © BBC/Starz/polyband
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