Zwei Filme, gleiches Thema, zweierlei Eindrücke.
“Der Junge im gestreiften Pyjama“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von John Boyne, erzählt die Geschichte des achtjährigen Bruno, der Sohn eines Offiziers aus dem Dritten Reich ist. Der wird mitsamt Familie aufs Land versetzt, wo er als Aufseher für ein “Arbeitslager” abkommandiert wird – selbstredend ein Konzentrationslager, in welchem Juden gefangengehalten, ausgebeutet und dann auf hinlänglich bekannte Weise getötet werden.
Bruno hatte in seiner alten Heimat stets seine Freunde um sich, und mit seinen Jungs hat er sich bis zur Erschöpfung ausgetobt – doch dieser Zustand war einmal. Er langweilt sich, so isoliert von all den anderen. Keine Kinder weit und breit. Die Einsamkeit verleitet ihn schließlich dazu, die Umgebung ein wenig zu erkunden. Er springt durch den Wald, freut sich über das Bisschen Freiheit – und findet sich am Stacheldrahtzaun des Arbeitslagers wieder. Auf der anderen Seite sitzt der traurige Shmuel in seinem für die damaligen KZs üblichen “gestreiften Pyjama”. Auch wenn sich die beiden eigentlich nicht sehen dürften, besucht Bruno Shmuel immer wieder heimlich – und eine große Freundschaft entsteht… eine Freundschaft in stets präsenter Gefahr.
Trotz einiger Abweichungen bleibt die Geschichte einigermaßen nah an ihrer literarischen Vorlage, doch dass der Film nicht so ganz den Gänsehautfaktor des Buches in sich trägt, liegt vor allem an der zuweilen zu “sauberen”, hollywood-artigen Produktion, die auch in schauspielerischer Hinsicht – so widersprüchlich sich das nun lesen mag – mehr wie ein englischer Retrofilm als wie ein in Deutschland spielendes Nazizeit-Dramas wirkt.
Doch den Darstellern kann man nichts Schlechtes nachsagen, denn deren Ausdruckskraft und Glaubwürdigkeit ist definitiv an der Spitze der Skala anzusiedeln. Vera Farmiga und David Thewlis als Brunos Eltern spielen ihre Rollen schlichtweg vorzüglich, und auch Rupert Friend als SS-Obersturmführer Kotler mimt den gnadenlosen Oberkotzbrocken in einer überzeugenden Echtheit. Doch der größte Respekt gebührt den beiden Kindern, nämlich Jack Scanlon in der Rolle des Shmuel sowie Asa Butterfield als naiver Junge Bruno.
Allerdings ist diese Stärke ein Stückweit auch die Schwäche des Films, denn wenngleich der Kleine natürlich – im Buch in der dritten Person aus dessen Sicht, mit den Augen und mit der Naivität eines Kindes erzählend – exzellent agiert und die blauen, stets Neugier, Verwunderung und Entsetzen, Enttäuschung, Traurigkeit, Angst und Ungewissheit, vor allem aber den Wunsch nach Freundschaft und nach einem Platz für ihn in seiner Umgebung signalisieren und den Zuschauer verzaubern, bleibt leider vieles auf der Strecke.
Denn dem Film wohnt durch diese häufigen Frontalaufnahmen Brunos eine gewisse unangenehme Plakativität inne, die eher die komplette Familiengeschichte auf Augenhöhe der Erwachsenen nacherzählt anstatt aus der Perspektive – oder besser: Augenhöhe – des Kindes erzählt wird. Somit ist man als Zuschauer auf die Blicke des Jungen angewiesen, anstatt aus seiner Sicht die Eindrücke, die aufkommenden Fragen und die Gedankengänge mitverfolgen zu können.
Zum anderen entsteht häufig der Eindruck, dass man die Verfilmung in eine 90-Minuten-Schablone zu pressen versucht hat, denn gerade zum Ende des Films wirkt vieles überhastet und auf das “grande finale” hingearbeitet, sodass ein unangenehmer Popcornkinofaktor entsteht – dieser wird durch die oftmals pathetische musikalische Untermalung noch ein ganzes Stückweit verstärkt, sodass der Film – an sich ein solides Werk – der geschriebenen Vorlage doch meterweit hinterherhinkt.
Cover & Szenenfotos © Arthaus/STUDIOCANAL
- Titel: Der Junge im gestreiften Pyjama
- Originaltitel: The Boy in the Striped Pyjamas
- Produktionsland und -jahr: USA/GB 2008
- Genre:
Drama, Kriegsfilm - Spielzeit: 91 Minuten
- Darsteller:
Asa Butterfield
Jack Scanlon
Vera Farmiga
David Thewlis
Rupert Friend
uvm. - Regie: Mark Herman
- Extras:
Audiokommentar von Regisseur Mark Herman
und Autor John Boyne
Featurette “Freundschaft, die Zäune überwindet”
Zusätzliche Szenen - Technische Details (DVD)
Bild: 1,85:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DD)
Untertitel: Deutsch, Englisch - Technische Details (Blu-Ray)
siehe Produktlink - FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktlinks zur Double Up-Collection:
→DVD →Blu-Ray
Wertung: 9/15 dpt
“Das Leben ist schön” hingegen fällt – möglicherweise liegt es auch am elf Jahre früheren Veröffentlichungsdatum – im positiven Sinn deutlich “dreckiger” produziert aus. Im positiven Sinn deshalb, weil dies in Verbindung mit der gesamten Kulisse, den Outfits und hinsichtlich Atmosphäre eine beeindruckende Unverfälschtheit in sich birgt – man schmeckt den Regen, riecht das verbrennende Fleisch, spürt das Kribbeln in der Nase anhand der staubigen Sommerhitze. Doch von vorn.
1939. Der lebenslustige jüdische Italiener Guido (Roberto Bengini) lebt in der Toskana und zeigt sich stets von seiner temperamentvollen Seite, hat Unmengen von Unsinn im Kopf, und selbst in kritischen Situationen weiß er mit Humor, der einfach so aus ihm heraussprudelt, jede Situation zu retten – selbst, wenn er sich dabei völlig zum Affen macht. Seine Unbeschwertheit treibt so manchen auf die Palme, doch die meisten lassen sich von seinem Charme wieder fröhlich stimmen. Auch in politisch und religiös empfindlichen Lagen gelingt es ihm, mit Ironie, Zynismus, Sarkasmus, massenweise Schabernack und Wortwitz ein klein wenig Überzeugungsarbeit zu leisten, doch das bringt ihn gleichermaßen in Teufels Küche. Ist ihm letztendlich jedoch gleichgültig – er lässt sich sein positives Lebensgefühl nicht verleiden. Er und das Leben um ihn herum ist bunt und grell, denn: Das Leben ist schön.
Die Lehrerin Dora ist zu dieser Zeit noch unter der Fuchtel eines Mannes, der vor Selbstherrlichkeit nur so trieft – doch ihr Umfeld wünscht ihr jenen stattlichen Kerl, denn er ist ja schließlich ein Bild von einem Mann. Was soll sie da schon mit diesem zappeligen, frechen Hallodri? Doch dem schmächtigen, kleinen Guido gelingt es mit seiner dreist-liebenswerten, kreativen und kavalierhaften Form des Hofmachens schließlich, ihr Herz zu gewinnen und die beiden werden nach zahlreichen “zufällig”-lustigen Begegnungen ein Paar, schließlich ein Ehepaar, und gekrönt wird das Glück vom gemeinsamen Sohn Giosué. Der kleine Knirps erlebt liebevolle Jahre mit seinen ungleichen Eltern, und Guido versucht, ganz dessen gewahr, was sich bald Grausames anbahnen wird, sein Familienglück zu schützen und dem Jungen immer wieder klar zu machen: Das Leben ist schön.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Film eine schrille, hektische wie leichtfüßige, vor Positivität schier platzende Komödie, die gelegentlich heftigste Over-the-Top-Passagen aufweist – selbst als die Anfeindungen gegen Juden rapide zunehmen. Bereits hier greift der von Beschützerinstinkt geleitete Mechanismus Guidos auf Hochtouren, denn er möchte seinen Filius vor allem Negativen bewahren.
Schließlich beginnen die Nationalsozialisten mit der Deportation der Juden, und so werden auch Guido und Giosué mit dem Zug gen Konzentrationslager gebracht. Die nichtjüdische Dora, der klar wird, wohin ihr Mann und ihr Sohn nun gefahren werden, entscheidet sich, ebenfalls in den Zug zu steigen. Fortan müssen die dort eingepferchten Menschen ihrem Nutzen entsprechend Arbeiten verrichten – Schwerstarbeiten unter unmenschlichen Bedingungen. Doch selbst in dieser aussichtslosen Situation bleibt der Vater und Ehemann zumindest nach außen hin ein nie versiegen wollender Quell des Frohsinns und Einfallsreichtums. Und dieser Quell ist für Giosué der schützende Kokon – und seine unbändige Liebe zu Dora gibt ihm, einfach nur, weil sie irgendwo in der Nähe ist, ebenfalls die Kraft, durchzuhalten.
Abgesehen von der unglaublich guten schauspielerischen Leistung der Protagonisten – Nicoletta Braschi und der den Jungen Giosué darstellenden Giorgio Cantarini sowie Horst Buchholz, allen voran aber Bengini selbst in der Rolle seines Lebens – ist der fast zweistündige, temporeiche Film extrem vollgestopft mit Details und Eindrücken, dass die Kinnlade des Zuschauers gar nicht mehr hochklappen möchte. Die Verarbeitung dieser Unmengen an Bildern, Dialogen und Impressionen mag zwar durchaus anstrengen, zumal Bengini fast dauerhaft in meist hektischer Bewegung ist, doch letztendlich gehört alles so zusammen, wie es ist.
Das zeigt sich vor allem im zweiten Teil des Films, denn dann bricht die Tragödie und das Drama derart heftig über den Zuschauer herein, dass dem die Luft wegbleibt, denn die ganze Hässlichkeit des Nationalsozialismus, der ganze Wahnsinn der damaligen Zeit, der unbändige Faschismus, Rassismus und Fanatismus, die Aussichtslosigkeit und die Gewissheit, dass irgendwann “danach” die Welt nie mehr so sein wird, wie sie einmal war, trifft mit einer solchen Wucht und Präzision in die seelische Magengrube, dass das Blut – so floskelhaft es auch klingen mag – in den Adern gefriert.
Ist man anfangs möglicherweise noch genervt von Bengini als Guido, verdunstet der Speichel des auf den Bildschirm Schauenden selbst bei geschlossenem Mund, denn die aufopfernde Art und Weise, wie der Vater sein eigen Fleisch und Blut spielerisch und erzählerisch von der Grausamkeit in seinem direkten Umfeld zu isolieren versucht, lässt die Augen – gänzlich ohne Pathos – vor Rührung feucht werden, und einige spezielle Szenen, allen voran ein kreativer Liebesbeweis an seine Dora, lässt die Tränen dann endgültig fließen, beschert aber mindestens einen dicken Kloß im Hals oder einen vibrierenden Brustkorb ob der Herzlichkeit und Liebe, die durch die dicksten Rauchschwaden zu schweben vermag.
Und gerade diese emotionale Aufruhr, die dieser Film verursacht sowie diese Schönheit im Hässlichen sind es, die “Das Leben ist schön” zu einem filmischen Juwel empor hieven. Auch die Nachhaltigkeit, besonders aber dieses beeindruckende Spiel mit krassen Kontrasten sind zwei Attribute, die diesen Status untermauern. Die Authentizität des Films wird obendrein dadurch verstärkt, dass “Das Leben ist schön” lose auf den Erfahrungen von Benginis Vater, dem zwei Jahre lang im niedersächsischen KZ Bergen-Belsen Drangsal und Inhumanität widerfahren waren, basiert und somit die Grenzen zwischen Realität (Erfahrungen des Vaters) und Fiktion (die Konstruktion einer eigenständigen Geschichte, ohne sie selbst miterlebt zu haben) auf eine fast unvergleichbare Weise ineinander verfließen.
Einzigartig, unbequem, gewöhnungsbedürftig. “Das Leben ist schön” ist ein Film, der gleichermaßen Lachmuskeln stimuliert und das Herz erwärmt wie ohrfeigt und das körpereigene Fleisch von innen aufschürft. Ein Film, den man körperlich mit allen Sinnen fühlt.
Szenenfotos © Arthaus/STUDIOCANAL
- Titel: Das Leben ist schön
- Originaltitel: La Vita e Bella
- Produktionsland und -jahr: Italien, 1997
- Genre:
Drama, Kriegsfilm, Komödie, Tragödie - Spielzeit: 119 Minuten
- Darsteller:
Roberto Benigni
Nicoletta Braschi
Giustino Durano
Giorgio Cantarini
Horst Buchholz
Lidia Alfonsi
Marisa Paredes
Sergio Bustric - Regie: Roberto Bengini
- Drehbuch: Roberto Bengini, Vincenzo Cerami
- Musik: Nicola Piovani
- Extras:
Interviews mit Roberto Benigni & Nicoletta Braschi
Making of
Hinter den Kulissen
Trailer - Technische Details (DVD)
Bild: 1,85:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Italienisch (5.1 DD)
Untertitel: Deutsch - Technische Details (Blu-Ray)
siehe Produktlink - FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Produktlinks zur Double Up-Collection:
→DVD →Blu-Ray
Wertung: 14/15 dpt
Allgemeine Informationen zur Double Up-Box
- Titel:
Das Leben ist schön/Der Junge im gestreiften Pyjama
Double Up-Collection - Erschienen:
27.02.2014 (DVD)
08.05.2014 (Blu-Ray) - Label: Arthaus/STUDIOCANAL
- Spielzeit:
210 Minuten auf 2 DVDs
219 Minuten auf 2 Blu-Rays16:9, 1,85:1 - Sonstige Informationen:
Produktlinks zur Double Up-Collection:
→DVD →Blu-Ray