Bernhard Aichner – Totenfrau (Buch)


Aichner-TotenfrauBrünhilde ist tot. Gestorben mit den verhassten Eltern. Blum lebt, blüht auf. Es war eine schlechte Idee der verhassten Adoptiveltern, im offenen Meer schwimmen zu gehen, während Blum die Macht über den Bootseinstieg hat. Ein bisschen in der Sonne liegen, dösen, Sonnenbrand bekommen und über die Schrecken der Kindheit reflektieren. Eine hörige, gefühlskalte Mutter, ein strenger Vater, der sein erworbenes Geschöpf Brünhilde von klein auf zwang, ihm im Bestattungsinstitut zur Hand zu gehen. Ohne Gnade und Rücksicht auf die kindliche Entwicklung. Wenn Brünhilde Blum nicht spurte, landete sie selbst zur Strafe in einem geschlossenen Sarg. So züchtet man Hass. Einundzwanzig Jahre lang.

Bis zu dem Moment, in dem Blum die Gelegenheit zu einem Befreiungsschlag bekommt und ihn nutzt. Netter Nebeneffekt: Der Mann, der als Erstes ihren Seeweg kreuzt, ist der für’s Leben.  Ein Alptraum, der zum Märchen wird.

Bevor es zurück in den Alptraum kippt. Acht Jahre später kommt Mark, der Polizist und mittlerweile zweifache Vater, bei einem Unfall mit Fahrerflucht ums Leben. Schnell entpuppt sich der vermeintliche Unfall als Mord. Blum sucht und findet die Schuldigen, begibt sich auf einen Rachefeldzug, bei dem sich die langen, qualvollen Lehrjahre endlich auszahlen. Blum weiß genau, was sie zu tun hat, schließlich ist sie eine äußerst fähige Bestatterin.

Mit der “Totenfrau” sorgt Bernhard Aichner für Furore auf diversen Bestseller-Listen. Überzeugend waren schon seine sarkastischen Romane um den Totengräber Max Broll (der Autor fühlt sich anscheinend auf Friedhöfen wohl. Keine schlechte Grundlage für einen Krimi-Romancier), die einiges an Kritikerlob einheimsten, doch erst Blum schafft den Sprung vom Seziertisch ins Rampenlicht.

Dabei haben sich Aichners stilistische Mittel gar nicht so sehr verändert. Es gibt immer noch die kurzen, prägnanten Sätze, die gerne auf ein Prädikat verzichten, die knappen, beinahe atemlosen Dialoge, eingeleitet nur durch einen Bindestrich, statt offensiv Sprecherrollen zu vergeben. Erinnert ein wenig an Charlie Huston, der diese Art des Dialoges in seiner Hank-Thompson-Trilogie meisterlich nutzte.

Was der “Totenfrau” fehlt, ist die ironische Komponente der Broll-Reihe. Komik kommt vor, keine Bange, aber sie ist selten und von äußerst grimmiger Natur. Nur konsequent, da der Roman eine düstere Rachegeschichte erzählt. Da sind launige Kapriolen fehl am Platz.  Vor allem, da Aichner die Rache als harte Arbeit inszeniert. Blum ist kein gnadenloser Todesengel, sondern eine verletzte Seele, die aus Wut und Verzweiflung bereit ist, alles nötige zu tun, um für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Die ambivalente Blum ist natürlich ein Fall für ausführliche Diskussionen über Moral und ethisches Verhalten, doch als Charakter ist sie so schillernd wie eindeutig entwickelt. (Zu) früh schon gezwungen, den Tod als Konstante ihres Lebens anzusehen, mit ihm zu wohnen, zu arbeiten und ihn auszuhalten, gibt es für Blum und ihren kriegsgeschädigten Angestellten und späteren Komplizen Reza keine Alternative zum alttestamentarischen ‘Auge um Auge‘. Aichner ist ein so geschickter wie perfider Autor: Er überlässt dem Leser die Entscheidung Blums Verhalten gutzuheißen oder zu verteufeln. Er glorifiziert es keineswegs; doch kaum jemand wird Blum am Ende lebenslang ins Gefängnis stecken mögen.

Blum jagt die Mörder ihres Mannes, die allesamt für weiteren Missbrauch, Vergewaltigungen und Tote verantwortlich sind. Sie hat nie die Absicht ihre Kontrahenten vor Gericht zu bringen. Blum ist Richterin und Henkerin zugleich. Daraus machen sie und der Autor keinen Hehl. Faszinierend wie es gelingt, Blum trotz ihrer Schwächen und des eindeutig vorhandenen Kalküls, bis übers Finale hinaus, als positiv konnotierte Identifikationsfigur zu zeichnen. Und der Autor macht es seinen Lesern wahrlich nicht leicht, denn insbesondere die Entsorgung der Leichen ist ein rabiater, schweißtreibender Akt, bei dem das Blut spritzt und die Gedärme bloß liegen. Was bei anderen Autoren (und vielfach Autorinnen) zum Selbstzweck mutiert, ist bei Aichner Notwendigkeit: Man kann nicht über das Abschlachten von Menschen schreiben, wenn man die handwerklichen Grundlagen ausblendet. Blum ist, trotz der erzwungenen Ausbildung, Bestatterin mit Leib und Seele. Der Tod ist ihr Geschäft. Sie ist eine kompetente Handwerkerin. Effektiv.

Die Schwächen des Romans sollen nicht verschwiegen werden, fallen aber nicht allzu schwer ins Gewicht: Blum findet jeden Mittäter beinahe ohne eigenes Zutun, wenn das jeweils vorherige Opfer nicht aus dem Nähkästchen plaudert, finden sich fette Hinweise, ähnlich wie in einem Computerspiel,  am Wegesrand. Gleichzeitig lassen sich alle Personen, die Blums tödlichen Aktivitäten auf die Schliche kommen, mit wenigen, deutlichen Worten in die Flucht schlagen. Blum scheint sehr überzeugend zu sein. Aber vielleicht ist das auch ein Anzeichen wie die Realität Einzug hält ins Geschehen: Es gibt keine künstlich hochgezüchteten Konflikte, sondern Menschen werden mit Worten ausgeschaltet, weil sie Ressentiments, Begehren oder einfach Angst haben. Was auf den ersten Blick holprig aussieht, wirkt auf den zweiten ziemlich durchdacht.

Die “Totenfrau” liefert genug Stoff, um darüber nachzudenken. Etwas Besseres kann man von einem Verkaufsschlager kaum sagen.

Cover © btb Verlag/Random House

Wertung: 11/15 dpt


1 Kommentar
  1. Ich mag Aichner sowieso schon 😉 Und auf “Totenfrau” bin ich sehr gespannt! Das liest sich so, als müsste ich das Schätzchen auch unbedingt haben….

    Liebe Grüße
    Bine

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