William E. Bowman – Die Besteigung des Rum Doodle (Hörbuch, gelesen von Jürgen von der Lippe)


William E. Bowman - Die Besteigung des Rum Doodle (Hörbuch) Cover © der HörverlagEigentlich ist es ja ein Unding, dass das gute Stück erst vor gut einem Jahr überhaupt erst ins Deutsche übersetzt wurde. Denn wenngleich dieses Werk des britischen Ingenieurs und Schriftstellers William Ernest Bowman aus dem Jahr 1956 stammt, ist “Die Besteigung des Rum Doodle” wohl eines der zeitlosesten satirischen Stücke überhaupt, denn die Wirkung auf die Lachrezeptoren funktioniert auch anno 2014 vorzüglich.

“Die Besteigung des Rum Doodle” nimmt hauptsächlich die damaligen großspurig und “laut” geschriebenen Berichte zu den Erstbesteigungen der Berge Nanda Devi (von Bill Tilman) und Annapurna (Maurice Herzog) auf die Schippe, vor allem dadurch, dass  Bowman deren Schreibstil für sich instrumentalisiert.

Das Abenteuer dieser Bergbesteigung verläuft allerdings um einiges anders, denn hier lässt der Autor eine britische Truppe, die schussliger und verpeilter kaum sein könnte, den steinernen Riesen emporkraxeln: Als Sir Hugeley Havering, Leiter des “Rum Doodle-Ausschusses”, den Expeditionsleiter Binder damit beauftragt, mit einer Gruppe den Gipfel des höchsten Berges der Welt, ebenjenen (fiktiven) Rum Doodle im fernen (ebenfalls erfundenen) Yogistan, zu erklimmen, erlegt er ihm auf, hierfür ein sechsköpfiges, möglichst hochklassiges und vielseitiges Team zusammenzutrommeln. Nichts einfacher als das. Einen Arzt findet Binder in Prone, und für die Navigation gibt er sein Vertrauen an Jungle weiter. In Wissenschaftler Wish, Linguist Constant, der zwischen den Yogistanern und den abenteuerlustigen Briten dolmetschen soll, dem mit einer “dreidimensionalen kinematographischen Kamera” ausgerüsteten Shute sowie dem voller Tatendrang steckenden Burly meint Binder, fähige Leute gefunden zu haben.

Dass der Übersetzer überhaupt keinen Schimmer davon hat, was die Yogistaner da sprechen, ist demnach wenig überraschend, doch dies hat teilweise fatale Folgen – da werden statt dreitausend Trägern schon mal dreißigtausend herbeigeordert. Zuvor gelang es dem Navigator natürlich nicht, den zur Vorbesprechung angepeilten Ort ausfindig zu machen. Zu allem Überfluss ereilen den Teamarzt immer wieder neue, sonderbare Wehwechen und Gebrechen, Macher Burly ist das genaue Gegenteil seines Rufs – und weil sie allesamt so unfassbar geschickt sind, passiert es den teilweise älteren Herren regelmäßig, es sich unfreiwillig in einer Felsspalte unbequem zu machen. Und wenn man dann noch einen grauenvollen Koch zur Begleitung hat und daran zweifeln muss, dass der Navigator auch den richtigen Gipfel als Ziel anstrebt…

Gut, dass die Herren ausreichend Champagner im Gepäck mit sich führen…

Knapp fünf Stunden lang wird man Begleiter dieses chaotischen Haufens und darf den Kopf über die schrulligen Charaktere schütteln, die sich permanent missverstehen, Mist bauen und mit ihren Eigenheiten ihren Mitbestreitern auf den Wecker gehen. Doch die Geschichte, mehr oder minder als lebhafter Bericht in der ersten Person erzählt, ist nicht nur ein Dauerfeuer der unfassbar eseligen Situationen, denn hierfür sind die einzelnen Figuren viel zu profilstark und viel zu liebenswert. So dämlich oder so sonderbar der ein oder andere auch sein mag, so wächst dem Hörer ein jeder der reichlich vorhandenen Protagonisten irgendwann ans Herz.

Denn die Eigenarten verleihen der Story eine wunderbar menschelnde Komponente – und selbst wenn sich so mancher unfassbar stur und eigensinnig verhält, entsteht gelegentlich ein Grad der Drolligkeit, der dem Hörer ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Die Wärme fließt zusätzlich ins Herz, wenn man feststellen darf, dass die Herren – allesamt very british! – letztendlich doch aufeinander zählen können, denn keiner möchte den anderen hängen lassen.

In gelesener Form mag dies möglicherweise nicht so intensiv herüberkommen, doch was Sprecher Jürgen von der Lippe, der wohl nicht näher vorgestellt werden muss, hier leistet, darf getrost zur Spitzenklasse gezählt werden, denn er verleiht den Figuren allesamt ihre individuellen, unverkennbaren akustischen Gesichter, sodass man sich die Antihelden und ihre Helfer bestens im Kopfkino ausmalen kann. Dabei liest von der Lippe bewusst ein Stück weit überzeichnet, eben wie es eine Satire in dieser Form verlangt – und findet einen guten Mittelweg zwischen Warmherzigkeit auf der einen und Biss auf der anderen Seite. Ein Spagat, der in der Satire nur durch viel Feinsinn und Können ausgeübt werden kann.

Selbstverständlich sollte man eine Vorliebe für typisch britischen und zuweilen sehr schwarzen Humor mitbringen, und so mancher Ulk mag fast sechzig Jahre nach originaler Ersterscheinung des Buches etwas out-of-date sein und die eingangs erwähnte These der Zeitlosigkeit ad absurdum führen, doch das kann man wohl am wenigsten dem 1911 geborenen und 1985 verstorbenen Schriftsteller anlasten, sondern eher dem Wandel der Zeit. Ist man jedoch offen für diese Art des Humors und ist dazu in der Lage, sich gefühlsmäßig in die damalige Zeit hineinzuversetzen, funktioniert das Gesamte vorzüglich.

Cover © der Hörverlag

Wertung: 12/15 dpt


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