Norman Babcock ist alles andere als normal. Er steht auf Grusel- und Horrorfilme, und dieser kleine Spleen überträgt sich auch auf seine Gebrauchsgegenstände. Zombie-Wecker, Gruselzahnbürste und Zombie-Pantoffeln sind da noch die eher gewöhnlichen Dinge in Normans Kosmos. Doch er verfügt zudem über die besondere Fähigkeit, die Toten zu sehen und mit ihnen zu sprechen. So führt er beispielsweise jeden Tag mit dem Geist seiner Großmutter Gespräche und sieht mir ihr fern.trifft auf dem Schulweg längst Verstorbene wieder, grüßt sie, hält Smalltalk – Passanten schütteln den Kopf über diesen sonderbaren Jungen, seine Eltern und die große Schwester sind schwer genervt von seinen “Spinnereien”. In der Schule gilt er obendrein bei neunundneunzig Prozent seiner Mitschüler als Freak und wird tagtäglich gepiesackt, ausgelacht und gehänselt. Lediglich mit dem gleichaltrigen Neil kommt er halbwegs klar, denn auch der hat keinen guten Stand bei seinen Schulkameraden: Er besitzt die körperlichen Maße eines Miniatur-Calmund und ist von Allergien und Verdauungsproblemen geplagt.
Blithe Hollow ist mit einem Jahrhunderte alten Fluch belegt, durch den dieses kleine Dörfchen nach langer, langer Zeit urplötzlich von Zombies heimgesucht wird. Als der schmuddelige, furchteinflößende Mr. Prenderghast, Normans Onkel, verstirbt, spricht dessen Geist mit dem jungen Sonderling und beauftragt ihn, ein altes Märchenbuch aus den Händen seines toten, alten, noch bei sich zu Hause liegenden Körpers zu befreien. Denn nur mit einem Ritual, für welches er genau dieses Buch benötigt, kann Blithe Hollow vom Fluch befreit werden. Der von allen verspottete Junge ist die einzige Person, die dazu fähig ist, denn nur er ist mit der Gabe gesegnet, die dafür nötig ist. Zusammen mit seiner Schwester Courtney, Neil und dessen Bruder Mitch, ja, sogar Ätzbacke Alvin, Chefdrangsalierer der Schule, stellt er sich Geistern, Hexen, überambitionierten Polizistinnen und total ätzenden Erwachsenen – und natürlich dem just entstandenen Problem.
In der ersten halben Stunde dieses völlig schrägen, kranken, skurrilen Films fragt man sich noch des öfteren: “Was zum Henker soll das alles eigentlich?”, doch bald platzt der Knoten und der Film offenbart Stück für Stück auf vielschichtige Art und Weise die offensichtliche Intention, das Anderssein zu beleuchten. Wie man selbst damit umgeht. Wie es andere tun. Und zuguterletzt auch, welchen Wert es in der Gesellschaft hat beziehungsweise haben kann. All das wurde in oftmals bizarre Bilder verpackt und garantiert fast eineinhalb Stunden durchgeknallte Jugend-Horror-Comedy, an der selbst junggebliebene Große viel Freude haben werden – und zwar nicht nur durch Klamauk-Dauerfeuer und morbide Bilder, sondern auch durch psychologische und – ja, tatsächlich – pädagogische Ansätze. Raffiniert.
Der Film entstand nicht etwa – wie es der erste Blick vermuten lässt – als Computeranimationsfilm, sondern im 3D-Stop-Motion-Verfahren. Stop Motion ist eine zumeist in Trickfilmen eingesetzte Filmtechnik, in der ein Film durch unbewegte Einzelbilder, sogenannte Frames, entsteht. Dies geschieht zum Beispiel mithilfe von Knetmasse, Puppen, Scherenschnitten, Bausteinen und dergleichen. Tim Burtons “Corpse Bride” und “Nightmare Before Christmas”, Henry Selicks “Coraline” oder Filme wie die “Wallace & Gromit”-Reihe dürften die wohl bekanntesten Stop-Motion-Beispiele sein, ebenso “Chicken Run” oder die tcheschische Kinderserie “Pat & Mat”, in der zwei chaotisch veranlagte Handwerker bestimmte Probleme auf abstruse, unterhaltsame Weise zu lösen versuchten, und selbst das “Sandmännchen” entsteht auf diese Weise. Nach “Coraline” ist “ParaNorman” jedoch erst der zweite Film, bei dem ein sogenannter 3D-Drucker für die Produktion und Animation der Figuren zum Einsatz kam. Mit diesen Maschinen werden via CAD (Computer Aided Design) aus diversen Materialien (Keramik, Kunstharz, Kunststoff) Werkstücke hergestellt – es dürfte demnach kaum verwundern, dass die Produktion stolze 83 US-Dollar verschlang.
Hierdurch erhalten die einzelnen Figuren, Gegenstände und Kulissen einen extrem plastischen, eigenwilligen Charakter, den wohl weder Pixar noch Dreamworks mit digitaler Rechenleistung derart authentisch zu reproduzieren in der Lage wären. Deren Glanzleistungen in allen Ehren, doch “ParaNorman” besitzt nicht zuletzt durch diese aufwändige Technik einen speziellen Charme, vor allem auch deshalb, weil jedes der reichlich vorhandenen Details extrem liebevoll ausgearbeitet wurde.
Das anfangs verstörende Seherlebnis ist spektakulär, die Bewegungsabläufe wurden so natürlich wie möglich umgesetzt, und besonders die überdreht-überspitzte Darstellung der einzelnen Charaktere sorgt für amüsante Momente – Normans zu Berge stehende Haare, Schwesterchen Courtneys kugelrunder Po, Vater Babcocks ebensolcher Bauch, Mitchs Rasenmäherfrisur, die hängenden Wangen der Musik-/Theaterlehrerin, die völlig unmöglich aussehenden Zombies, all das sorgt für amüsierte Kommentare und Lacher.
Doch auch hinsichtlich des zu Hörenden hat man exzellente Arbeit geleistet. Die Soundeffekte passen perfekt, und wenn man den Originalton zum Vergleich heranzieht, so muss man denen, die für die deutsche Übersetzung verantwortlich zeichnen, herzlich gratulieren, denn vom englischen Wortwitz und den Aussagen hat man praktisch alles bewahren können. Auch die Auswahl der deutschen Synchronstimmen ist äußerst gelungen – die einzelnen Figuren bleiben, wie in der Ursprungssprache, durchgehend glaubwürdig.
Dass die FSK auf 12 Jahre gesetzt wurde, ist durchaus sinnvoll, denn es kann schon einmal passieren, dass die ein oder andere Gliedmaße sich vom Restzombie löst, ein paar Leichen durch die Gegend purzeln oder dem Zombie die Haut von den Gesichtsknochen hängt. Das wird zwar in einer absolut lächerlichen und überzogenen Form verbildlicht, doch das ein oder andere zartbesaitete Kind könnte durchaus seine Probleme mit diesem Streifen – zumindest einigen makaberen Szenen – bekommen.
Als Freund skurriler, spezieller Trickfilme mit ebenso speziellem Inhalt wird man kaum an “ParaNorman” vorbei kommen, und selbst wenn man mit der Thematik und/oder mit der Technik nicht viel anfangen können sollte, so würde an Unverschämtheit oder einer Beleidigung grenzen, die akribische und anspruchsvolle Arbeit des gesamten Filmteams einfach so zu verreißen. Über Geschmack lässt sich streiten. Über Qualität nicht. Und letztere stimmt bei “ParaNorman”.
Cover © Universal Pictures Home Entertainment
- Titel: ParaNorman
- Erschienen: 10.01.2013
- Label: Universal
- Regie: Sam Fell, Chris Butler
- Drehbuch: Chris Butler
- Musik: Jon Brion
- Kamera: Tristan Oliver
- Produktion: Travis Night, Ariane Sutner
- Schnitt: Christopher Murrie
- Spielzeit: 88 Minuten (DVD); 92 Minuten (BluRay 3D/2d)
- Sprecher (je englische/deutsche Synchronstimme – Figur):
Kodi Smit-McPhee/David Kunze – Norman Babcock
Tucker Albrizzi/David Wittmann – Neil Downe
Anna Kendrick/Gabrielle Pietermann – Courtney Babcock
Casey Affleck/Kim Hasper – Mitch Downe
Christopher Mintz-Plasse/Hannes Maurer – Alvin
Leslie Mann/Cathlen Gawlich – Sandra Babcock
Jeff Garlin/Olaf Reichmann – Perry Babcock
Elaine Stritch/Gisela Fritsch – Normans Großmutter
Bernard Hill/Frank-Otto Schenk – Richter Hopkins
Jodelle Ferland/Julia Stoepel – Agatha “Aggie” Prenderghast
Tempestt Bledsoe/Tanja Geke – Sheriff Hooper
Alex Borstein/Dagmar Biener – Mrs. Henscher
John Goodman/Klaus Sonnenschein – Mr. Prenderghast
Hannah Noyes/Luisa Wietzorek – Salma
Scott Menville/Oliver Rohrbeck – Deputy Wayne - Extras:
1. Audiokommentar mit Autor/Regisseur Chris Butler und Regisseur Sam Fell
2. Erste Animationssequenzen
3. Durch den Schleier spähen: Hinter den Kulissen von “ParaNorman”
4. Making Of Featurettes: Wer normal ist, wird kein Held; Eine Norman-Kindheit;
Spielen als Beruf; Norman entsteht; Dieses kleine Licht; Hast du mal einen
Geist gesehen?; Die Zombies von “ParaNorman” - Technische Details:
Audio:
DVD: 5.1 Dolby Digital
BluRay: DTS Digital Surround 5.1 (Deutsch, Italienisch, Türkisch); DTS-HD Master Audio 5.1 (Englisch); Dolby Digital 5.1 (Griechisch, Isländisch, Rumänisch, Slowenisch)
Sprachen:
DVD: Deutsch, Englisch, Türkisch, Bulgarisch, Polnisch
BluRay: Deutsch, Englisch, Italienisch, Türkisch, Griechisch, Isländisch, Rumänisch, Slowenisch
Bildformat:
DVD: 2.40:1 Anamorph Widescreen
BluRay: 2.40:1 Widescreen - FSK: 12
- Sonstige Informationen: Als DVD und BluRay erhältlich
- Informationen zum Film sowie Trailer @ Universal
Wertung: 12/15 dpt