In Pauls Leben ist innerhalb kürzester Zeit Sturmfrei. Sein Vater, der bekannte Landschaftsgärtner Planbaum, entscheidet sich gemeinsam mit seiner neuen Flamme Yvonne für einen längeren Urlaub in Borneo. Die Verantwortung für die Gärtnerei übernimmt der langjährige Mitarbeiter Stephan eher schlecht als recht. Sein befreundeter Nachbar Jörg ist obendrein wieder solo und hängt ihm nun wieder öfter auf der Pelle. Zu allem Überfluss zieht es seinen besten Freund Benny wegen eines Studiums nach Bayern. Paul selbst möchte eigentlich in Vaters Fußstapfen treten und sollte sich eigentlich bewerben – für seine diesbezügliche Halbherzigkeit bekommt er jedoch sehr bald die Rechnung. Als dem jungen Erwachsenen irgendwann alles über den Kopf wächst, beschließt er, sein komplettes Leben auszumisten, alles Überflüssige bei eBay zu verkaufen – und wagt einen Selbstversuch: Einhundert Tage im Wald überleben, ohne etwas in der Tasche. Dieses Vorhaben entwickelt eine unerwartete Eigendynamik und ein Erdbeben der Gefühle.
Denn durch einen Zufall trifft er auf zwei junge Männer, die ihn auf die Idee bringen, das Ganze regelmäßig auf einem Blog festzuhalten. In rasender Geschwindigkeit avanciert Paul zu einem Medienstar, da sich der Blog waldbrandartig wie ein Lauffeuer während einer langen Trockenperiode verbreitet. Seelischen Beistand erhält er hierbei von einem ominösen RetroGirl18, das er bei seiner eBay-Aktion kennen gelernt hat und mit der ein reger Mailaustausch stattfindet. Nur ihr entblößt er sein Seelenleben, weil er ihr aus einem nur schwer nachzuvollziehbaren Grund vertraut. Zu logisch, dass er sich verliebt. Und letztendlich ist sie diejenige, die seine Motivation immer wieder aufs Neue befeuert. Dass die Survival-Aktion mit so manchem Hindernis gespickt ist, muss wohl nicht erwähnt werden. Bald stellt sich die Frage: Was ist härter? Das Überleben im Wald oder jenes im Mediendickicht?
Oliver Uschmann dürfte den meisten Lesern eher durch seine “Hartmut und ich”-Reihe bekannt sein, die mit liebenswertem Chaos den Leser zum Schmunzeln bringt. Doch da der gebürtige Weseler offensichtlich ein chronisches scriborrhöisches Leiden hat, veröffentlichte er neben dem satirischen Männer-Ratgeber “Fehlermeldung” noch zwei “Jugend”-, ja eigentlich eher All-Age-Bücher sowie die äußerst lachmuskeltrainierende “Finn”-Kinderbuchreihe, die sich auch der erwachsene Leser nicht entgehen lassen sollte. Nun, kurz vor dem sechsten “Hartmut und ich”-Teil “Erdenrund”, legt Uschmann in Kollaboration mit seiner Frau Sylvia Witt seinen dritten Jugendroman vor, der im Gegensatz zum Vorgänger “Nicht weit vom Stamm” wieder auf etwas mehr Unterhaltung – ohne allerdings den ernsten Unterton außer Acht zu lassen.
Witt und Uschmann scheinen aus einer dauerhaft sprudelnden Quelle der Ideen zu schöpfen, denn “Log Out!” zerbirst ob der Vielfalt selbiger, und es ist erstaunlich, wie viele Details in der Story stecken und wie vielschichtig auch in diesem Buch die verschiedenen Handlungsebenen einander herlaufen, wobei diese an zahlreichen Knotenpunkten wie selbstverständlich ineinander greifen. Köstlich-witzige Momente wechseln sich mit ernsten ab – während man im einen Moment noch mit den Augen rollt, lacht man im nächsten lauthals, um im übernächsten wieder zu schlucken, weil gerade dann Pauls Vergangenheit wieder hochkommt wie Seelenkotze. Dieses literarische Multitasking beherrschen gerade im leichtgängigeren Metier nur wenige, und obwohl sich die Ereignisse trotz der oberflächlich präsenten Langeweile – viel Wald und sonst nichts – regelrecht überschlagen, fühlt man sich zu keiner Lesesekunde überfordert. Und kaum hat man sich versehen, hat man die dreihundertvierundvierzig Seiten bereits verschlungen. Wie bei Uschmann-Büchern, ganz gleich, ob mit oder ohne Kollaborationspartner/in, üblich, nimmt man auch aus diesem Roman eine Menge mit ins reale Leben, denkt viel nach und fühlt sich geistig bereichert. Ebenso typisch für Bücher aus seiner Feder ist es allerdings auch, dass man sich an seine hohe Veröffentlichungsfrequenz gewöhnt hat, das Belohnungszentrum nur kurzzeitig befriedigt ist und die Lesesucht nach weiterer Uschmann-Medikation schreit.
Aus dem Bereich der All-Age-Literatur ist der Schriftsteller, der so ganz nebenbei auch journalistisch, lektorierend, korrigierend, dozierend, kolumnierend und auch sonst noch anderweitig unterwegs ist, gar nicht mehr wegzudenken, und mit “Log Out!” hat er, wenn auch nicht alleine, mal eben eines der besten Bücher aus diesem Neo-Genre gelungen. Zumindest im Jahr 2012, denn hier gehen Lesbarkeit, Spannung, Anspruch, Tempo, Ruhe und Gefühl leichtläufig und harmonisch Hand in Hand.
Cover © script5
- Autoren: Oliver Uschmann & Sylvia Witt
- Titel: Log Out!
- Verlag: script5
- Erschienen: 10/2012
- Seiten: 344
- Einband: Klappenbroschur
- ISBN: 978-3-8390-0129-5
Wertung: 12/15 dpt