Schicksal und der zeitgenössische deutsche Film. Diese Kombination ruft beim Liebhaber guter Filmkunst oftmals Horrorvisionen hervor, denn einen Großteil solch gelagerter Filme findet man dann entweder im Abendprogramm des Privatfernsehens in meist fragwürdig inszenierter Form und mit einseitiger und dünner Storyline – oder sie werden auf den Öffentlich-Rechtlichen ausgestrahlt, zwar ohne Werbung, aber in der Regel genau so platt. Umso erfreulicher ist es daher, dass die Verfilmung des autobiographischen gleichnamigen Romans aus der Feder der Niederländerin Sophie van der Stap deutlich über dem Durchschnittsniveau der hierzuländischen Produktionen liegt.
Sophie van der Stap erkrankte 2005 an einem Rhabdomyosarkom, einem Krebstumor, welcher bei ihr an der Brustskelettmuskulatur wucherte und sich an einem ihrer Lungenflügel festgesetzt hat. Da eine Operation zu riskant gewesen wäre, wurde bei ihr eine mehrmonatige Chemotherapie mit anschließender Bestrahlung angeordnet. Die Ärzte waren zwar sehr bemüht, ihr Hoffnung zu machen, glaubten letztendlich aber nicht wirklich an eine Heilung – und umso überraschender war ein jeder, als die kräftezehrende Behandlung einen erstaunlichen Erfolg zeigte und van der Stap heute als Autorin vollständig genesen in Paris lebt.
Als die Diagnose seinerzeit bei der 21-jährigen Frau festgestellt wurde, sah sie nicht ein, sich der Krankheit auszuliefern und sich in Selbstmitleid zu suhlen. Wenngleich ihr Krebs und Therapie zuweilen schwer zusetzten, spuckte sie ihrer Krankheit respektlos ins Gesicht. Sie war nicht bereit, auf Flirts zu verzichten, auf Sex, auf das Feiern, auf das Jungsein und Frausein – und auch ihre Träume wollte sie sich vom Krebs nicht zerstören lassen und zog es vor, diese zu verwirklichen und zu leben – alles andere wären in ihren Augen vergeudete Zeit und nicht genuzte Chancen gewesen. Eine wichtige Komponente war hierbei das Tragen verschiedener Perücken, durch die sie in diverse Rollen schlüpfte und zumindest für kurze Zeit spaßeshalber entsprechende Persönlichkeiten auslebte.
Wie man dem im Bonusmaterial enthaltenen Interview mit der Autorin entnehmen kann, hat der Filmstab sehr eng mit van der Stap zusammengearbeitet, und das merkt man dem Film auch an, denn wenngleich sich die Sophie, die im Film überzeugend von Lisa Tomaschewsky dargestellt wird und hier mit Nachnamen Ritter heißt, schon allein von der Erscheinung her anders ist und hier und dort – storyübergreifend – auch etwas Filmreifes hinzugedichtet wurde, gibt sie einen äußerst authentischen und realitätsnahen Charakter wieder. Auch die Familie, die stets hinter ihr steht, wird ebenfalls gekonnt von Peter Prager und Maike Bollow (Eltern), Alice Dwyer (Schwester Saskia) dargestellt, und selbst die weiteren Charaktere, beispielsweise Sophies sehr guter Freund Rob (David Rott), Mitpatientin Chantal (Jasmin Gerat), Freundin Annabel (Karoline Teska) oder gar Nebenfiguren wie der liebenswerte Pfleger Bastian (Daniel Zillmann) spielen ihre Rollen einwandfrei und glaubwürdig – denn gerade bei Nebendarstellern wird in deutschen Produktionen ja gerne qualitativ gespart.
Anders als der Trailer vermuten lassen könnte, ist der Film deutlich ruhiger und unhysterischer ausgelegt, und wenngleich in diesem Streifen oftmals die Tränendrüsen stimuliert werden, driftet “Heute bin ich blond” (ein selten dämlicher Titel übrigens, das muss mal gesagt werden…) niemals in klischeehaft-plakative biedere Rührsoßendrama-Kost ab, und auch bei den wenigen komödiantischen Elementen findet man immer das richtige Maß. Auch ist positiv anzumerken, dass der fast zweistündige Streifen angenehm vielseitig ist: Anstatt sich ausschließlich auf Sophie zu fixieren, rücken auch die Freunde und Familienmitglieder immer wieder mal in den Fokus.
Es bleibt zu hoffen, dass “Heute bin ich blond”, wenn die Ausstrahlung im Fernsehen ansteht, einen angemessenen Sendeplatz erhält und nicht irgendwo unter ferner Liefen verbraten wird – oder gar als lieblos dazwischengeklatschter Unter-der-Woche-Film. Denn das hätte dieser letztendlich überraschend starke Film nicht verdient.
Cover und Szenenfotos © Universum Film/goldkindfilm
- Titel: Heute bin ich blond
- Produktionsland und -jahr: Deutschland, 2013
- Genre:
Drama
- Erschienen: 04.10.2013
- Label: Universum Film
- Spielzeit:
113 Minuten auf DVD
117 Minuten auf Blu-Ray
- Darsteller:
Lisa Tomaschewsky
Karoline Teska
David Rott
Peter Prager
Maike Bollow
Alice Dwyer
Jasmin Gerat
Gerald Alexander Held
Daniel Zillmann
Katrin Politt
Sebastian Bezzel - Regie: Marc Rothemund
- Drehbuch: Katharina Eyssen
- Produzenten: Andreas Bareiss, Sven Burgemeister
- Extras:
Making Of
Interviews mit Cast, Crew und Autorin
Outtakes
(Gesamtspielzeit der Extras: 78 Minunten)
Wendecover
- Technische Details (DVD)
Bildformat: 2,35:1 (16:9 anamorph)
Tonformat: DD 5.1
Sprachen: Deutsch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
- Technische Details (Blu-Ray)
Bildformat: 2,35:1 (1080p/24)
Tonformat: DTS-HD 5.1
Sprachen: Deutsch
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte - FSK: 6
- Sonstige Informationen:
Facebook-Seite zum Film
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Wertung: 11/15 dpt