Der womöglich ungewöhnlichste Thriller des Jahres
Die Kurve war einst ein legendärer Jugendtreff in Herne, sprich im Ruhrgebiet, der von Carl geleitet wurde. Teils hoffnungslose Fälle fanden den Weg dorthin, einige wie Ridley und Betty sind noch heute mit Carl verbunden und erledigen seine mitunter seltsamen Aufträge, denn schon vor langer Zeit hat Carl gemerkt, dass er ein großes Talent besitzt: Das Lösen von Problemen jeglicher Art.
So meldet sich Elisa aus Neapel bei Carl, deren schwerkranker Vater Francesco seine Nachfolge in der Mafia regeln will. Ridley soll den Reiseführer spielen und sich um alles kümmern, obwohl Leibwächter Gigi ebenfalls mit von der Partie ist. Es dauert nicht lange, da wird die Situation in Köln und Leverkusen unübersichtlich und tödlich.
„Carl, nennen Sie mich Carl. Carl aus Herne.“
„Aus was?“
„Herne. Vergessen Sie es wieder. Herne ist nämlich ein Ort zum Vergessen oder zum Nie-davon-gehört-Haben.“
Ein schwerreicher Amerikaner, der allerdings gerade im Gefängnis einsitzt, möchte indessen wissen, was mit seiner Tochter Taylor in Berlin passiert ist, bevor man deren Leiche im Landwehrkanal auffand. Betty stößt dabei auf ein seltsames Trio, in deren WG Taylor bis zu ihrem Tod lebte. Auch hier läuft es schnell aus dem Ruder.
Thriller, Roadmovie, Coming of Age, Alles und Nichts
„Die Kurve“ ist ein seltsam anmutender Thriller, der sich in viele Szenen verästelt und auf wundersame Weise immer wieder auf zurückliegende Ereignisse Bezug nimmt. Dies ist durchaus gekonnt, erfordert allerdings hohe Aufmerksamkeit. Vorab sei klar gesagt, dass alle, die einen klassischen Krimiplot oder gar einen Mafiaroman erwarten, wohl eher enttäuscht werden dürften.
Neben den bereits erwähnten Ridley und Betty gibt es noch Jenny, Mali, Maxi und den Wheelmaker. Sie alle kennen sich aus dem titelgebenden Jugendzentrum. Hier sind sie gestrandet, haben erste Drogenexzesse erlebt und nicht alle leben noch zum Beginn der eigentlichen Handlung in der Gegenwart. Zahlreiche Rückblicke auf deren mitunter verkorkste Lebenswege gibt es dennoch reichlich. Coming of Age wird also auch geboten, ebenso ein munteres Roadmovie durch Ridleys Reise quer durch Deutschland an der Seite einer eher wenig ehrwürdigen Mafiafamilie.
„Und dann ist da Taylor, die in einem Kanal gelandet ist. Vielleicht war sie bereits tot, aber was, wenn nicht? Wenn man im Ruhrgebiet oder in Berlin wohnt, gehört das Ertrinken sicher nicht zu den Todesarten, die man am meisten fürchtet.“
Direkt im zweiten Satz des Romans stößt man auf die erste Leiche respektive ein erstes Mordopfer. Danach passiert hundert Seiten wenig bis nichts, was man gewöhnlich mit einem Krimi assoziieren würde, stattdessen werden die oben genannten Figuren – nun ja – vorgestellt, wobei auch ein gewisser Ole noch erwähnt werden muss. Dieser lebt in der Berliner Ringbahn und sucht immer wieder mit Betty einzelne Haltestellen auf, in der Hoffnung, dort einen Mann zu finden, der einen anderen vor eine S-Bahn gestoßen hat.
Es geht turbulent zu, drunter und drüber könnte man sagen, oft gewalttätig und bissig-lustig in den Dialogen sowie – um den Autor Dirk Schmidt zu zitieren – in seinem Thriller um die Frage: „Wie weit kann man dieses Genre dehnen, ohne es zu verlieren?“ Sei’s drum, eine Fortsetzung könnte interessant werden.
- Autor: Dirk Schmidt
- Titel: Die Kurve
- Verlag: Suhrkamp
- Umfang: 275 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: März 2025
- ISBN: 978-3-518-47480-8
- Produktseite
Wertung: 10/15 dpt
