Mario Desiati – Spatriati (Roman)

Alles nur nicht konventionell, so lässt sich die Freundschaft beschreiben, die Francesco und Claudia verbindet. Von der ersten Begegnung an ist der Jugendliche Francesco von seiner Schulkameradin Claudia fasziniert. Eine Beziehung entsteht, die beide ein Leben lang prägen und begleiten wird. Zunächst ist es vor allem schwärmerische Verliebtheit, die Francesco empfindet und auf die die gleichaltrige Claudia nicht eingeht. Während Claudia sich bereits in aussichtslose Beziehungen mit älteren Männern stürzt, ist Francesco mit sich, seiner Sexualität und seinem Erwachsenwerden noch völlig überfordert.

Auch sonst scheint Claudia Francesco immer ein paar Schritte voraus. Sie verlässt das enge apulische Dorfleben und zieht nach Mailand, später nach Berlin. Erst Jahre später begreift Francesco, dass auch er die Heimat verlassen muss, um endlich zu sich selbst zu finden.

„Spatriati“ steht als Ausdruck für jemanden, der als Außenseiter lebt, weil er nicht ins konventionelle Bild passt. „Spatriati“ sind Claudia und Francesco, die beiden zentralen Figuren des Romans.

Mit großer Sensibilität zeichnet Desiati die Wege seiner Protagonisten nach. Vor allem Francesco steht bei ihm im Zentrum. Seine Selbstfindung ist der lange Prozess, der dem Plot den entscheidenden Rhythmus verleiht.

Desiati inszeniert eine facettenreiche Geschichte um Selbstfindung und Freiheit. Nie verläuft der Lebensweg seiner Figuren gradlinig. Der Autor lässt uns die Orientierungslosigkeit spüren, mit der Francesco und Claudia auf der Suche sind. Er lässt uns Lesende früher als sie erkennen, welche Entscheidungen sich als Fehler erweisen werden. Und doch ist er niemals moralisierend oder belehrend. Denn auch die Umwege, die seine Figuren nehmen, sind Teil ihrer Entwicklung.

Dabei erzeugt er eine Nahbarkeit zu seinen Protagonisten, die den Roman zu einem wunderbar warmherzigen Erlebnis werden lässt. Mit enormer Empathie bringt er seine Leser:innen ganz nah an die Außenseiter-Leben seiner Figuren heran. Geschickt erzeugt er ein Spanungsfeld zwischen platonischer Liebe und erotischer Sinnlichkeit, in dessen Einflussbereich sich alle bewegen. Fast wie beiläufig definiert er dabei „Liebe“ neu als eine um traditionelle Konventionen befreite Verbundenheit.

Und so ganz nebenbei behandelt er auch noch die Themen Migration und Fremdsein und setzt der Stadt Berlin ein zärtlich-wildes Denkmal als Ort individueller Freiheit.

Freiheit ist bei Desiati das große Leitmotiv. Bei ihm gibt es keine Klischees, keine Tabus, keinen stereotypen Handlungsverlauf. Der Roman liest sich als würden sich Figuren und Handlung während der Lektüre gerade erst entwickeln. Als wäre jederzeit jeder für eine weitere Überraschung gut.

Der Roman wurde 2022 mit dem Premio Strega ausgezeichnet, dem renommiertesten Literaturpreis Italiens.

  • Autor: Mario Desiati
  • Titel: Spatriati
  • Originaltitel: Spatriati
  • Übersetzer: Martin Hallmannsecker
  • Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
  • Erschienen: Juni 2024
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 256 Seiten
  • ISBN: 978-3803133687

Wertung: 13/15 dpt

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