Christine Grän, Marianne von Waldenfels – Das Fräulein muss sterben (Buch)

“Das Fräulein muss sterben” ist eine vielschichtige Zeitreise und Geschichtsstunde

April 1972. Bonn. Die Sensation ist da, das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt ging verloren. Rainer Barzel fehlen zwei Stimmen, die Jagd nach den Abweichlern hat bereits begonnen. Für die holländische Journalistin Nelie Hendriks ein Grund zum Feiern und daher hat sie eine illustre Gästeschar in ihrer Wohnung versammelt. Journalisten, Politiker, Spione, hohe Beamte und hübsche Frauen des horizontalen Gewerbes. Letztgenannte müssen sein, denn Nelie ist selbst dafür bekannt, dass sie sich mit Männern oft, aber allein deswegen einlässt, um an Informationen zu kommen.

Am nächsten Morgen hat Clara Frings, die als einzige Kommissarin bislang nur langweilige Fälle bekam, den scheinbar großen Fang gemacht. Sie soll im Fall „Nelie“ ermitteln, die in der Nacht von ihrer Dachterrasse im sechsten Stock stürzte. Ein Unfall oder ein Suizid, weil sie an Krebs erkrankt war? An Mord mag niemand denken und so soll Clara sich auch nur pro forma ein wenig umschauen, die Höhe der Balustrade beispielsweise messen, damit der Vorgang zu den Akten gelegt werden kann.

Ich meine, er könnte mich ja mal mitnehmen zu seiner alten Mutter. Oder sie ein Wochenende mal nicht besuchen und mit mir irgendwo hinfahren. In die Eifel zum Beispiel. Oder ‘ne Rheinfahrt nach Koblenz. Irgendwohin, wo nicht Bonn ist.

Ein vermeintlich einfacher Fall, zumal die Obduktion alle Möglichkeiten offenlässt. Doch dann meldet sich Mara Leuwen, Nelies beste Freundin, aus Holland. An einen Selbstmord kann sie nicht glauben, denn Nelies Tochter lebt bei Mara, wird nächste Woche sieben und zu Dritt hatten sie einen Ausflug geplant. Die Ermittlungen werden eingestellt, Anschläge einer Terrorgruppe namens RAF halten das Land und die Polizei in Atem. Wenig später erfährt Clara, dass Mara bei einem Unfall mit Fahrerflucht getötet wurde.

Claras beste Freundin Elfi, eine ehrgeizige Journalistin, hat derweil Kontakt zu der Prostituierten Josephine aufgenommen, die bei besagter Feier anwesend war. Für dreitausend Mark will sie eine Aussage machen. In deren Wohnung in Köln angekommen, finden Clara und Elfi einen flüchtenden Mann und Josephines Leiche. Außerdem einige pikante Fotos mit reichlich Sprengstoff. Sie zeigen etwa einen bekannten Bundestagsabgeordneten beim Liebesspiel mit einer Prostituierten sowie in gleicher Situation einen Ministerialbeamten mit Tattoo der Waffen-SS.    

Mord, Spionage, Politik und eine Polizistin, die es wissen will

Christine Grän und Marianne von Waldenfels haben mit„ Das Fräulein muss sterben“ nicht nur einen vielschichtigen Krimiplot vorgelegt, sondern gleichzeitig eine fulminante Zeitreise in die frühen 1970er Jahre. Es beginnt mit dem Misstrauensvotum gegen Brandt und endet mit dessen Rücktritt infolge der Guillaume-Affäre. Anfang 1972 gibt es zuvor einen Erlass des Innenministers, mit dem die Anrede „Fräulein“ offiziell abgeschafft wird, was folglich nichts daran ändert, dass vor allem im politischen Bonn ausschließlich die Herren das Sagen haben. Die meisten von ihnen mit brauner Vergangenheit. Andere, wie Guillaume, spionieren für die DDR.

Der Roman lebt von zwei starken, aber sehr unterschiedlichen Frauenfiguren. Elfi lebt allein und ist der Männerwelt nicht abgeneigt, hat allerdings selten Erfolg bei der Suche nach dem richtigen Partner. Selbstbewusst steht sie für die moderne Frau. Mehr Selbstbestimmung, weg mit dem Abtreibungsparagraphen und so weiter. Kurzum: Weg von Familie und Herd, also von dort, wo Clara verortet ist, wenn sie nicht gerade ihren Job macht. Daheim wartet eine Tochter im Teenageralter und zu allem Graus Hans Joachim, ihr erzreaktionärer Ehemann, der Brandt für einen Kommunisten hält. Zudem findet er Claras Berufstätigkeit schlimm, schließlich habe sie so kaum Zeit für ihre Tochter. Und ihn. Kochen, Bier holen, wunderbar. Eine spießig-miefige Macho-Ära, die in all ihren Abgründen lebendig wird. Wobei, so richtig lebendig fühlt sich Clara in ihrem Ehegefängnis schon lange nicht mehr. Da kommt ihr ein gut aussehender Journalist zu Pass sowie ein Foto ihres Mannes, das alles auf den Kopf stellt.

Es gilt gleich mehrere Morde und andere Verbrechen aufzuklären, wobei Clara von ihren, selbstredend ausschließlich männlichen Vorgesetzten nach Kräften behindert wird. Damals waren doch alle irgendwie dabei, man solle doch endlich nach vorne sehen. Aber ein Ministerialbeamter mit Vergangenheit bei der Waffen-SS? Es ist eine düstere, beklemmende Zeit, die von dem Autorinnenduo Grän & Waldenfels wunderbar zum Leben erweckt wird. Die politischen Ereignisse dringen immer wieder in die Erzählung ein und werden im Anhang umfangreich dargestellt.

Mord, Spionage, Gegenspionage, Politik, Sex und Verrat. Alles dabei. So macht ein Krimi, so macht Geschichtsunterricht Spaß.

  • Autorinnen: Christine Grän und Marianne von Waldenfels
  • Titel: Das Fräulein muss sterben
  • Verlag: Droemer
  • Umfang: 352 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Dezember 2024
  • ISBN: 978-3-426-44688-1
  • Produktseite

Wertung: 13/15 dpt

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