“Man kann auch in die Höhe fallen” ist Band 6 der Reihe
Nach einem Vorfall beschließt Joachim, dass er dringend eine Auszeit braucht. Eine Auszeit vom nervtötenden Berlin mit den Handwerkern, die sich allesamt einer guten Verdauung erfreuen. Von der Hektik der Stadt, die ihm bereits ein Fahrrad entwunden hat. Und auch von seiner eigenen Gereiztheit, die mittlerweile so orange leuchtet wie ein gewisser Koffer.
Joachim zieht vorübergehend aufs Land zu seiner Mutter. Hier will er nicht nur wieder zu sich selbst finden, sondern auch zurück zum Schreiben.
Die Ankunft verläuft so holprig wie der Weg, der ihn zum Kotzen bringt. Mamas Auto stinkt nach Döner, und aussteigen muss er noch im Fahren, weil Mama es eilig hat.
Die kommenden Tage sollen sich voller Gartenarbeit erweisen. Arbeit und Schwimmen im Meer und peinlich berührtes Weggucken, weil gerade nebenan im Sand ein Pärchen ineinander verkeilt daliegt. Und allmählich, ganz allmählich, findet Joachim zurück in einen Rhythmus, der dem der Stadt trotzt.
Ich möchte diese Rezension ein wenig persönlicher gestalten. Daher beginne ich nun damit, dass mein Mann mir seit zwei Jahren in den Ohren liegt, ich solle doch unbedingt einmal Joachim Meyerhoff lesen.
Vor einigen Wochen traf also Meyerhoffs Neuerscheinung bei mir ein. Nur wenige Tage später saß ich im Publikum von Mona Ameziane und Christine Westermann, die live ihren Zwei-Seiten-Podcast aufnahmen. Zum Schluss der Veranstaltung gaben sie einen kurzen Ausblick auf die nächste Folge. Hier sollte unter anderem Man kann auch in die Höhe fallen besprochen werden. Das weckte mein Interesse. Wer so oft erwähnt wird – also nicht nur von den zwei Podcasterinnen und meinem Mann -, der sollte einmal gelesen werden.
Ich begann an einem Sonntagabend. Ich las und wunderte mich. Wunderte mich deshalb, da ich nicht nachvollziehen konnte, warum dieser Meyerhoff von allen Seiten so gelobt wird.
Ich las und kam an eine Stelle, in der er eine Geschichte wiedergab, die er als kleiner Junge in ein liniertes Schreibheft gekritzelt hatte. Ich schmunzelte. Ich las montags. Ich las dienstags. Ich nahm das Buch mit zu meinem Zahnarzttermin und musste mir im Warteberich das Lachen verkneifen, als ich von einem Theaterschauspieler erfuhr, der unerwartet in die Dunkelheit entschwebte.
Ich las und dachte mir: Ah, das ist also der Meyerhoff. Ich muss mir unbedingt seine Vorgänger besorgen.
Diese Rezension hat eine lange Einleitung, aber ich denke, jede*r weiß, was sie im Kern benennen will. Joachim Meyerhoff wird zurecht hochgelobt.
Inhaltlich wechselt Man kann auch in die Höhe fallen zwischen seinem gegenwärtigen Aufenthalt bei seiner 86-jährigen Mutter und den Anekdoten, die er während seiner Arbeit im Theater gesammelt hat.
Die gegenwärtige Geschichte wird von Melancholie getragen. Seine Tage auf dem Land erinnern an einen Kirsten-Boie-Kinderroman. Das Leben ist schön. Es gibt Kuchen, Gartenarbeit und Sterne am Himmelszelt. Gleichzeitig ist da diese herrlich starke Frauenfigur, die zu allem entschlossen ist, selbst wenn es darum geht, den Platz am Strand für sich zu beanspruchen, obwohl gerade ein Paar dort im Liebesspiel versunken ist.
Trotzdem wissen die Leser*innen, dass es einen ernsten Grund dafür gibt, dass Joachim gerade dort ist und nicht zu Hause bei seiner Familie. Immer wieder sind es die ernsten Töne, die daran erinnern, dass dieser Roman keine Komödie ist.
Der eigentliche Vorfall, die Zündung seiner Flucht, bleibt während der Lektüre im Verborgenen, soll aber später behandelt werden, sodass die Spannung stetig auf einem hohen Level bleibt, obwohl dieser Roman kein Thriller ist. Es geht vielmehr darum, dem Protagonisten dabei zuzusehen, wie er sich aus seinem Tief kämpft. Aber auch, wie er immer wieder scheitert. So wie alle Menschen. Gerade dieser Umstand macht die Person so authentisch und nahbar.
Die Figur der Mutter ist übertrieben dargestellt. Erst verspeist die Frau einen Döner vom Bahnhof, dann noch eine Currywurst vom Wurststand am Strand. Das macht der beste Seniorenmagen nicht mit. Auch erscheint sie zu robust. Zu ruppig. Zu stark. Aber: Wer kann schon wissen, ob dieses schillernde Wesen der Fantasie des Autors entsprungen ist oder tatsächlich existiert?
Anfangs lesen sich die Dialoge zwischen den Charakteren hölzern. Der Stil, der Redefluss wird flüssiger, je länger Joachim bei seiner Mutter verweilt. Stilistisch stellt sich die Frage, ob dieses Hölzerne nicht genau das ist, was die Empfindungen der Hauptfigur spiegelt.
Das, was von Anfang bis Ende überzeugt, ist Meyerhoffs Schreibkunst. Der Autor verfügt über ein Talent, so zu erzählen, dass sich der Roman wie ein Film vor dem inneren Auge abspielt. Bilder reihen sich an Bilder. Stimmen werden laut. Gesichter erhalten Konturen. Kleider, Fähnchen, Friseursalons werden coloriert. Gleichzeitig lässt der Schriftsteller jedes Schamgefühl vermissen und spricht so tadellos offen über die peinlichsten Dinge des Lebens, wie man es sich manchmal in der Realität wünschen würde.
Fazit
Das ist er also, der Meyerhoff. Der neue Meyerhoff. Sein Humor ist von solch einer Trockenheit, dass man ihm jede Anekdote unzensiert abnimmt. Dann wiederum geschieht es, dass Lesende von einer Lachsalve überfahren werden, wo sie Tränen und Drama vermuten. Doch der besondere Wert dieses Romans liegt in der Zartheit der Sätze, die immer wieder daran erinnern, dass es sich um ein Drama handelt, das sich ereignet hat. Eine gelungene Gratwanderung!
- Autor: Joachim Meyerhoff
- Titel: Man kann auch in die Höhe fallen
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: 07. November 2024
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 368
- ISBN: 978-3-462-00699-5
- Produktseite
Wertung: 15/15 dpt
Die Buchbeschreibung klingt interessant 🙂
Das klingt ganz nach einem Buch, das mir gefallen würde. Ich hüpfe dann mal in den Lostopf.
Deine Rezension hat mein Interesse geweckt und ich versuche sehr gerne mein Glück.