Christoph Straßer – Konform (Buch)

Christoph Strasser - Konform (Cover © Adakia Verlag)

Jonas ist Studierender. Als Einzelkind lebt er mit dreiundzwanzig noch bei seinen Eltern im Speckgürtel einer deutschen Großstadt. Sein Vater, den er mit „Ralf“ anspricht, Sachgebietsleiter in der Stadtverwaltung, fährt ihn morgens mit dem Auto zur Uni. Hier trinkt er seinen Hafer-Latte und studiert Marketing mit Ben und Mina, die sich nicht mehr Hermine nennt, seit Joanne K. Rowling „ein Nazi“ geworden ist. Dass der Dozent eines Seminars über Mythologie nach studentischen Protesten die „Harry Potter“-Titel von seiner Literaturliste nimmt, finden die drei richtig und wichtig. Sie engagieren sich, wenn auch überwiegend online und ausschließlich symbolisch, für Klimaschutz und gegen Heteronormativität. Am Abend relaxt Jonas an der Spielkonsole und Meike, seine Mutter, macht Süßkartoffeln.

Das wohlständige Idyll und die ideologische Gemütlichkeit werden nachhaltig gestört, als Jonas auf dem Campus Steffen Roski, seinen ehemaligen Deutschlehrer und inzwischen Social-Media-Unternehmer, trifft, dessen lässige Respektlosigkeit ihm peinlich ist. Roski aber bietet den drei Freunden Model-Jobs und Honorare an, die ihnen ermöglichen würden, unabhängig, wie Erwachsene zu leben. Nur: Wollen sie das überhaupt?

Jonas nahm aus dramaturgischen Gründen einen großen Schluck aus seinem Becher. „Wisst ihr“, begann er schließlich. „Zu Hause zu wohnen ist ja schön und gut. Aber vielleicht ist’s langsam an der Zeit, erwachsen zu werden.“

Mina zog eine Augenbraue hoch, so, wie sie es tat, wenn man ihr Videos von UFO-Sichtungen oder Geistern zeigte.

Christoph Straßers Text gehört zur wachsenden Minderheit jener Stimmen, die auch in der Literatur einen liberalen Zeitgeist kritisieren, der mit Begriffen wie Cancel Culture oder Wokeness assoziiert wird und den sie als scheinliberal oder gar autoritär zu entlarven versuchen. Der Autor, der vierzehn Romane und Biografien (darunter die erste deutsche Lenny-Kravitz-Biografie) veröffentlicht hat, spielt in seiner Satire diesen gesellschaftlichen Konflikt durch, für den in Deutschland Sahra Wagenknecht die Begriffe „traditionelle Linke“ versus „Lifestyle-Linke“ populär gemacht hat. Zwei Versionen des Liberalismus kämpfen um die Deutungshoheit, die alte und die neue Linke, Hedonisten und Moralisten, Klassenkämpfer und Klimaschützer, Humanitäre und Identitäre. Der gemeinsame Feind Wokeismus führt inzwischen gar dazu, dass neue Rechte und alte Linke – auch von ihnen selbst – verwechselt werden.

Steffen Roski gehört sicher zu Letzteren. Er führt sein Unternehmen kumpelhaft, beschäftigt einen von Jonas kritisch beäugten rastalockigen Afghanen und begeht seine Betriebsfeier in einer Schwulenbar, die Jonas‘ Vater einen „Fleischwolf“ nennt. Roski steht für den abgeklärten Intellektuellen klassisch modernen Zuschnitts, der den Kampf gegen die bürgerlichen Drachen Mammon und Monotonie zwar nicht gewonnen, aber überstanden hat und nun mit unverwundbarem Sarkasmus das Chaos der Geschichte heimatlos durchstreift. Nicht zufällig hängt in seinem Büro ein Plattencover der Beatnik-Band The Doors, die wie wenige andere für den rebellischen Hedonismus der 60er-Jahre steht und in die neulinke Achtsamkeit beinahe ebenso wenig passt wie ihr konservatives Feindbild.

Jonas, Ben und Mina dagegen verkörpern jene Kritiker einer Gesellschaft, von der sie mehr als alle anderen profitieren, von Helikoptereltern zur Lebensuntüchtigkeit verzogene Doppelmoralisten und hypersensible Smombies, die laut ihrem allzu strengen Lehrer Roski „so bieder und konform“ sind wie „unfähig, auch nur die geringste Ambivalenz zu ertragen.“

Und auch wenn Straßer die Sympathie erzählerisch nicht gleich verteilt, ist ihm doch ein Roman gelungen, der selbst ambivalent ist und beide Konfliktparteien nicht voneinander unbeeinflusst entlässt. Die Stärken des Autors, der sein Handwerk besser beherrscht als viele Feuilleton-Stammgäste, liegen klar in seinem entlarvenden Witz, pointierten Dialogen und der Freude an bedachtsam angebahnten Konfrontationen, die ans Groteske grenzen, ohne albern zu sein.

Christoph Straßer hat eine Satire des Wokeismus geschrieben, die urkomisch, aber kein Pamphlet ist und ihre Figuren so ernst nimmt, wie es gute Literatur sollte, nämlich sie mit Stärken und Schwächen zeichnet und erzählerisch wie sachlich plausibel bleibt. Sie hat das, was heute vielen Diskurs-Kontrahenten aller Couleur zu fehlen scheint: Humor, also eine Haltung, die zugleich verspotten und versöhnen kann, weil sie um die Widersprüche aller Menschen weiß – auch um ihre eigenen.

Cover © Adakia Verlag

Wertung: 13/15 dpt

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