Was wäre, wenn Frauen plötzlich zu Drachen würden? Wenn ihnen Flügel und riesige Zähne und Schuppen wachsen würden und sie sich mit viel Gebrüll und ordentlich Zerstörung zurücklassend, in die Lüfte erheben und auf Nimmer-Wiedersehen verschwinden würden?
Genau dieser Frage hat Kelly Barnhill sich in “When Women Were Dragons” angenommen. Das Buch gewidmet hat sie Christine Blasey Ford, die gegen Brett Kavanaugh ausgesagt hat – welcher übrigens der beste Beweis dafür ist, dass im Patriarchat auch bei Anschuldigungen sexueller Gewalt ein Mann unbehelligt und erfolgreich seine Karriere fortführen kann, auch wenn in solchen Fällen oft etwas anderes behauptet wird.
Im Zentrum des Buches steht das große Drachenwandeln 1955, bei dem sich hunderttausende Frauen weltweit in Drachen verwandelten und ihre Familie verließen. Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Alex ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Kind und auf ihre Fragen begegnet ihr die damalige Welt mit Schweigen, Ignoranz und Redeverboten: Wo ist ihre Tante hin verschwunden? Und warum hat sich ihre Mutter nicht verwandelt? Wieso scheint ihre Cousine Bea von dem Thema so besessen zu sein? Und wieso ist es überhaupt verboten, über die Drachinnen zu reden, obwohl sie doch unübersehbar existieren?
Klingt nach großartigem Stoff für einen feministischen Roman mit magischem Realismus, fand ich. Und bzgl. der Message und des Inhalts wurde ich auch nicht enttäuscht: Es geht um weibliche Solidarität. Darum, dass Frauen immer schon klein gehalten wurden und was passieren würde, wenn sie sich endlich mal trauen würden, zu sein wer sie sein wollen – und dass das einen Mehrwert für alle hätte, auch für Männer. Dazu bietet das Buch eine Menge sapphischer und polyamorer Repräsentation und schließt auch trans Frauen und Dragqueens als Frauen ein.
“Die Wut ist eine merkwürdige Sache. Und sie macht merkwürdige Dinge mit uns, wenn wir sie unterdrücken. Sieh es mal so: Wer profitiert davon, Liebes, wenn du dich zwingst, nicht wütend zu sein?”
Beworben wird das Buch häufig als Fantasyroman. Außer dem Element der Drachinnen gibt es jedoch nichts Fantastisches und ich würde es eher als historischen Roman mit magischem Realismus bezeichnen. Die Drachinnen werden als Charaktere toll beschrieben, wenn auch stark überzeichnet und teilweise haarscharf an der Grenze zum Albernen … aber eben nur an der Grenze, was sie für mich besonders glaubwürdig machte.
Auch die eingestreuten Forschungstexte, deren Ursprung man erst nach und nach herausfindet haben mir gut gefallen.
Ansonsten fand ich die Story aber (und es fällt mir wirklich schwer das zu sagen, weil ich die Idee so mochte) furchtbar langweilig erzählt. Die mittlerweile erwachsene Alex erzählt uns ihr Leben und wie sie die Ereignisse vor und nach 1955 als Kind und später Jugendliche wahrgenommen hat. Es handelt sich bei ihr um keine allwissende Erzählerin, wodurch viele Geschehnisse vage und unbestimmt bleiben. Wirklich begeistert und emotional gepackt hat mich eigentlich nur die Ballszene. Die Lovestory, die zwar nicht viel Raum einnimmt, blieb mir zu flach, glatt und damit unglaubwürdig. Allgemein hätte das Buch auch nur gut die Hälfte dick sein können, es hätte der Handlung keinen Abbruch getan. Mir fehlte auch eine kleine Aussicht darauf, warum es denn heute keine Drachen mehr gibt und Frauen offensichtlich aufgehört haben sich zu drachenwandeln, obwohl sie nach wie vor unterdrückt werden.
Alles in allem also eine tolle Idee, die ich wirklich schätze, aber leider auch eine Menge verschenktes Potential. Wer sehr langsam erzählte Geschichten mag und die feministische Botschaft zu schätzen weiß, ist hier aber sicher gut beraten.
- Autor: Kelly Barnhill
- Titel: When Women Were Dragons
- Originaltitel: When Women Were Dragons
- Übersetzer: Isabelle Gore
- Verlag: Cross Cult Entertainment
- Erschienen: 11/2024
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 448
- ISBN: 978-3-9866664-8-4
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
- Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 8/15 dpt