Kraken und Oktopoden sind meine absoluten Lieblingstiere. Drei Herzen, ein außergewöhnliches Gehirn – wer wird bei diesen Eckdaten nicht neugierig? Umso interessanter war für mich “Rosa” von Anne Cathrine Bomann, das nicht nur einen Oktopus auf dem Cover verewigt, sondern in dem es auch um eine Oktopusdame namens Rosa geht.
Die menschliche Protagonistin Vigga ist Ende zwanzig und ein ziemlich eigenbrötlerischer und eher menschenscheuer Charakter, der manchmal fast schon autistisch wirkt. Sie kommt mit Menschen nicht gut zurecht – und will es auch gar nicht, was ihr auch ihre Arbeitsverhältnisse deutlich erschwert. Eher unfreiwillig absolviert sie deswegen ein Praktikum in einem großen Aquarium. Ihr einziger Sozialkontakt und Fixpunkt ist ihre Freundin Maiken. Als diese schwanger wird, distanziert Vigga sich Stück für Stück von ihr – und findet in Oktopus Rosa eine ganz andere Art der Freundschaft.
“Es ist schwer genug, andere Menschen zu verstehen; sich in ein Wesen hineinzuversetzen, das so grundlegend anders ist, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Und trotzdem, schon jetzt: ein Gefühl des Wiedererkennens, wann immer ich sie sehe.”
“Rosa” ist kein leichter, hoffnungsvoller Roman und auch nicht besonders spannungsgeladen – trotzdem habe ich die 240 Seiten innerhalb eines halben Tages inhaliert. Viggas misanthropische, leicht depressive und häufig sarkastisch-zynische Lebenseinstellung, die Melancholie (und auch eine große Portion Selbstmitleid), die aus jeder Seite tropft, erschaffen eine ganz eigene Stimmung, die in mir etwas angerührt hat.
Erst nach und nach bemerkt man, dass die Geschichte auf ein großes Ereignis zusteuert und dass es in diesem Buch nicht nur darum geht, wie Freundschaften sich verändern und was es mit einem macht, wenn man sich selbst isoliert und das Leben der Bezugspersonen plötzlich nicht mehr dem eigenen gleicht. Müsste ich den eigentlichen Inhalt des Buches in Schlagworten zusammenfassen, dann wären diese: Freundschaft, Mutterschaft, Zugehörigkeit, Sehnsucht, Einsamkeit. Aber auch die realistische Darstellung und die Widersprüchlichkeit von Aquarien wird immer wieder thematisiert.
“Das ist das Fiese an der Einsamkeit, jedenfalls so, wie ich sie kennengelernt habe: Sie sticht erst richtig zu, wenn man das Gegenteil erlebt hat.”
Gleichzeitig bietet Anne Cathrine Bomann keine Lösungen. Sie erzählt einfach nur. Sie erzählt von Vigga und ihren Schwierigkeiten, bietet uns durch Maiken eine Außenperspektive und lässt uns traurig und nachdenklich zurück. Durch Rosa und durch die naturwissenschaftlichen Exkurse in das Verhalten und die Anatomie eines Oktopus schafft sie weitere Deutungsebenen für das, was Vigga aktuell erlebt und wie sie ihre Umwelt interpretiert.
Ein Buch, das mich absolut begeistert hat (und das nicht nur wegen des Faktenwissens über Oktopoden) und noch lange in mir nachhallen wird.
“Drei Herzen, ein Regenwurm kann bis zu acht haben. Meiner Erfahrung nach ist es schwierig genug, auf eins aufzupassen.”
- Autor: Anne Cathrine Bomann
- Titel: Rosa
- Originaltitel: Akvariet
- Übersetzer: Franziska Hüther
- Verlag: Hanserblau
- Erschienen: 10/2024
- Einband: Hardcover
- Seiten: 240
- ISBN: 978-3-446-28145-7
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 15/15 dpt