Mathias Scherer – Mohatsch (Buch)

Mohatsch ist klein, aber raffiniert

In einem österreichischen Provinznest ist ein Kleinkind ermordet worden. Die Stimmung in der Bevölkerung ist extrem aufgeheizt. Ein unbeliebter Außenseiter wird verdächtigt. Ihm droht Lynchjustiz durch den aufgebrachten Mob. Doch die Umstände wirken mysteriös. Der Fall ist alles andere als klar. Also wird der Wiener Sonderermittler Mohatsch beauftragt, den Fall möglichst schnell zu lösen, auch um die Krise vor Ort zu entschärfen.

Ruhig und unaufgeregt begleitet Autor Mathias Scherer seine Hauptfigur bei dessen Ermittlungen. Die Handlung lässt sich auf Ende des 19. Jahrhunderts verorten. Scherer inszeniert das historische Setting mit gut recherchierten Details. Die behäbige Antiquiertheit der vergangenen Epoche bildet einen amüsanten Kontrast zur unserer heutigen hochdigitalisierten Realität. Man schmunzelt über die alltäglichen Situationen, in die Scherer seinen Protagonisten Mohatsch wirft, zum Beispiel als er ihn zentnerschwere Papierberge mit Archivmaterial sichten lässt, um einen Zeitungsartikel zu finden, oder er ihn den öffentlichen Nahverkehr als hochmodern loben lässt, weil dieser die 200 km zwischen Wien und Linz zu einer Tagesreise verkürzt.

In dieser altmodischen Kulisse wirkt die titelgebende Hauptfigur Mohatsch ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Völlig unbeeindruckt von politischen Hierachien nimmt er die Untersuchung auf, orientiert sich unbestechlich an den Fakten und lässt sich auch nicht anstecken durch politische Stimmungsmache oder schnelle Vorverurteilung eines Sündenbocks.

Das eigentliche Momentum der Erzählung liegt jedoch nicht in der Auflösung des Kriminalfalls und auch nicht darin, dass Scherer dafür in die phantastische Trickkiste greift, sondern in der sich daraus entwickelnden grundsätzlichen Fragestellung, inwieweit ein berechtigter Zweck ein eventuell fragwürdiges Mittel rechtfertigt. Scherer, im echten Leben Jurist, konfrontiert seine Leserschaft mit einem moralischen Dilemma, dessen Einordnung sowohl juristisch als auch ethisch an Grundsätzen rührt.

Auf diesem Höhepunkt der Geschichte lässt Scherer die Krimi-Handlung nun nahezu abrupt enden. Die stichhaltigen Argumente der Hauptfigur verklingen fast ungehört. Die Erkenntnis, dass die Menschen noch nicht reif genug sind, um aus der Wahrheit die richtigen Schlüsse zu ziehen, wird zu Mohatschs persönlichem Resümee. Angesichts der Ereignisse mag man ihm gerne folgen.

 

Mohatsch war davon überzeugt, dass das Denken der Mitmenschen seiner Zeit einfach noch nicht so weit war.

 

Doch das vermeintliche Ende ist nur eine Finte. Man darf sich nicht täuschen lassen durch Scherers angenehme, immer mit einem Schmunzeln unterlegte Erzählweise, die eine lockere Lektüre verspricht und auch einlöst. Man könnte sogar sagen, dass für Scherer die Kriminovelle nur eine nette Verpackung darstellt, um uns eine von der Handlung abweichende Sicht auf historische Verantwortlichkeit zu servieren.

Mit seinem Epilog knippst Scherer sozusagen das Licht an: Der bequemen Vorstellung, dass große historische Ereignisse nur durch Einzelne verantwortet werden, erteilt er eine gnadenlose Absage. Geschichte ist kein Ereignis, welches nur von Einzelnen initiiert und umgesetzt wird. Geschichte liegt in der Verantwortung aller. Alle menschlichen Verhaltensweisen tragen zum Geschehen bei. Die schlechten Verhaltensweisen führen zu schlimmen Ereignissen.

Mit seinem überraschenden Schlussakkord will der Autor vorallem zur Diskussion und zum Nachdenken einladen. Für meinen Geschmack hätte die Vorbereitung auf dieses extrem wichtige und komplexe Thema aber gerne ausführlicher ausfallen dürfen. So wirken einige die Kernaussage vorbereitende Szenen recht unvermittelt. Charaktere, wie Mohatschs Frau zum Beispiel, treten nur scherenschnittartig in Erscheinung. Das nimmt Mohatschts Streit mit ihr etwas von seiner Authentizität.

Alles in allem ist Scherers Geschichte ein gutes Beispiel für gelungenes Understatement. Der Erzählstil ist konventionell und gradlinig. Das moderate Tempo verheißt keine wilden Überraschungen. Die 112 Seiten lesen sich bequem weg und so ist man bereits fast durch wenn man plötzlich bemerkt, worauf der Erzähler eigentlich wirklich hinaus will.

Fazit: Perfekte Zwischendurchlektüre mit raffiniert platzierter Leser-Ansprache.

  • Autor: Mathias Scherer
  • Titel: Mohatsch
  • Verlag: Edition federleicht
  • Erschienen: Oktober 2024
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 115 Seiten
  • ISBN: 978-3689350086

Wertung: 12/15 dpt

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