Vor einiger Zeit habe ich “Der* ent_mündigte Lese:r” von Melanie Möller gelesen (die Besprechung findet ihr hier). Als nun “Macht Sprache” von Lucy Gasser erschien, dachte ich mir, dass dieses Buch vielleicht ein guter Gegenentwurf zu dem – mit Verlaub – grausigem “Werk” von Frau Möller sein könnte. Was ich gesucht habe, war eine differenzierte und plausible Auseinandersetzung mit der Wirkung von Sprache, natürlich unter Einbeziehung der aktuellen Gender-Debatte.
Fündig geworden bin ich diesmal leider auch nur teilweise, kann dieses Buch aber deutlich besseren Gewissens empfehlen, als das von Melanie Möller.
Lucy Gasser und Anna von Rath setzen sich mit den Projekten macht.sprache und poco.lit gegen diskriminierende Sprache bzw. mehr Sensibilität für diese und für mehr Sichtbarkeit postkolonialer Literatur ein. Auf der Grundlage und den Ergebnissen dieser Projekte und ihrer Arbeit als Übersetzerinnen basiert das Buch “Macht Sprache” – und wirkt leider letztendlich nur wie eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse.
Positiv hervorheben möchte ich, dass die Autorinnen deutlich dafür stehen, selbst nicht vor Fehlern gefeit zu sein – weil das in Bezug auf Diskriminierung wohl kaum möglich wäre. Alle Lebensrealitäten ebenbürtig zu berücksichtigen wird vermutlich niemals zufriedenstellend funktionieren, was aber nicht bedeutet, dass man es nicht zumindest versuchen kann. Dies wird im Buch anhand zahlreicher Beispiele erläutert.
“Aber wie sehr wir uns auch anstrengen, werden wir die Kluft, die zwischen angelesenem Wissen und gelebten Erfahrungen existiert, nicht überbrücken können. Unsere Bemühungen stellen einen fortlaufenden Prozess dar, der nie vollständig abgeschlossen sein wird. Das Lernen geht weiter.”
Das Buch scheint mehreres gleichzeitig zu wollen, bleibt dabei aber eher schwammig. So hat es einerseits den Anspruch, auch für Menschen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben, zugänglich zu sein, setzt aber immer wieder vertieftes Wissen voraus. Andererseits ist das Buch, für Menschen, die sich schon mehr mit diskriminierungskritischer Sprache auseinandergesetzt haben, bloß Wiederholung, kratzt oft nur an der Oberfläche und bietet kaum Neues.
Nichtsdestotrotz gehe ich mit den meisten Aussagen der Autorinnen voll mit – ein kritischer Umgang mit diskriminierender Sprache ist möglich und vor allem notwendig. Und er funktioniert ganz ohne Verbote, sondern über die Reflexion von Sprache.
“Wenn die Erfahrungswelten nicht geteilt werden, ist es umso notwendiger, sich für andere Perspektiven zu öffnen.”
Von einem “Manifest” hätte ich mir aber mehr erhofft. Mehr Biss, mehr Humor (der sogar ein eigenes Kapitel erhält, aber auch dort eher nichtssagend bleibt), mehr Klarstellung, warum Sprache ungerecht sein kann und das uns alle betrifft. So weiß ich jedoch nicht wirklich, wem ich dieses Buch empfehlen sollte: Für die interessierten Lesenden ohne Vorwissen ist es zu wissenschaftlich, die Beispiele sind teilweise recht abstrakt, für andere wäre es zu wenig in die Tiefe gehend.
- Autor: Lucy Gasser & Anna von Rath
- Titel: Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit
- Verlag: Ullstein
- Erschienen: 2024
- Einband: Hardcover
- Seiten: 240
- ISBN: 978-3-550-20291-9
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Wertung: 7/15 dpt