“Die Chinesin” ist ein gänzlich anderer Urlaubskrimi
Gerhard Beckmann, ehemaliger Abteilungsleiter im Bereich Organisierte Kriminalität beim LKA Berlin, hat sich auf Sardinien ein beschauliches Leben eingerichtet und trauert um seine Frau. Anja starb bei einem Autounfall, bei dem es sich jedoch um ein Attentat handelte, welches Beckmann selber galt. Drei Wochen ist es her, dass er seiner Tochter Doris diesbezüglich einen Brief geschrieben hat, geantwortet hat sie bis heute nicht. Bei einem abendlichen Treffen mit seinem Freund Lorenzo Farini, dem Maresciallo der Carabinieri von Porto San Paolo, erfährt er von diesem, dass er einen neuen Befehl aus der Kaserne in Olbia erhalten habe. Er solle dem Treiben chinesischer Frauen, die am Strand der Ostküste mit gesundheitlich zweifelhaften Massagen illegal arbeiten, Einhalt gebieten.
Gerade erst hat Beckmann eine solche Massage genossen. Xia hieß die junge Frau, die ihm dabei dringend riet, einen Doktor aufzusuchen. Im Krankenhaus wird ein Melanom entdeckt, kurzum, Xia hat ihm das Leben gerettet. Er will sich bei ihr bedanken, doch sie bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen drängt die attraktive Ärztin Francesca Lioni in sein Leben. Beckmann könnte im vielzitierten siebten Himmel schweben, doch dann wird die Leiche einer jungen Chinesin unweit des Strandes von Porto Taverna gefunden. Beide Arme wurden ihr an der Schulter abgehackt. Beckmann zieht Erkundigungen ein und stellt fest, dass selbst auf Sardinien die chinesische Mafia allgegenwärtig scheint.
Zweiter Teil der Gerhard-Beckmann-Trilogie
Nach „Verdeckte Spuren“ ist „Die Chinesin“ der zweite Teil der Gerhard-Beckmann-Trilogie, welche mit „Der Mann vom Meer“ ihren Abschluss finden soll. Jochen Brunow (Jahrgang 1950) arbeitete als Drehbuchautor („Berlin Chamissoplatz“, 1980) und startet nun eine späte „Karriere“ als Krimiautor. Erschien der erste Teil noch als „book on demand“, findet sich der hier vorliegende zweite Band in namhafter Autorengesellschaft bei ars vivendi wieder. Der Sprung in die Krimibestenliste sei der Form halber ebenfalls erwähnt.
Sardinien steht im Mittelpunkt dieses bildgewaltigen Romans und im ersten Drittel keimt zunächst der Verdacht, dass man es mit einem weiteren 08/15-Urlaubskrimi zu tun haben könnte. Weit gefehlt. Ja, Sardinien – Land, Leute und Kultur – wird durchgehend ausführlich beschrieben und ja, es ist schon ein idealer Roman, wenn man sich auf seinen Italien-Urlaub einstimmen möchte. Die Insel und deren Geschichte nehmen einen ordentlichen Umfang ein, aber dies in äußerst anspruchsvoller, informativer Weise. „Die Chinesin“ ist ein ruhig erzählter Krimi, der seine Längen (oder sind es Stärken) hat. Wer Action sucht ist hier falsch, wenngleich nach dem ersten Drittel die Handlung spürbar Fahrt aufnimmt.
„So ungefähr.“
„Um sie navigieren zu können, muss sie sich mit mehreren Satelliten verbinden, und dabei landen die Aufnahmen aller DJI-Drohnen auf der Welt in einer chinesischen Cloud. Auch dein wunderschönes Tal.“
„Lu Tartaruga ist nur von äußerst begrenzter strategischer Bedeutung, würde ich sagen.
Neben Sardinien erhält man einen Einblick in die Globalisierung, die unaufhaltsam voranschreitet. Im vorliegenden Fall, der Titel verrät es, geht es um China und deren Bemühungen, sich weltweit einzurichten. Wohlgemerkt nicht im Sinne der einfachen Menschen, sondern der Partei. Der einen Partei, die alles wissen will und deren Präsident Xi Jinping einen unlöschbaren Durst nach Macht und Einfluss hat. Chinesische Funktionäre wie die chinesische Mafia arbeiten, so scheint es, Hand in Hand. So werden denn auch der Maresciallo und seine Vorgesetzten immer wieder gekonnt ausgebremst. Oder stecken chinesische Mafia und italienische Polizei unter einer Decke? Xia befürchtet ihre Ermordung, denn bei der Toten handelt es sich um ihre ältere Schwester. Fragen drängen sich auf: Warum sollte jemand Xia bedrohen, ihr gar den Tod wünschen? Und wer ist überhaupt Xia, die sich durchaus selbst zu helfen weiß?
Ein atmosphärisch dichter Krimi (fünf Euro ins Phrasenschwein), dessen Spannung sich mit zunehmender Handlung mehr und mehr aufbaut. Dass bei einer Geschichte, in der es auch um Geheimbünde wie die chinesischen Triaden geht, vieles im Verborgenen bleibt, versteht sich von selbst. So rundet ein ungewöhnliches Ende einen lesenswerten Roman gekonnt ab.
- Autor: Jochen Brunow
- Titel: Die Chinesin
- Verlag: ars vivendi
- Umfang: 296 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juli 2024
- ISBN: 978-3-7472-0631-7
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Wertung: 12/15 dpt