Tad Williams wird unter Fantasy-Kennern als Großmeister beschrieben. Da ich bisher noch nichts von ihm gelesen habe, habe ich mit der Neuauflage der “Tinkerfarm”-Reihe, die eigentlich bereits 2009 erschienen ist, die Gelegenheit beim Schopf ergriffen.
Der Klappentext verspricht ein fast schon märchenhaftes Abenteuer: Tyler und Lucinda werden zu ihrem bisher unbekannten Großonkel auf’s Land geschickt, um auf seiner Farm die Ferien zu verbringen. Sie merken jedoch schnell, dass dort einiges nicht stimmt und es sich keineswegs um eine normale Farm handelt. Statt Kühen, Schweinen, Hühnern und Pferden gibt es dort nämlich Drachen, Einhörner und andere Fabelwesen! Aber auch die Angestellten der Farm verhalten sich merkwürdig und im Haus scheint es zu spuken …
Und wenn dann Christopher Paolini, der Autor von “Eragon”, das Buch mit den Worten: “Eine raffinierte Geschichte, geheimnisvolle Figuren, aber das Beste sind die Drachen!” empfiehlt, dann kann es ja eigentlich nur gut werden.
Schlecht fand ich das Buch auch nicht – es war nur ganz anders als ich erwartet hatte.
Lucinda und Tyler sind zwei ziemlich pubertäre Kids mit einer alleinerziehenden Mutter, deren größter Wunsch ein neuer Mann in ihrem Leben zu sein scheint. Um das zu verwirklichen schickt sie ihre Kinder dann sogar mehrere Wochen zu einem Großonkel, von dem sie selbst noch nie gehört hat. Während Tyler der typische Teenager ist, der am liebsten seine Ferien zockend vor irgendeiner Konsole verbringen würde, ist Lucinda das Klischee der überangepassten älteren Tochter, die immer wieder zwischen Genervtheit und Verantwortungsübernahme schwankt. Die Beschreibungen der beiden sind Williams und Beale gut gelungen und ich bin mir sicher, dass sich auch fünfzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung noch einige junge Leser*innen mit ihnen identifizieren können.
Aber auch das restliche Worldbuilding war zunächst weniger fantastisch als gedacht. Es stellt sich schnell heraus, dass die Fabelwesen der Farm keineswegs dazu geeignet sind, in näheren Kontakt mit ihnen zu treten, außer man möchte totgetrampelt, geröstet oder vergiftet werden. Das führt dazu, dass auch die vielbesprochenen Drachen erst ganz am Ende eine wirkliche Rolle erhalten.
In der Zwischenzeit wandelt sich die Geschichte mehr zu einem Mystery-Thriller oder Krimi als zu klassischer Urban Fantasy. Der Möglichkeiten seines Computers beraubt, entwickelt Tyler nämlich echten Spürsinn, entdeckt bei Streifzügen auf der Farm allerlei mysteriöse Dinge, deckt nach und nach die finsteren Machenschaften einiger Farmbewohner auf und bringt sich dabei immer wieder selbst in Gefahr. Aber auch Lucinda wächst über sich hinaus und beteiligt sich mutig an den riskanten Plänen ihres jüngeren Bruders. Letztendlich schaffen die zwei es in einem fulminanten Showdown, den Antagonist*innen erstmal das Handwerk zu legen und die Farm somit zu retten. Keine Frage, dass sie in den nächsten Ferien wiederkommen, oder?
Insgesamt hat mich das Buch gut unterhalten, aber gleichzeitig auch zu viel auf einmal gewollt: Fabelwesen, böse Spukhäuser, Hexen, korrupte Ganoven, indigene Mythen, Zeitreisen usw. waren für meinen Geschmack zu viel des Guten, wodurch auch die Atmosphäre etwas gelitten hat. Als Film könnte ich es mir aber sehr gut vorstellen!
Hier und da gab es ein paar Details, die für mich befremdlich wirkten. So wird z. B., obwohl es sich um eine Neuauflage handelt, nach wie vor von “Indianern” gesprochen. Auch, dass sich am Ende auflöst, dass ein um einiges älterer Mann eine junge Frau heiratet, die er kennt, seitdem sie ein Kind und er aber bereits erwachsen war, passt für mich nicht mehr.
Nichtsdestotrotz bin ich gespannt, in welches Abenteuer Lucinda und Tyler wohl im nächsten Band schlittern und ob die Drachen dann häufiger vorkommen.
Wertung: 8/15 dpt
- Autor: Tad Williams & Deborah Beale
- Titel: Die Drachen der Tinkerfarm
- Teil/Band der Reihe: 1 von 2
- Originaltitel: The Dragons of the Ordinary Farm
- Übersetzer: Hans-Ulrich Möhring
- Verlag: Hobbitpresse
- Erschienen: 2024
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 384
- ISBN: 978-3-608-98797-3
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