Ein Skandalroman aus den 1920er Jahren, den heute niemand mehr kennt. Die Autorin? Längst vergessen. Dies und dass Mareike Fallwickl das Vorwort für die Neuauflage geschrieben hat, haben mich neugierig gemacht. Denn wenn Frau Fallwickl ein Buch empfiehlt, kann man davon ausgehen, dass es gesellschaftspolitisch absolute Aktualität besitzt. Ein Klassiker also, der auch heute noch eine Botschaft vermittelt?
Worum es geht: Die junge Pat wird von ihrem Mann verlassen. Sie trauert ihm und dem Leben mit ihm lange nach, nutzt aber gleichzeitig auch die Möglichkeiten, die sich ihr im New York der 1920er Jahre bieten: Partys, casual sex, Karrieremöglichkeiten. Bei all dem Luxus bekommt sie aber auch die Nachteile zu spüren und erfährt, wie wichtig Freundschaft ist.
Nach der Lektüre kann ich sagen: Ja! So gut wie alles, was in diesem Buch thematisiert wird, ist auch 100 Jahre später noch etwas, womit sich Frauen herumschlagen müssen. Dieses Buch gibt uns also die Antwort auf die Frage, warum wir Feminismus auch heute noch brauchen: Weil sich kaum etwas verändert hat und diese Dinge immer noch passieren. Frauen werden immer noch auf ihren Ehestatus und ihre Produktionsfähigkeit reduziert, Männer denken immer noch, sie hätten ein Anrecht auf den Körper einer Frau, Vergewaltigung wird stillschweigend hingenommen und die Schuld bei sich selbst gesucht, Familie und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen ist immer noch schwierig, den “Wert” eines Mannes mindert es keineswegs wenn er viele Sexualpartnerinnen hat, den einer Frau aber definitiv (zumindest in den Augen der Männer) und Schönheit und Jugend sind wichtiges Kapital für Frauen. Wer sich jetzt über die Generalisierung aufregen und #notallmen krakeelen möchte oder meine Darstellung für übertrieben hält, der soll sich bitte einfach in den Kommentarspalten auf facebook und instagram umschauen. Maybe not alle men but all women.
Beworben wird das Buch mit “Sex and the City meets The Great Gatsby”. Nun bin ich ein Kind der 90er, als “Sex and the City” anlief war ich 7 Jahre alt. Stattdessen habe ich mich sehr an “Gossip Girl” erinnert gefühlt: Skandale, Intrigen, turbulente Frauen-Freundschaften. “Der große Gatsby” hingegen ist einer meiner Lieblings-Klassiker und das mondäne Lebensgefühl der 20er hat es mir angetan. Ein Geschmäckle hat für mich allerdings, dass der Verlag das Buch auch gemeinsam mit einer Gin-Marke bewirbt. Auch wenn wir in puncto Feminismus nicht viel dazugelernt haben, so wissen wir mittlerweile doch zumindest, dass der exzessive Alkoholkonsum damals (der auch im Buch eine große Rolle spielt), nicht unbedingt erstrebenswert ist. Vorbildlich finde ich jedoch die Anmerkung nach dem Vorwort, dass die Inhalte im Buch nicht mehr unbedingt den heutigen moralischen Standards und Werten entsprechen und im damaligen zeitlichen Kontext gelesen werden müssen. Das würde ich mir bei viel mehr Klassikern, gerade von heute eher unbekannteren Autor*innen, wünschen. Sprachlich ist nämlich nicht erkennbar, dass das Buch bereits vor fast 100 Jahren verfasst wurde.
“Große Liebhaber – Männer, die `hundert Frauen gekannt haben ´ und sich damit brüsten -, sie erinnern mich an den Mann, der Musiker werden wollte und eine Unterrichtsstunde für jedes Instrument des Orchesters genommen hat.” […]
“Was ist aus ihm geworden, Lucia?” […]
“Am Ende konnte er auf keinem einzigen eine Melodie spielen, Pat.”
Ursula Parrott hatte selbst ein recht bewegtes und wohl nicht immer glückliches Leben. Der Roman greift Dinge auf, die sie selbst erlebt hat. Einerseits macht es Spaß zu lesen, wie diese junge Frau sich ihrer selbst bemächtigt, andererseits ist es teilweise bedrückend zu lesen wenn sie an Grenzen stößt (vor allem mit dem Wissen, dass diese Grenzen auch heute noch für junge Frauen bestehen) und wie viele Irrungen sie gehen muss um letztendlich herauszufinden wer sie ist und wer sie sein möchte.
Als der Roman 1929 herauskam galt er als Skandal. Parrott spricht darin ganz offen über Sex, lässt ihre Protagonistin promiskuitiv leben und gibt auch einer lesbischen Frau eine Rolle. Sie lässt sie die verschiedensten Liebesbeziehungen zu unterschiedlichsten Männern durchlaufen, lässt sie an dem Verlust ihrer ersten großen Liebe verzweifeln und sich schlecht bvehandeln, bis sie letztendlich das findet was sie braucht. Sie lässt sie Schicksalsschläge überstehen, und das nicht zuletzt weil sie solidarische Frauen-Freundschaften pflegt und die Männer, mit denen sie sich anfreundet, sorgfältig auswählt.
“Und ich hatte jemanden gefunden, mit dem ich wirklich reden konnte, nach all den Jahren, in denen ich mich bloß unterhalten hatte.”
Abschließend betrachtet, hat dieses Buch nichts feministisches – zumindest nicht nach unseren Standards. Es strotzt vor misogynen Denkweisen und davon wie wir Frauen uns für die Aufmerksamkeit eines Mannes verbiegen. Gleichzeitig glorifiziert es dies aber nicht, ist ein Buch über Liebeskummer und die große Bedeutung von Frauenfreundschaften und damit nach wie vor aktuell.
Zum Schluss möchte ich noch eine Content Note für die Darstellung von Freiheitsberaubung und Vergewaltigung aussprechen.
- Autor: Ursula Parrott
- Titel: Ex Wife
- Originaltitel: Ex Wife
- Übersetzer: Tilda Engel
- Verlag: Fischer
- Erschienen: 2024
- Einband: Hardcover
- Seiten: 320
- ISBN: 978-3-949465-28-4
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
- Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 13/15 dpt