Wayne Johnson – Das rote Kanu (Buch)


Gefangen im Teufelskreis

Das rote Kanu
© Polar

Buck, der in einem katholischen Internat den Namen Michael Fineday erhielt und in Wirklichkeit den Ojibwe-Namen Miskwa’doden, Roter Hirsch, trägt, ist des Lebens überdrüssig. Die Scheidungspapiere seiner von ihm getrennt lebenden Frau Naomi hat er vorliegen, ein Münzwurf soll nun über Leben und Tod entscheiden. Doch immer wieder kommt Kopf statt Zahl; also Leben. So arbeitet der Tischler weiter in seiner Werkstatt einsam vor sich hin bis plötzlich die fünfzehnjährige Lucy auftaucht. Sie lebt im Reservat in einem heruntergekommenen Trailer allein mit ihrem Vater, nachdem die Mutter bei einem Unfall mit Fahrerflucht starb. Lee Walters, ihr Vater und Polizist im Shakopee Police Departement, hat seit dem Irakkrieg eine posttraumatische Belastungsstörung gepaart mit Drang zum Alkohol. Sein bester Freund und Arbeitskollege Arn kümmerte sich nach dem Tod von Lucys Mutter um Lee und seine Tochter, auf die er auch aufpasste, wenn Lee in Nachteinsätzen unterwegs war. Was Lee nicht weiß; seine Tochter wird von „Onkel Arn“ und anderen Polizeikollegen seit Jahren sexuell missbraucht.

Erstens, du wirst rein gar nichts unternehmen.“
„Was genau hatte ich denn vor?“
„Genau das, was ich tun würde.

Lucy sucht Hilfe und freundet sich mit Buck an, was anfangs schwierig ist. Beide haben eine belastende Vorgeschichte, niemand möchte sich richtig öffnen. Als jedoch Lucys beste Freundin Jean durch eine Überdosis stirbt, wird Lucy klar, dass man offenbar auch hinter ihr her ist. Doch an wen soll sie sich wenden, wenn die Täter Polizisten sind? Sollte sie ihren Vater einweihen, so würde man diesen kurzerhand töten. Buck, zeitlebens ein Helfer par excellence, erkennt die Notlage und steht bereit. Allerdings müsste man erst einmal wissen, wer genau der übermächtig scheinende Gegner ist, denn Arn ist ja nicht allein. Hilfe winkt von Lucys Schulfreunden Booker und Ryan, die den ersten Übergriff auf Lucy beobachten konnten.

Von leisen Krimitönen zum krachenden Actionthriller

„Das rote Kanu“ ist ein zweigeteilter Roman. Zunächst widmet sich Wayne Johnson ausführlich seinen Figuren und dem Sujet, wobei er mit vermeintlichen Klischees bewusst nicht spart. Da sind der schwarze, selbstsichere Booker, der asiatische Besserwisser Ryan und die weißen, bösen Cops. Inhaltlich werden derweil überwiegend unschöne Themen aufgetischt: Rassismus, Frauenhass, Missbrauch und nicht zuletzt Pädophilie. Hier besonders unappetitlich, weil jene, die eigentlich helfen sollen, die Bösen sind. Zunächst erfahren wir in wohldosierten Dosen von Lucys Leidensweg sowie von Bucks Helfersyndrom, das schon seine Ehe vernichtet hat, da er mehr für andere, denn für sich selbst tätig war. Oder für Naomi. Was zunächst wie ein Kriminalroman mit äußerst leisen Tönen daherkommt, entwickelt sich in der zweiten Hälfte zu einem furiosen Actionkracher.

Du bist hergekommen, um rauszufinden, ob er dir wirklich helfen kann. Buck. Tja, ich kann dir sagen, dass mich dieser Gedanke regelrecht in Panik versetzt.“
„Wieso?“
„Weil Buck ein Heiliger ist.“
„Und?“
„Du weißt, was mit Heiligen passiert, oder? Ich meine, Heilige, die nie lockerlassen.“
„Was?“
„Die werden zu Märtyrern, und manchmal, wenn es richtig scheiße läuft, auch die, die ihnen nahestehen.

Hauptort der Handlung ist Shakopee in einem Reservat der Ojibwe in Minnesota, denen Buck und Lucy angehören. Erst spät, nachdem sie gegenseitig Vertrauen aufgebaut haben, unterhalten sie sich in ihrer alten Sprache. Im Geiste fühlen sie sich jedoch von Beginn an verbunden. Lucy erkennt, dass Buck ihr helfen kann, während Buck bei Lucys erstem Erscheinen sofort merkt, dass diese seine Hilfe benötigt. Ein Plan muss her und dieser kann, angesichts der Täter, wie erwähnt Polizisten, und deren unbekannter Anzahl, nur in einem außergewöhnlichem Finale enden.

Buck würde ihr helfen. Da oben. Wo es keine Überwachungskameras gab, keine Zeugen, gar nichts.

Viele Fragen bleiben bewusst unbeantwortet, die Figuren und ihre Hintergründe – vor allem bei Buck – verweilen oft im Ungefähren. Soll sich der Leser seine Gedanken machen. Es ist wie bei einem Horrorfilm. Die Szenen, in denen Dinge nur angedeutet, aber nicht direkt gezeigt werden, sind meist die besonders schockierenden. So auch hier. Es gibt keine expliziten Vergewaltigungsszenen, gleichwohl zum Showdown ein recht blutiges Spektakel.

„Das rote Kanu“ ist ein vielschichtiger und eindringlicher Roman, auf den man sich in Ruhe einlassen sollte. So wie der stoische Buck auf die impulsive Lucy. 

  • Autor: Wayne Johnson
  • Titel: Das rote Kanu
  • Originaltitel: The Red Canoe. Aus dem Amerikanischen von Karen Witthuhn. Mit einem Nachwort von Jon Bassoff.
  • Verlag: Polar
  • Umfang: 396 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Juli 2024
  • ISBN: 978-3-910918-02-3
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt


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