Mit der Institutionalisierung der Rechtsradikalen durch die AfD als politischer Kraft wächst das Unbehagen, so manchem schwant, dass die Literaturbranche in diesem gewalttätigen »Diskurs« nur verlieren kann.
Booknerds: Das Aktionsbündnis „Verlage gegen Rechts“ gibt es seit 2018. Auf der Website ist nachzulesen, wie es zur Gründung kam als Reaktion auf Ereignisse auf der Buchmesse in Leipzig. Magst du kurz erzählen, was da genau los war?
Mario Pschera: Da war vor allem der überdimensionierte Stand des »Compact Verlages« mit einer martialisch auftretenden eigenen Security, der eine geradezu einschüchternde Präsenz hatte. Dort bot der einstige Trotzkist und nunmehr frischgebackene Nationalist Jürgen Elsässer sein verschwörungspralles und dem NS zugeneigtes Magazin feil. Dazu kamen einige rechtsextreme Kleinverlage. Smarte Jungmannen raunten jedem, der es nicht hören wollte, ihre Theorien über den »Großen Bevölkerungsaustausch« ins Ohr, verteilten Pamphlete. Mitarbeiter:innen und Besucher:innen nichtrechter Verlage wurden belästigt, die Atmosphäre in der eigentlich wuseligen Halle 5 wurde immer bedrückender. Besonders bizarr wurde es, als bei einem Protest von Verleger:innen und Besucher:innen am Compact-Stand ein ziemlich durchgeknallter Typ in einem »Die Linke«-T-Shirt auf den Standtresen kletterte und die Protestierenden mit wirren Parolen und »Nazis raus«-Rufen bebrüllte. Im Prinzip lief auf der Messe genau das ab, was seit Jahrzehnten vor allem, aber nicht nur in ost- und westdeutschen Kleinstädten und Dörfern abläuft: Die organisierte Rechte nimmt sich Stück für Stück den öffentlichen Raum, macht ihre Ideologie und ihren Diskurs zur Normalität und bedroht diejenigen, die auf dem demokratischen Minimalkonsens beharren.
Booknerds: Auch im Folgejahr gab es Proteste gegen die Messeveranstalter, weil diese rechten Verlagen wiederholt eine Bühne boten. Von offizieller Seite wird dabei immer mit der „Verpflichtung zur Neutralität“ argumentiert. Eine Einstellung, die ihr als Verlage teilt?
Mario Pschera: Eine Messe soll immer das ganze Meinungsspektrum abbilden können und dürfen. Dazu gehören auch kontroverse Inhalte, in diesem Sinne hat die Messe Neutralität zu wahren. Neutralität heißt allerdings nicht, die Verächter der Vielfalt, die ganz offen sagen, dass die Demokratie nur ein Mittel zur Abschaffung derselben ist, einfach machen zu lassen.
Dass passive Neutralität nicht funktioniert, zeigte sich auf der Frankfurter Buchmesse, als eine rechtsradikale Veranstaltung auf der Messe wegen Propagandadelikten abgebrochen werden sollte und der Messechef Jürgen Boos, der sein Hausrecht ausüben wollte, ausgelacht und ausgepfiffen wurde. Man wird Faschisten nicht mit höflichen Worten veranlassen können, den Platz zu räumen und sich an demokratische Spielregeln zu halten. Anstatt klarer Worte war die Pressemeldung der Messe dazu beschämend abwiegelnd.
Wenn ein rechtsradikaler Politiker wie Höcke auftaucht, werden ganze Messehallen durch die Polizei abgeriegelt, der normale Betrieb kommt zum Erliegen. Als am Stand der »Jungen Freiheit« eine Veranstaltung stattfand und der vorbeigehende Trikont-Verleger Achim Bergmann eine abfällige Bemerkung machte, erhielt er einen gezielten Faustschlag ins Gesicht und wurde anschließend von Jungfaschisten an seinem Stand belästigt. Die Messeleitung hat auch hier keine Konsequenzen gezogen. Marlene Dietrich hat mal gesagt, dass sie aus Anstand Antifaschistin geworden sei. Wem dieser Anstand abgeht, der kann sich zumindest an den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes orientieren.
Booknerds: Für Museen und Büchereien gibt es Richtlinien für den Umgang mit rechter Literatur und ihren Akteur:innen. Sollte es das auch für die Ausrichter von Messen geben?
Mario Pschera: Bei den bekannten rechten Akteur:innen lässt sich selbst für den juristischen Laien relativ einfach erkennen, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden, da darf ruhig auch mal ein Verfassungsschutzbericht als Orientierung herangezogen werden. Schwieriger wird es in dem Graufeld, in dem Alt- und Neurechte mit scheinbar unverfänglichen Begriffen und Rahmensetzungen operieren, wo Brücken zum konservativen Spektrum gebaut und Themenfelder rhetorisch besetzt werden. Die Rechte ist über die Jahrzehnte recht gut in den Methoden der Kommunikationsguerilla geübt, Stimmungen aufzubauen und kontrafaktisch zu argumentieren. Ein Leitfaden für den Umgang mit solchen Akteur:innen wäre sicher hilfreich, mehr noch aber Schulungen, um diese Muster und Methoden zu erkennen und daraus folgend nachvollziehbare und gerichtsfeste Entscheidungen zu treffen. Das mag mühsam sein, entzieht aber der Rechten den kalkulierten Opfergestus.
Die Messe muss nicht politisch werden, aber die Menschenrechte sollten ihr Leitlinie sein.
Booknerds: Die nächste Frankfurter Buchmesse mit Gastland Italien könnte in diesem Zusammenhang also zum besonderen Stresstest werden?
Mario Pschera: Nun werden zu dieser Messe sicher nicht die »Fratelli d’Italia«-Verlage den Gastlandauftritt dominieren, aber es wird heikel, wenn Mussoliniverehrer:innen in offizieller Mission Reden halten. Ihre deutschen Brüder und Schwestern im Geiste werden trotz einiger Differenzen diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, sich selbst in Szene zu setzen. Die Messe wäre gut beraten, sich auf genau solche Situationen einzustellen und Strategien zu entwickeln, wie man derartige Provokationen unterbindet und gleichzeitig dem diplomatischen Protokoll Genüge tut. Sie wäre ebenso gut beraten, bereits im Vorfeld der Messe deutlich zu machen, für welche Werte sie, die Messe, steht. Die Freiheit des Wortes ist zu abstrakt, auf die berufen sich auch die Demokratiefeinde, wenn sie mit Widerrede konfrontiert werden. Es darf schon konkret werden und beginnt beim Schutz von Menschenleben an der EU-Außengrenze. Die Messe muss nicht politisch werden, aber die Menschenrechte sollten ihr Leitlinie sein.
Booknerds: Wie sieht die Arbeit des Aktionsbündnisses aus? Wer unterstützt die Arbeit? Welche Inhalte formuliert ihr?
Mario Pschera: Das Aktionsbündnis besteht aus lauter Ehrenamtlichen, die sich neben ihrer eigentlichen, recht anspruchsvollen Arbeit engagieren. Dementsprechend tauschen wir uns per Rundmail, Videokonferenz und gelegentlich auch bei persönlichen Treffen aus. Wir arbeiten kampagnenorientiert, versuchen aber dennoch, Kontinuität in diese Arbeit zu bringen, sie auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Die Gewerkschaften unterstützen uns, Buchhändler:innen, Blogger:innen, jeder, der hilft, unser Anliegen vor Ort sichtbar zu machen. Die Inhalte unserer Aktion sind die unserer Bücher in ihrer ganzen Vielfalt. Oder anders gesprochen: Dem manichäischen, endzeitlichen rechten Weltbild in Schwarzweißschemata setzen wir die Bejahung des Lebens in seiner ganzen Komplexität, Widersprüchlichkeit und Schönheit entgegen. Wer Probleme lösen will – und davon haben wir mehr als genug – braucht Verstand, Phantasie, Assoziationskraft, Einfühlungsvermögen, Faktenkenntnis, muss in der Lage sein, auch die eigene Position immer wieder in Frage zu stellen, Interessenskonflikte auszuhandeln, flexibel zu sein. Genau dafür ist Literatur da, und genau deshalb vergeht sich die Rechte immer dort, wo sie die Macht dazu hat, zuerst an der Kultur. Führerkult und freies Denken gehen nicht zusammen, die Rechte braucht die Gleichschaltung, die subtile wie gewaltsame Niederhaltung des Widerspruchs. Das löst zwar keine Probleme, zementiert aber undemokratische Machtverhältnisse. Unsere Plakatkampagne »Bücher, die wissen, wo sie stehen« macht sichtbar, dass Literatur nicht auf bloße Unterhaltung zu reduzieren ist, dass sie immer auch Wissen und Werte vermittelt. Und der rege Zuspruch zeigt, dass die Mehrheit der Buchhändler:innen und Leser:innen diese Haltung teilen und unterstützen.
Booknerds: Wie hat sich das Klima in der Branche seit dem Erstarken der Extremen Rechten verwandelt?
Mario Pschera: Man muss sich nichts schönreden, rechte Verlage und rechte Inhalte gab es auch schon vor dreißig, vierzig, sechzig Jahren. Manches blieb in der Schmuddelnische, manches gelangte über Lektor:innen ohne Anstand (um auf Marlene Dietrich zurückzugreifen) in großen Publikumsverlagen zu beträchtlicher Publikumswirkung. Man denke an Thilo Sarrazins gedruckte Pamphlete, die jeder Wissenschaftler mit Berufsethos in der Luft zerrissen hätte. Schreibende Scharlatane wie Gerhard Konzelmann oder Peter Scholl-Latour pflegten mit ihren schlichten, großzügig die Fakten ignorierenden Büchern einen herablassenden Rassismus und prägten die bundesdeutsche Gesellschaft. Aber solange nur die »Anderen« herabgewürdigt wurden, meinte die Branche das tolerieren zu können. Mit der Institutionalisierung der Rechtsradikalen durch die AfD als politischer Kraft wächst das Unbehagen, so manchem schwant, dass die Literaturbranche in diesem gewalttätigen »Diskurs« nur verlieren kann.
Booknerds: Welche Auswirkungen würdet ihr als Verlag erwarten, wenn Extreme Rechte Politik an staatliche Macht käme?
Mario Pschera: Dafür braucht es keinen Blick in die Glaskugel, nur auf die Länder mit extrem rechten Regierungen wie etwa Polen unter der PiS, Ungarn, Russland, die Türkei oder seit kurzem die Slowakei: erst kommt die Diffamierung als »kulturzersetzend«, »volksverräterisch«, »artfremd«, dann werden Mittel für Übersetzungen, Veranstaltungen etc. gestrichen, die Literaturkritik auf Linie gebracht, Prozesse angestrengt, Titel verboten, Buchhandlungen und Bibliotheken gesäubert und Verlage wirtschaftlich ruiniert. Das kann schleichend oder auch abrupt passieren, aber es wird passieren. Die heimattümelnde Unterhaltungsliteratur, ein wenig Esoterik und Ratgeber dürfen bleiben.
Booknerds: Welche Auswirkungen spüren Verlage vielleicht jetzt bereits in Regionen, in denen z.B. AfD-Politiker:innen in Stadtparlamenten u.ä. sitzen?
Mario Pschera: Wir selbst haben diese Erfahrungen noch nicht gemacht, aber wenn Etats für Theater, Bibliotheken, Kulturorte verhandelt werden, wird dort zuerst gestrichen, weil dort eben diese unberechenbare, freigeistige Literatur stattfindet, alles das, was den AfD-Leuten als »linksgrünversifft« gilt. Autor:innen und Verlage leben natürlich auch von diesen Veranstaltungen, der Buchverkauf macht ja nur einen Teil der Einnahmen aus. Gravierender ist die Diskursverschiebung zu einer rechten »Normalität«, wo es dann auch keinen mehr juckt, wenn die »Unnormalen« oder die »von außen« mal eine auf’s Maul kriegen und sich niemand mehr traut, etwas dagegen zu sagen. Letztlich werden dann auch diese Kulturorte verschwinden.
Booknerds: Außerhalb von Messezeiten – gibt es Berührungspunkte mit rechten Verlagen und/oder Leser:innen aus dem rechten Umfeld?
Mario Pschera: Wenn man von den sozialen Medien absieht, wo gern gepöbelt und gemobbt wird, gibt es immer wieder Zwischenfälle, wie etwa bei dem Berlin-Rudower Buchhändler, dem die Schaufensterscheibe eingeschlagen und das Auto angezündet wurde, oder Parolen an Buchhandlungen. Aber das würde ich nicht Berührungspunkte nennen. Interessanter sind solche Fälle, wo rechtsradikale Diskurse von linken oder auch »unpolitischen« Verleger:innen und Leser:innen übernommen und irgendwie »auf links« gedreht werden. Etwa in einer Publikation, in der »Gendergedöns« und »Wokismus« für den Abstieg der klassischen Linken verantwortlich gemacht werden, und wo sich nach kurzer Recherche herausstellt, dass die Autoren im neurechten Milieu in Sachsen-Anhalt zuhause sind. In einer linken Tageszeitung findet sich unkommentiert der Begriff vom »eurasischen Großraum von Lissabon bis Wladiwostok«, der exakt so von dem faschistischen Ideologen Alexander Dugin seit dreißig Jahren gepredigt wird. Die angebliche »Israel-Hörigkeit« der Politik wegen des deutschen »Schuldkomplexes« (Ronen Steinke hat in der Süddeutschen Zeitung vom 28.6. zu dieser Behauptung deutliche Worte gefunden), die Behauptung, die NATO habe Russland zur Invasion in der Ukraine quasi genötigt und die Krim und der Donbas seien freiwillig zu Mütterchen Russland zurückgekehrt. Jenes Russland, dass seit vielen Jahren rechtsradikale Bewegungen in ganz Europa mit viel Geld unterstützt, AfD-Politiker wie Staatsgäste empfängt, aber auch mal ein paar Scheinchen an Politiker der Tories spendet, ist ein wesentlicher Akteur in dem Versuch, sämtliche demokratischen Errungenschaften – die ja gegen den Widerstand der Herrschenden erkämpft werden mussten –, verächtlich und letztlich rückgängig zu machen. Wenn ein »antiwestliches« Ressentiment auf Sowjetnostalgie trifft (die durchaus oft auf freundschaftlichen Begegnungen und kultureller Verbundenheit beruht), ergibt das eine brisante Mischung, in der rechte Verschwörungserzählungen besonders gut gedeihen.
Als vor einiger Zeit auf einem Lyrikmarkt eine ältere Dame auf mich zukam und raunte, dass man »in dieser Diktatur ja nichts mehr sagen dürfe«, sah sie ein paar zweisprachige Titel und fragte, ob ich ihr auf Russisch etwas vorlesen könne. Ich wählte ein Spottgedicht auf den Großen Diktator im Kreml aus, sie schloss verzückt die Augen und verstand kein Wort. Auf meine Frage hin, ob sie sich gerade bedroht fühle, schaute sie irritiert. Dass ihr der augenscheinliche Widerspruch zwischen ihrem Raunen und der Realität aufgefallen ist, war in dem Moment nicht auszumachen. Aber es gibt immer wieder Begegnungen, wo man intensiver solchen vermeintlichen Gewissheiten etwas entgegensetzen muss. Das ist ein mühseliges und zuweilen ermüdendes Geschäft, aber Aufklärung war noch nie ohne Anstrengung zu haben. Und es wird nicht allein Aufgabe der »Verlage gegen Rechts« sein, Halbwahrheiten und faustdicke Lügen, rechte Mythen und Märchen zurückzuweisen und ihnen den Resonanzraum zu entziehen. Das ist auch Aufgabe der Medien und politischen Institutionen, ohne Hysterie und clickbaitfähige Forderungen sachlich und entschieden den Demokratieverächtern entgegenzutreten. Dann klappt das auch mit der resilienten Zivilgesellschaft, die gern beschworen, aber dann doch zu oft als Akteur nicht ernstgenommen wird und sich lieber »neutral« verhalten soll.
Booknerds: Vielen Dank für das Teilen deiner Erfahrungen!
Das Interview mit Mario Pschera führte Britta Röder.