Büchermenschen gegen Rechts – Interview mit Verlagsleiterin Susanne Katharina Schüssler


Wagen wir es, komplizierte, unbequeme (auch für uns selbst) Bücher zu machen oder kapitulieren wir vor dem Wunsch nach „cosy“ und Eskapismus?

Booknerds: Vielen Dank, liebe Frau Schüssler,  für die Teilnahme an unserer booknerds-Gesprächsreihe „Büchermenschen gegen Rechts“. Ist die Diskursverschiebung, wie sie in Gesellschaft und Politik zu beobachten ist, auch innerhalb der Verlagsbranche angekommen? Wenn ja, woran machen Sie das fest. Wie hat sich das Klima in der Branche seit dem Erstarken der Rechten verwandelt?

Susanne K. Schüssler: Mehr und mehr Titel zu politischen und gesellschaftlichen Themen tauchen in den Programmen der Verlage auf. Als wir 2008 unsere Reihe Politik wiederbelebt haben, waren wir auf einsamer Flur.

Vor allem der Buchhandel spürt die Veränderung: Der Ton bei manchem Kunden wird aggressiver.

Booknerds: Welche Auswirkungen würde Ihr als Verlag erwarten, wenn extreme Rechte Politik an staatliche Macht käme? Bzw. welche Auswirkungen spüren Verlage vielleicht jetzt bereits in Regionen, in denen z.B. AfD-Politiker:innen in Stadtparlamenten u.ä. sitzen?

Susanne K. Schüssler: Bereits jetzt bleiben Gruppen mit verschiedenen politischen Auffassungen in ihrer „Blase“. Gesellschaftlicher Austausch und allgemeine Diskussion sind immer weniger möglich. Würde an kulturpolitischen Entscheidungsstellen – etwa Rundfunkrat, Filmförderung, Subvention von Museen, Theatern etc. – die AfD mitbestimmen, würde vieles nicht mehr stattfinden: Weil es nicht mehr finanziert würde, weil es die Verantwortlichen nicht mehr verantworten wollen (oder können, siehe Peter Laudenbach, „Volkstheater“) oder weil die Adressaten sich nicht mehr trauen, das Angebot wahrzunehmen.

Booknerds: Außerhalb von Messezeiten – gibt es regelmäßige Berührungspunkte mit rechten Verlagen und/oder Leser:innen aus der rechtspopulistischen/rechtsextremen Szene? Zum Beispiel auf Social Media? Wie geht der Verlag damit um?

Susanne K. Schüssler: Bisher wurden wir – mit einer Ausnahme – in Ruhe gelassen.

Booknerds: Der Wagenbach Verlag blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, in der das Recht auf publizistische Freiheit einen besonderen Stellenwert einnimmt. In den 1970er Jahren war der Verlag sogar gezwungen auf juristischen Weg darum zu kämpfen, Texte publizieren zu dürfen, die als umstritten galten. Für jeden, der Bücher publiziert sind Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit eine unverzichtbare Voraussetzung.
Auch Rechtspopulisten reklamieren dieses Recht für sich.
Wie können wir die Grenzen unserer Toleranz definieren ohne den legitimen Anspruch auf diese Freiheit zu untergraben?
Wo müssen die Grenzen für unsere Toleranz sein?

Susanne K. Schüssler: Gerne würde ich antworten: Die Grenzen werden durch unser Grundgesetz und das Strafrecht gesetzt. Bei korrekter Anwendung (oder nach heutigem Verständnis?) wäre der Verlag in den 1970er Jahren nicht strafrechtlich verfolgt und verurteilt worden. Inzwischen glaube ich, die Zivilgesellschaft muss die Toleranzschwelle niedriger setzen.

Booknerds: Die großen Publikumsverlage müssen um der Wirtschaftlichkeit willen ein sehr Mainstream-orientiertes Programm anbieten. Ist es für kleinere und vor allem unabhängige Verlage einfacher, sich gegen rechts abzugrenzen, weil man nicht allen gerecht werden muss/möchte?

Susanne K. Schüssler: Müssen die großen Verlage das? Die Frage geht an der Realität vorbei. Mainstream (75-80%) sind ja noch immer die Nicht-AfD-Wähler. Da geht es nicht um rechte oder linke Inhalte, vielmehr um die Frage: Wagen wir es, komplizierte, unbequeme (auch für uns selbst) Bücher zu machen oder kapitulieren wir vor dem Wunsch nach „cosy“ und Eskapismus?

Booknerds: Eines der Schwerpunkte im Verlagsprogramm ist italienische Literatur. Nun wird das Gastland der Buchmesse in Frankfurt 2024 Italien sein. In Italien regiert mit der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine faschistische Partei. Wird Wagenbach darauf besonders reagieren?

Susanne K. Schüssler: Interessant ist, dass bisher weder queere, linke oder sonst im Visier stehende Autorinnen oder Autoren aus der Delegation ausgeschlossen wurden. Ich freue mich, dass da offenbar eine bunte Bande zusammenkommt, die Italien repräsentiert. Wir haben eine ganze Reihe von Büchern, die politisch Stellung beziehen, ich will nur zwei nennen: Victoria de Grazias „Der perfekte Faschist“, eine messerscharfe Analyse von Macht und Gesellschaft in Mussolinis Italien, und „Drei Schalen“, Michela Murgias letztes Buch. Sie war in ihren letzten Lebensmonaten eine der schärfsten und populärsten Stimmen der außerparlamentarischen Opposition.

Booknerds: Herzlichen Dank für das Interview!

Das Gespräch führte per E-Mail Britta Röder.

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