„Yellowface“ aus dem Eichborn-Verlag ist ein Buch, auf dessen Veröffentlichung ich schon seit Erscheinen der englischen Ausgabe hingefiebert habe.
Letztes Jahr habe ich „Babel“ von der Autorin gelesen, war zutiefst beeindruckt und auf einen zeitgenössischen Roman von ihr sehr gespannt.
„Yellowface“ ist sowohl bzgl. des Genres, aber auch bzgl. des Sprachstils komplett unterschiedlich zu „Babel“ und lässt sich wirklich leicht lesen – ich bin gerade zu durch die Seiten geflogen. Wer damals also von „Babels“ eher wissenschaftlichem Stil abgeschreckt war, kann jetzt beruhigt zu „Yellowface“ greifen.
Oder auch zu „Die letzte Front“ von Juniper Song. Oder doch Athena Liu? Wer nämlich den schreiend gelben Umschlag des Buches abnimmt, wird mit einer Goldprägung auf dem Cover überrascht, das den Titel des Buches, um das es in „Yellowface“ geht, und die zweifelhafte Autorinnenschaft, benennt. Fand ich persönlich eine witzige Idee des Verlags!
Aber worum geht‘s eigentlich?
June Hayward ist eine wenig erfolgreiche, neiderfüllte und selbstmitleidige junge Autorin. Als die berühmte chinesisch-amerikanische Autorin Athena Liu tragisch ums Leben kommt, ist June zufällig dabei – und nimmt ein unfertiges Manuskript von Athena an sich …
June überarbeitet das Manuskript und veröffentlich es unter dem Namen Juniper Song.
June ist keine sympathische Heldin. Im Gegenteil: sie ist neidisch, selbstmitleidig und -herrlich, skrupellos, rassistisch und giert nach Macht und Ruhm.
Und trotzdem, war sie mir nie komplett unsympathisch. Im Gegenteil fand ich es eher überraschend gut, dass ihre Gedanken ungefiltert dargestellt werden – denn wenn wir ehrlich zu uns sind, kann sich wohl niemand davon frei machen, neidisch auf eine Person zu sein, die alles hat, was wir gerne hätten, uns bisher aber verwehrt bleibt.
Junes Problem ist nur, dass sie diese Gefühle nicht reflektiert und immer völlig gefühlsgeleitet (teils sehr dumme) Entscheidungen trifft. Sie spricht Athena ihren Erfolg ab und reduziert diesen auf Athenas gutes Aussehen und die chinesische Herkunft ihrer Eltern. Tatsächlich berichtet R. F. Kuang, die selbst US-Amerikanerin chinesischer Herkunft ist, in Interviews davon, dass sie genau dagegen ankämpft: ihre Herkunft und ihr Aussehen zum Markenzeichen zu machen.
Stattdessen schlüpft Kuang hier in die Rolle einer weißen Frau, die sich an der Geschichte einer anderen bedient hat, und nimmt die komplette Literaturwelt Hopps. Autor*innen, Verlage, Blogger*innen, Rezensent*innen – in diesem Roman wird die gesamte Hässlichkeit dieser Szene ungeschönt und ehrlich dargestellt und alle bekommen ihr Fett weg. Dabei geht Kuang aber nie plakativ vor. Sie benennt jedoch deutlich die Überheblichkeit, Arroganz und Berechnung vieler Autor*innen, die Profitgier und den Rassismus von einigen Verlagen und Agent*innen und eine sich echauffierende Leserschaft in den sozialen Medien, die berechtigte Kritik mit Cancel Culture und Cyber-Mobbing verwechselt.
Beim Lesen von „Yellowface“ traten mir immer wieder reale Beispiele vor Augen und ich fand es höchst interessant, einen Einblick in die Mechanismen hinter so manchem großen Publikumsverlag zu erhalten – auch wenn der Eden Verlag im Buch natürlich fiktiv ist.
Wie oben bereits erwähnt, wird einem die Hauptfigur zwar nie richtig sympathisch. June ist der Inbegriff von Alltagsrassismus und der internalisierten rassistischen Sichtweisen vieler weißer Menschen, schürt aber zumindest hin und wieder Mitleid. Sie verstrickt sich in ihren eigenen Lügen, verhält sich teilweise höchst unklug und ist letztendlich furchtbar einsam. R. F. Kuang selbst beschreibt das Buch in ihrer Danksagung als „zu großen Teilen […] eine Horrorgeschichte über Einsamkeit in einer umkämpften Branche“, was einmal mehr den Eindruck eines teils autofiktiven Entstehungsprozesses macht.
Die Protagonistin June ist der beste Beweis, dass Schreibhandwerk allein noch lange keine gute Autorin ausmacht – und erst recht keine erfolgreiche.
Aber auch die glorifizierte Athena Liu entpuppt sich für die Lesenden als doch nicht so heilig, wie zu Beginn gedacht, so dass ich beim Lesen nie so genau wusste, auf wessen Seite ich eigentlich stehe und das, ehrlich gesagt, immer noch nicht weiß.
Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Handlung teilweise doch recht vorhersehbar war und ich persönlich, vergeblich auf den erhofften Plottwist gewartet habe. Bis auf diesen Aspekt liest sich das Buch aber durchweg spannend und fast schon wie ein Thriller. Da mich ein Thema sehr überrascht hat und ich das Buch dann erstmal zur Seite legen musste, füge ich unter der Bewertung noch eine Content-Note an, um niemanden zu spoilern.
„Yellowface“ ist ein Buch, das ich jedem empfehlen kann, der sich auch nur ansatzweise dafür interessiert, wie es in der Buchwelt aussehen kann und dass diese Welt, bei allen romantischen Vorstellungen, dann doch ein knallhartes Wirtschaftsunternehmen ist, in dem jeder seine eigenen Interessen verfolgt.
- Autorin: R. F. Kuang
- Titel: Yellowface
- Originaltitel: Yellowface
- Übersetzerin: Jasmin Humburg
- Verlag: Eichborn
- Erschienen: 29.02.2024
- Einband: Hardcover
- Seiten: 383
- ISBN: 978-3-8479-0162-4
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Wertung: 14/15 dpt
CN: Sexuelle Gewalt