„Ein schönes Ausländerkind“ ist der autofiktionale Roman und das literarische Debüt, der unter dem Künstlernamen „Toxische Pommes“ bekannt gewordenen TikTokerin und Kabarettistin. Mit viel Selbstironie und einem schonungslosen Blick in die kleinbürgerliche Mitte unserer Gesellschaft erzählt die Ich-Erzählerin die Geschichte ihrer Familie.
Zur Zeit des Jugoslawien-Krieges verlassen ihre Eltern die Heimat, um sich in Österreich eine neue Existenz aufzubauen. Der Start ist erwartungsgemäß holprig. Das Leben kreist um die existentiellen Fragen „Wohnen“ und „Arbeiten“. Man ist genügsam und fleißig. Man ist bereit, sich anzupassen und unter größten persönlichen Einsatz alles Menschenmögliche zu tun, um ein gleichberechtigter Teil in der neuen Umgebung zu werden.
Die Autorin lässt ihre Leser:innen durch den unverbrauchten, vorurteilsfreien Blick der Heranwachsenden auf dem Alltag der Familie blicken. Die Ich-Erzählerin berichtet chronologisch. In zahlreichen Episoden entlarvt sie die permanente Diskriminierung, die ihr und den Eltern begegnet. Sei es, dass man der Heranwachsenden das „Kompliment“ macht, ein „schönes Ausländerkind“ zu sein, dem man nicht ansähe, dass sie Ausländerin ist. Sei es, dass man ihr, der Klassenbesten, die Gymnasialempfehlung verweigert, da sie ja keine Muttersprachlerin ist.
Die Mutter nimmt zunächst einen Job unter ihrer eigentlichen Qualifikation an (die Zeugnisse aus der alten Heimat werden nicht anerkannt). Dem Vater wird aus unerfindlichen Gründen die Arbeitserlaubnis nicht erteilt. Ganz pragmatisch tauschen die Eltern die traditionellen Rollen und der Vater kümmert sich um alles Häusliche.
Nahezu klaglos fügt er sich in sein Schicksal. Völlig selbstverständlich stellt er das Wohl der Familie über sein eigenes. Doch glücklich wird er dabei nicht. Mit viel Zartheit schildert die Erzählerin zahlreiche rührende Momente, um die Tragik eines Lebens, das nicht gelebt werden kann, nachzuzeichnen.
Es gab eine Welt, in der er nicht nur das Vorbild war, das
ich von zu Hause kannte, der Mensch, der mir beigebracht hatte, wie man liest,
schreibt und sich vor nichts fürchtete.
Sobald er die Türschwelle unseres Hauses überschritt und einen Fuß auf die
Straße setzte, ließ er diesen Teil von sich zurück. Seine Körperhaltung
veränderte sich, sein Gang wurde bedächtiger, sein Rücken gebückter und seine
Stimme schwächer. Es war, als hätte ihm jemand die Kleider vom Leib gerissen
und als müsste er auf einmal nackt durch die Welt gehen.
Seite 54
Im Laufe der Erzählung rückt die Beziehung zwischen Vater und Tochter immer mehr in den Focus. Was der Tochter gelingt, bleibt dem Vater verwehrt. Der Preis, den beide bezahlen, ist hoch. Für die Tochter wird Österreich zur Heimat, wobei sie aber zwangsläufig einen Teil ihrer Wurzeln verliert. Dem Vater bleibt trotz aller Bemühungen der Zugang verwehrt. Die Entfremdung wird zum schmerzhaften Merkmal seiner Persönlichkeit und wirkt sich sogar innerhalb der Familie aus.
Ich wollte ihm nicht in die Augen schauen. Ich hatte Angst,
das zu fühlen, was er fühlte.“
Mein Vater, meine Mutter und ich waren die einzigen drei Mitglieder aus unserer
Familie, die in Österreich lebten (…) Wir waren alleine hier. Jeder von uns war
für den jeweils andern verantwortlich, und ich war in der Verantwortung meinem
Vater gegenüber gescheitert.
Seite 129
Heimat, das wird deutlich, ist etwas, das man sich nicht erarbeiten kann. Heimat kann nur gelingen, wenn man Willkommen ist. Wem das Willkommen verweigert wird, der bleibt, so sehr er sich auch bemüht, immer fremd.
In lockeren Sätzen erzählt Toxische Pommes die Geschichte von Menschen, die ein ganzes Leben darum ringen, anerkannt zu werden. Geschickt wechselt sie zwischen Humor und Melancholie. Die Würde ihrer Protagonisten steht dabei immer im Vordergrund. Nie verlieren die Eltern der Erzählerin ihre Haltung. Ihre Resilienz bleibt ungebrochen.
Mit dem Roman setzt die Autorin einer ganzen Generation von Einwanderern ein Denkmal. Sie lenkt den Blick auf Menschen, die gezwungen sind, sich und ihre Arbeit unter Wert zu verkaufen, ohne jemals die dafür angemessene Anerkennung zu erhalten. Sie demaskiert das paradoxe Gesicht einer Gesellschaft, die Integration fordert, aber die dafür notwendigen Mittel grundsätzlich verweigert.
Den Klappentext des Romans schmückt ein Zitat von Saša Stanišić. „[D]iese Geschichten“, schreibt er, „funkelnde Steine eines Balkan-Mosaiks, sind auch Pointen der Rührung, des Absurden, der politischen Erzählung. Und als Gesamtbild ein großes Glück.“
Ähnlich wie Stanišić in seinem preisgekrönten Roman „Heimat“ konzentriert sich auch hier die Frage darauf, inwieweit man den Wert eines Menschen nach dessen Herkunft bemisst. Die Sehnsucht nach Heimat entpuppt sich als Suche nach der eigenen Identität, die – unabhängig von geografischen Bezügen – immer von der Anerkennung durch andere lebt.
- Autorin: Toxische Pommes
- Titel: Ein schönes Ausländerkind
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- Erschienen: März 2024
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 208 Seiten
- ISBN: 978-3552073968
Wertung: 12/15 dpt