Am Abend des folgenden Tages (Film, DVD/BluRay)


Eigentlich sollte die Entführung einer jungen Millionärstöchter glatt über die Bühne gehen. Ein schneller Aufriss nach der Flugzeuglandung, ein ausgeklügelter Plan zur Lösegeldübergabe und alles wäre überstanden. Doch Wally, seine Schwester Vi, gleichzeitig die Freundin des Chauffeurs Bud, und der auf den ersten Blick kultiviert wirkende Leer haben die Rechnung ohne all die kleinen Unwägbarkeiten am Wegesrand und die Untiefen der eigenen Psyche gemacht.

Denn Wally bezeichnet sich als müden alten Mann (jenseits der Vierzig!), möchte einen letzten großen Coup landen, Vi ist Drogen ein bisschen zu wohlgesonnen. Der nachdenkliche Bud hat schnell die Faxen dicke und will aussteigen, da der scheinbar biedere Leer sich als waschechter Sadist und Psychopath entpuppt.


So sitzt die fünfköpfige Gruppe in einem einsamen Haus am Meer, belauert und beharkt sich, während das gefangene Mädchen zaghafte Fluchtversuche startet. Irgendwie wird die Zeit bis zur Geldübergabe überbrückt. Als es so weit ist, geht fast alles schief und für die meisten Beteiligten den Bach hinunter, der ins Totenreich führt.


Die vermeintliche Schlussszene führt hinüber in einen Twist, der “Am Abend des folgenden Tages”, neben einer eh schon schlechten Presse, an den Kinokassen den Garaus machte. Dabei ist die Wendung so verwegen nicht, da der Film bereits zuvor mit dem Surrealismus flirtet. Im Audiokommentar verweist Regisseur Cornfield auf die Einflüsse René Magrittes und Jean Pierre Melvilles.

Der auf einem Roman Lionel Whites basierende Film hätte zu Jean-Pierre Melville gepasst, mit dem Cornfield nach eigenem Bekunden befreundet war. Doch Cornfield ist kein Melville, auch wenn er sich Mühe gibt. Seine Regie ist zu statisch, gerade die Szenen im Haus am Meer wirken mitunter wie abgefilmtes Theater. Und auch die komplizierte Lösegeldübergabe, die in einem Desaster endet, hat nicht die inszenatorische Eleganz und genaue Beobachtungsgabe des französischen Regisseurs. Das stellenweise holprige Drehbuch mit fragwürdigen Passagen ist ebenfalls nicht hilfreich.


Gelungen sind indes die fast wortlosen ersten und letzten zehn Minuten des Films, in denen Blicke und Gesten die Geschichte erzählen. Leers zynischer Einwurf zum misshandelten und missbrauchten Kidnappingopfer: “Danke mein Schatz, für die kurzweilige Unterhaltung” (“Thank you my dear, for a charming interlude”), wirkt dadurch umso eindringlicher. Richard Boone ist, trotz Marlon Brando, wieder einmal der einprägsamste Akteur am Set. Seine Mischung aus jovialem Grandseigneur und perfidem Sadisten beherrscht er wie kaum ein Zweiter. Vielleicht noch Al Lettieri, der hier als Al Lettier eine schmucklose Nebenrolle als Pilot spielt und oft (u.a. in “Getaway”, “Mr. Majestyk”) eine proletarisch-exaltierte Variante Boones darstellt.

Aber auch Jess Hahn als ermatteter Bandenchef, Rita Moreno beim Tanz auf Messers Schneide und die bezaubernde Pamela Franklin (immer wieder einen Tipp wert: “And Soon The Darkness”) als verängstigtes Opfer geben ordentliche Vorstellungen ab.


Marlon Brando, noch halbwegs durchtrainiert und agil, läuft mit blondem Toupet im Nachtwandelmodus durch den Film. In einer Rolle, die eher und stilsicherer von Alain Delon ausgefüllt worden wäre. Solange er schweigt funktioniert es, man nimmt Brando den zögernden, nachdenklichen Gangster mit Herz ab. Gerät er aber in Erklärungsnot, macht der große Schauspieler daraus eine Galavorstellung für die Aufnahmeprüfung zu Lee Strasbergs Schauspielschule. Man wähnt sich minutenlang in einem gänzlich anderen Film. Das große Drama verpufft aber, da die Dialoge geschwollen und gleichzeitig stereotyp daherkommen. Letzteres passt allerdings zu den grob skizzierten Figuren und ihrer Aufstellung, bei der aus kühl kalkulierenden Profis triebgesteuerte Amateure werden.

Marlon Brando, nach vorhergehenden Flops (unabhängig von der Qualität, unter anderem “Ein Mann wird gejagt” (“Man On A Chase”) und “Spiegelbild im goldenen Auge” (“Reflections in a Golden Eye”)) und aufgrund eines Fünf-Filme-Vertrags mit Universal, war verpflichtet in “Am Abend des folgenden Tages” mitzuwirken. Seinen Unwillen darüber ließ er an Hubert Cornfield aus, benahm sich divenhaft, bezeichnete den Regisseur und Drehbuchautor als inkompetent und sorgte dafür, dass er die Produktion verließ. Kollege Boone übernahm die Regie für die letzten Szenen des Werks. Immerhin so gekonnt, dass der Wechsel kaum auffällt.


Es gab berechtigte Zweifel, dass die Beteiligung an einem B-Movie Brandos Karriere wieder auf Vordermann bringen würde. Der Misserfolg des Films bestätigte die Kritiker. Die abenteuerliche finale Wendung mit dem etwas hilflos eingefügten Schlussbild (wie es dazu kam, erläutert Cornfield im Audiokommentar) stieß das Kinopublikum 1969 vor den Kopf. Dabei festigt sie lediglich den Flirt mit dem Bizarren. Jeder M. Night Shyamalan-Film ist abstruser. “The Times They Are a-Changin’” singt der Barde dazu.


Trotz seiner offensichtlichen Schwächen sollte man “Am Abend des folgenden Tages” nicht unterschätzen. Als Noir mit existentialistischen und surrealen Zügen hat er seine Meriten. Er zeigt Menschen, die gefangen sind in ihren Vorstellungen und Obsessionen, gefangen aber auch in ihrer Umgebung. Das gilt nicht nur für das entführte Mädchen im Haus. Auch für die Gangster und ihre wie zufällig erscheinenden Antagonisten, die einer reibungslosen Lösegeldtransaktion im Weg stehen ist die Welt ein Gefängnis, das für viele zur Hinrichtungsstätte wird. Selbst die Weite des Strandes und des Meeres bietet keine Freiheit, keine Möglichkeit zur Flucht. Bestenfalls eine Ahnung davon. Am Ende bleibt ein Alptraum. Und René Magritte.


Die Bildqualität der vorliegenden BluRay-Version ist kontrastreich und ansprechend brillant, was allerdings dazu führt, dass die Nacht-Szenen eine starke Körnung aufweisen.
Der Audiokommentar Hubert Cornfields ist sehr informativ, bezieht auch den Konflikt mit Marlon Brando unverblümt mit ein. Da Cornfield an Kehlkopfkrebs erkrankt war, ist sein Einsprechen ohne Hilfsmittel eine bemerkenswerte Leistung. Führt aber leider dazu, dass das Zuhören ungeheuer anstrengend ist. Lohnend dennoch.

Leider enthält diese Ausgabe nicht das informative Booklet mit einem Essay Prof. Dr. Marcus Stigleggers, das der 2014er Media Target/Cine Selection-Veröffentlichung beilag. Es wäre ein Gewinn, wenn man den Text wieder zugänglich machen würde.

Cover  © Plaion Pictures, Bild © Jochen König

 

    • Titel: Am Abend des folgenden Tages
    • Originaltitel: The Night of the Following Day
    • Produktionsland und -jahr: Großbrittannien, USA, 1968
    • Genre: Horror, Drama, Thriller, Mystery
    • Erschienen: 27.11.23
    • Spielzeit:
      90 Minuten auf 1 DVD
      93 Minuten auf 1 Blu-Ray
    • Darsteller: Marlon Brando
      Richard Boone
      Rita Moreno
      Pamela Franklin
      Jess Hahn

      Al Lettier(i)
      Jacques Marin

      Gerard Buhr
    • Regie: Hubert Cornfield, Richard Boone (ungenannt)
    • Drehbuch: Hubert Cornfield, Robert Phippeny,
      Lionel White (Romanvorlage)
    • Kamera: Willy Kurant
    • Schnitt: Gordon Pilkington, Anne Vogler
    • Musik: Stanley Myers
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    • Extras: Audiokommentar Hubert Cornfield, Trailer, Trailershow, Bildergalerie
    • Technische Details (DVD)
      Video:
      1.85:1 (16:9)
      Sprachen/Ton: 
      Deutsch,Englisch, Dolby-Digital 2.0
      Untertitel: 
      Deutsch, Englisch
    • Technische Details (Blu-Ray)
      Video:
      1.85:1 (16:9)
      Sprachen/Ton: 
      Deutsch, Englisch, DTS-HD Master Audio 2.0
      Untertitel: Deutsch, Englisch
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    • FSK: 16

 

 


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