Daniel Kehlmann – Lichtspiel (Buch)


Der große Pabst, der rote Pabst

Lichtspiel
© Rowohlt

„Die freudlose Gasse“ war sein erster großer Erfolg, was sicherlich auch an Hauptdarstellerin Greta „die Göttliche“ Garbo lag. Später folgten „Die Büchse der Pandora“, „Die weiße Hölle vom Piz Palü“, der Antikriegsfilm „Westfront 1918“ und „Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht. Werke, die ihm dem Beinamen „Der rote Pabst“ einbrachten. In den 1930er Jahren gelingt ihm mit Trude und Sohn Jakob rechtzeitig die Flucht nach Amerika, doch in Hollywood gibt man ihm, dem größten Regisseur der Weimarer Republik neben Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau („Nosferatu“) und Ernst Lubitsch, nur die Arbeit an dem Film „A Modern Hero“. Schlechtes Drehbuch, unbekannte Darsteller, kaum Budget und ein Produzent, der ihm in Kameraführung und Filmschnitt reinredet. Das Fiasko ist perfekt, der Film läuft genau ein Wochenende im Kino und Pabst soll an allem schuld sein. Für einen Migranten wie ihn fast ein Berufsverbot.

Er fährt er zurück nach Europa, da man ihm einen Film in Frankreich angeboten hat, während nicht wenige einen neuen Krieg befürchten. Vor Ort angekommen, springt ein Produzent ab und somit gibt es kein Budget mehr. Für einen „Kommunisten“ und „Judenfreund“, der dazu schon emigrierte, kann es nur eine Entscheidung geben: Zurück nach Amerika, solange es noch möglich ist.

Metropolis ist der beste Film, der je gedreht wurde“, sagte Pabst.

„Ich weiß“, sagte Lang.

Trude drängt auf die Rückreise, aber da gibt es ja noch Erika, die Mutter von Pabst, die in der Steiermark lebt und pflegebedürftig ist. Diese will er noch in einem Heim unterbringen, danach soll es sofort zurückgehen. Doch die Steiermark liegt in Österreich und dieses Land gibt es nicht mehr. Es heißt jetzt Ostmark und gehört zum Deutschen Reich. Pabst setzt seien Willen durch, aber kaum ist er bei seiner Mutter angekommen, folgt der deutsche Einmarsch in Polen, was gleichzeitig bedeutet, dass alle Grenzen geschlossen sind.

Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann“, unterbrach der Minister, „zum Beispiel KZ. Jederzeit. Kein Problem. Aber das meine ich ja gar nicht. Ich meine, bedenken Sie, was ich Ihnen auch bieten kann, nämlich alles, was sie wollen. Jedes Budget, jeden Schauspieler. Jeden Film, den Sie machen wollen, können Sie machen. Aber das wissen Sie. Deshalb haben Sie mich ja aufgesucht. Deshalb gehen Sie nach Canossa.

Einige Monate später erhält Pabst Besuch von Kuno Krämer, Mitarbeiter im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Ressort Filmwesen und Lichtspielgesetz. Man freue sich, dass der große, deutsche Regisseur zurückgekommen sei und sogar der Minister wolle ihn sehen. Pabst weigert sich vehement, muss letztlich nachgeben und so kommt es, dass er gezwungen wird, bei Göbbels zu Kreuze zu kriechen. Dieser bietet ihm an, Unterhaltungsfilme seiner Wahl drehen zu können, denn im Krieg braucht das Volk Ablenkung, nicht nur Propaganda. Und viele Regisseure sind ja nicht mehr da; Fritz Lang beispielsweise ist längst in Amerika, neuer Pass inklusive. Pabst will keineswegs für den Staat arbeiten, allerdings macht ihm der Minister klar, dass die Alternative das KZ sei, wo Kommunisten wie er eigentlich hingehören. Es beginnt ein neues Kapitel im Leben des großen Regisseurs, welches seine Moral vor ein unlösbares Dilemma stellt.          

Regisseur im Dritten Reich

In seinem aktuellen Roman „Lichtspiel“ erzählt der vielfach preisgekrönte Starautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“, „Tyll“) den Weg des „linken“ Meisterregisseurs zum „Handlanger“ der Nazi-Diktatur. Zwar folgen lediglich Unterhaltungsfilme, aber selbst diese sind mitunter stark tendenziös („Paracelsus“). Es kommt zu surreal anmutenden Szenen, denn während das Land nach und nach im Kriegstaumel dem Untergang entgegensteuert, laufen Filmarbeiten uneingeschränkt weiter. Zunächst in München, kurz vor Kriegsende in Prag, wo bis zuletzt hohe Geldsummen zur Verfügung gestellt werden.

Pabst, der politisch immer klar links einzuordnen war, begibt sich in einen Teufelskreis, den er sich schönredet. Es war halt eine Verkettung besonderer Ereignisse: Kein Job in Amerika, die Pflege der Mutter, der Beginn des Krieges, die Schließung der Grenzen und so weiter. Für seine Frau Trude, von der er sich zunehmend entfremdet, ist jedoch klar, dass dies nur Ausreden sind. Denn im Reich kann Pabst ein „Meisterwerk“ nach dem anderen drehen. Allein, er arbeitet für ein menschenverachtendes System, was ihm deutlich vor Augen geführt wird als er bei Dreharbeiten für einen Film von Leni Riefenstahl zur Hilfe eilen soll, um deren Unvermögen aufzufangen. Zu seinem Entsetzen werden „Schauspieler“ eingesetzt, die sich als Häftlinge eines KZ erweisen. Hier begeht Daniel Kehlmann übrigens ein Foulspiel, denn später wird Pabst für seinen letzten Film vor Kriegsende („Der Fall Molander“) selber KZ-Häftlinge einsetzen, da ihm Statisten fehlen. Dafür gibt es im echten Leben von Pabst keinerlei Belege, Kehlmann nutzt den Effekt aber geschickt, um die moralische Grundsatzfrage des Romans zu unterfüttern.  

„Lichtspiele“ gibt höchst lebendige Einblicke in die damalige Filmwelt. Heinz Rühmann hat einen Kurzauftritt und schwärmt von den tollen Arbeitsbedingungen, daneben wirken die schon erwähnten Greta Garbo und Leni Riefenstahl, aber auch Starregisseur Fritz Lang („Dr. Mabuse“, „Metropolis“, „M“) und nicht zuletzt die Schauspielerin Louise Brooks (mit dieser dichtet ihm Kehlmann ein Verhältnis an) mit. Wer sich für Film- und Dreharbeiten interessiert, erhält hier tiefe Einblicke in die Arbeit am Set. Die politische Entwicklung kommt ebenfalls nicht zu kurz und so wundert es nicht, dass Jakob begeistert in der Hitlerjugend mitläuft und sich auf seinen Kriegseinsatz freut. Ein Grauen, wohin man sieht. Neben dem späten Einsatz der KZ-Häftlinge bleibt vor allem eine Szene in diabolischer Erinnerung: Pabst ungewolltes Treffen mit Göbbels.

Ein weiterer großartiger, wenngleich ungemein beklemmender Roman von Daniel Kehlmann, der ihn erneut den einen oder anderen Literaturpreis erwarten lassen dürfte.

  • Autor: Daniel Kehlmann
  • Titel: Lichtspiel
  • Verlag: Rowohlt
  • Umfang: 480 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Oktober 2023
  • ISBN: 978-3-498-00387-6
  • Produktseite


Wertung: 13/15 dpt


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