Britney Spears. Für alle, die in den 1990er Jahren aufgewachsen und geboren sind, ist sie wohl eine der Ikonen. Wunderschön, eine feminin-einprägsame Stimme, Songs, die ins Ohr gingen und bis heute absolute Dauerbrenner auf Partys sind, dazu eine grotesk perfekte Mischung aus süßer Verführung und sexy Unschuld: Das waren die Zutaten für ein Erfolgsrezept, das einfach aufgehen musste.
Der wahr gewordene Traum eines Mädchens vom Lande, das es auf die Bühnen der Welt schaffte – und dann der tiefe Fall. Auf genau denselben Bühnen, vor den Augen der halben Welt.
Viel wurde über sie gesprochen, geschrieben, gelacht. In „The Woman In Me“ erzählt Britney Spears nun ihre eigene Geschichte, mit ihren eigenen Worten.
Denn dass Britney Spears nie so wirklich sie selbst sein konnte, das lässt sich bereits auf den ersten Seiten erahnen.
Schon im frühen Kindesalter litt der spätere Superstar unter einem alkoholkranken Vater, der die Familie tyrannisierte und ihr schon früh das Gefühl gab, sich verstellen zu müssen, um ihn nicht zu verärgern.
Zuflucht fand sie schon damals in der Musik, wobei Spears jedoch bereits schon mit zehn Jahren erfuhr, was ihre Karriere später vor allem auszeichnen würde: Das permanente Beurteilen und Sexualisieren ihres Körpers, das Gefühl, dass ihre Musik neben ihrer Kleidung und ihrem Gesicht nur zweitrangig ist.
In stellenweisen sehr kurzen, in einfacher, fast schon kindlich-naiver Sprache gehaltenen Kapiteln, berichtet sie von ihrem rasanten Aufstieg zu einer der gefeiertsten Popkünstlerinnen der vergangenen Jahrzehnte, den Jahren im Rampenlicht und ihrer zunächst märchenhaften Beziehung zu Justin Timberlake, die nicht nur in seelischem Schmerz endete.
Die Schilderung eines traumatischen Schwangerschaftsabbruchs und der unermesslichen Demütigung, der Britney Spears durch Ex-Partner und Medien ausgesetzt war, sind äußerst beklemmend zu lesen.
In den Medien wurde ich als Schlampe beschrieben, die Amerikas Goldjungen das Herz gebrochen hatte.
Auch die Ehe mit Kevin Federline, der ihre beiden Söhne entstammen, endete in einem Desaster, das seinen krönenden Abschluss mit der Vormundschaft durch ihren Vater fand. Diese Vormundschaft, die über ein Jahrzehnt andauerte, war geprägt von permanenter Kontrolle, psychischem Missbrauch und finanzieller Ausbeutung. Die Tatsache, dass von einer erwachsenen Frau erwartet wurde, Jahr für Jahr vor einem Millionenpublikum Konzerte zu spielen, während man ihr gleichzeitig nicht zutraute, selbst entscheiden zu können, wann sie essen möchte, ist an Absurdität kaum zu überbieten.
Die Karriere von Britney Spears ist ein Paradebeispiel für den nicht selten fatalen Umgang mit Kinderstars, die viel zu früh berühmt wurden, zu Ernährern ihrer Familien heranwuchsen und schließlich schmerzhaft abstürzten.
Ist das Erwachsenwerden nicht auch schon für Otto Normalverbraucher schwierig genug, dürfte es für einen Menschen, dessen Privatleben auf den Titelblättern dieser Welt ausgeschlachtet wird, schier unerträglich sein.
„The Woman In Me“ zeichnet insgesamt ein zutiefst düsteres Bild der Unterhaltungsbranche.
Denn mit welchem Recht kann eine junge Frau zum Feindbild der Nation erklärt werden, bloß weil sie vermutlich ihren Partner betrog, während gleichzeitig ebenjener Partner für seine zahlreichen Bekanntschaften geliebt wird? Und was sagt es über die moralischen Werte einer Gesellschaft aus, wenn sie das Leid eines Menschen konsumiert wie eine Unterhaltungsserie, als wäre dies für alle Beteiligten eine Angelegenheit, die sich mit Betätigen einer Fernbedienung einfach abschalten ließe?
Britney Spears Biografie ist aus literarischer Sicht sicherlich kein Meisterwerk, dafür aber der Befreiungsschlag einer Person, die jahrzehntelang auf jeder erdenklichen Ebene ausgebeutet und seziert wurde und die nun endlich nicht nur musikalisch ihre Stimme erheben darf. Sie ist auch eine Abrechnung mit den Klatschmedien, voyeuristischen Fernsehshows und der Perversion des Unterhaltungsspektrums. Es ist ein wenig feministische Streitschrift und es ist vor allem eine Liebeserklärung an Britney selbst. Denn trotz medialer Häme, finanzieller und emotionaler Ausbeutung durch ihre Familie und schmerzlichen Erfahrungen war eine Tatsache stets immer unumstößlich: Britney Spears war, ist und bleibt ein Weltstar.
Nachtrag:
Zu beanstanden ist leider das Lektorat der deutschen Ausgabe, welches an mehreren Stellen mit Rechtschreib-, Grammatik- und Typografiefehlern ein eher negatives Bild hinterlässt. Das ist sehr bedauerlich, insbesondere für die eigentlich großartige deutsche Buchbranche, für die eine solch bescheidene Vorstellung in den Bemühungen, sich gegen die immer größere Beliebtheit von englischen Büchern und dem Trend, „nur im Original“ zu lesen, entgegenzustellen, nicht sonderlich förderlich ist.
Wertung: 12/15 dpt
- Autor: Britney Spears
- Titel: The Woman In Me
- Originaltitel: The Woman In Me
- Übersetzer: Sylvia Bieker, Karlheinz Dürr, Astrid Gravert, Karsten Petersen, Anke Wagner-Wolff
- Verlag: Penguin Random House Verlagsgruppe
- Erschienen: 2023
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 288
- ISBN: 978-3-328-60297-2
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Cover © Penguin Random House Verlagsgruppe