Vom SS-Obersturmführer zum KGB-Spion
Heinz Felfe wird von seinem Vater nationalkonservativ und antikommunistisch erzogen. Im Juli 1931 tritt er in die Schülerorganisation der NSDAP ein, die im Januar 1932 in die Hitlerjugend überführt wird. 1936 wird er Mitglied der NSDAP, arbeitet für den SD, den Sicherheitsdienst für den Reichsführer SS, und später als Kriminalkommissar. Am 20. April 1944 erfolgt die Ernennung zum SS-Obersturmführer.
Nach Kriegsende geht es für anderthalb Jahre in Kriegsgefangenschaft, dann nimmt sich der britische Auslandsgeheimdienst SIS, auch MI6 genannt, seiner Dienste an. Felfe soll über kommunistische Aktivitäten in der britisch besetzten Zone berichten, zum Schein tritt er der KPD bei und erhält umfangreiche Einblicke. Der Verdienst ist mehr als dürftig, doch die Gunst der Briten führt im Oktober 1949 zu Felfes Entnazifizierung. Ehemalige Mitstreiter von damals machen weiterhin Karriere, Felfe hungert und kann seine Familie, die mit ihm in Rhöndorf haust, nur schlecht ernähren. Für Felfe ein Unding.
Frustriert über seine Situation nimmt er im September 1951 über einen alten Kameraden Kontakt zu den Russen auf und wird Spion des MGB, dem Vorläufer des KGB. Er soll in die Operation Gehlen (kurz OG), die von der CIA geführte Vorgängerorganisation des späteren Bundesnachrichtendienstes BND, eindringen, in deren Fokus Felfe bereits geraten ist. Bei der OG sucht man dringend Personal, da kommt der „Nachrichtenhändler“ Felfe gerade recht, wenngleich er nicht bei allen beliebt ist. Im Gegenteil.
Nach dem Krieg ging es für viele Nazis und Kriegsverbrecher einfach weiter
Viele ranghohe Nazis wurden nach Kriegsende nicht angeklagt, sondern fanden oft Verwendung in ihren früheren Berufen. Die Amerikaner hatten kaum Kenntnisse über Osteuropa, während sich die Beziehungen zu Russland täglich verschlimmerten. Da kommt ein Mann wie Reinhard Gehlen gerade recht. Unter Hitler war er Generalmajor der Wehrmacht, Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost (FHO) und damit an den Vorbereitungen des Russlandfeldzuges beteiligt. Jetzt ist er Leiter der nach ihm benannten OG und wird später erster Präsident des BND – und bleibt dies bis 1968. Man hätte ihn auch vor ein Kriegsgericht stellen können, dabei war er bei Weitem kein Einzelfall. Wer sich für diese Thematik näher interessiert, dem sei der Thriller „Ritchie Girl“ von Andreas Pflüger sehr empfohlen, an dem Bodo von Hechelhammer, Autor des hier besprochenen Buches, „mitwirkte“.
Zurück zu Felfe. Dieser soll die OG infiltrieren und fleißig deren Beschäftigte, Organisationsstruktur und Aktivitäten an den MGB, Vorläufer des KGB, verraten. Kurioserweise gelingt es ausgerechnet Felfe bei der OG zum Leiter der Gegenspionage Sowjetunion aufzusteigen. Trotz einiger massiver Vorbehalte innerhalb der OG und später beim BND. Ach, hätte man doch mal beim MI6 nachgefragt, aber Spionage hat halt was mit Geheimnissen zu tun. Man will ja nicht die eigenen Leute gegenüber Dritten ohne Not enttarnen.
1961 wird Felfe enttarnt, da arbeitet er schon zehn Jahre für den KGB, und 1969 kann er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in die DDR ziehen. Kontakt zur Familie gibt es kaum, sie fühlt sich von ihm verraten, denn seine erste Frau und Mutter der beiden gemeinsamen Kinder war einst – wie Felfe – überzeugte Anhängerin des Führers; die Russen waren somit das Feindbild schlechthin. Dennoch geht es munter weiter. Später wird es Felfe sogar bis zum Professor für Kriminalistik an der Humboldt-Universität bringen und 1986 sein Buch „Im Dienst des Gegners“ veröffentlichen, bei dem es sich letztlich um eine Auftragsarbeit des KGB handelt. Nicht, dass ein russischer Topspion zehn Jahre an einer wichtigen Schaltstelle beim BND arbeitete war der Skandal, sondern die Erkenntnis, wie einfach und vor allem in wie vielen Fällen, altgediente Nazis und Kriegsverbrecher beim BND eine neue Heimat fanden. Der Chef (Gehlen) lässt grüßen.
Sehr detailversessene Einblicke in die Welt der Spione
Bodo von Hechelhammer ist einer der Top-Experten zum Thema Spionage, was kaum verwundert, da er als Chefhistoriker das Historische Büro im BND leitet. So kenntnisreich wie sein Wissen, so detailversessen sind mitunter seine Ausführungen. Zahlreiche Personennamen und Daten sowie etliche Abkürzungen (CIA, SIS, MI6, NSDAP, SD, KPD, MfS, MGB, KGB, BND und OG, um nur einige zu nennen) erfordern hohe Konzentration. Man braucht Ruhe und Muße für das Buch, wird aber mit teils unfassbaren Einblicken in die Welt der Geheimdienste während des Kalten Krieges (1947-1989) belohnt.
Für seine Verdienste wird Felfe mehrfach von DDR und Sowjetunion ausgezeichnet, vom MfS und KGB gut entlohnt, aber auch weiterhin kontrolliert und geführt. Gut gelungen sind die Einblicke in Felfes (18. März 1918 – 8. Mai 2008) Geistes- und Gefühlsleben. Er steht gerne im Mittelpunkt, brüskiert durch sein selbstbewusstes Auftreten gern seine Mitmenschen, leidet jahrelang unter der Angst vor Enttarnung und gesundheitlich unter Allergien. Letztendlich entpuppt sich Heinz Felfe als gnadenloser Opportunist, der dem Ruf des Geldes folgt.
Wer sich für die Welt der Geheimdienste sowie den Kalten Krieg in den 1950er und 1960er Jahren interessiert, sollte hier unbedingt zugreifen. Derart fundierte Einblicke sind selten. Ja, es ist teils schwere Kost, aber der Erkenntnisgewinn wiegt dies locker auf.
Autor: Bodo von Hechelhammer
Titel: Spion ohne Grenzen
Verlag: Piper
Umfang: 416 Seiten (354 Seiten plus Anhang)
Einband: Hardcover
Erschienen: September 2019
ISBN: 978-3-492-05793-6
Wertung: 13/15 dpt