Humphrey Carpenter – J. R. R. Tolkien- Eine Biographie (Buch)

Über den Philologen, Schriftsteller und Menschen J. R. R. Tolkien

© Hobbit Presse

Das erste Kapitel von Carpenters Tolkien-Biografie ist mit dem Titel „Ein Besuch“ überschrieben. Humphrey Carpenter besuchte J. R. R. Tolkien 1967 in der Sandfield Road 76 in einem Vorort von Oxford, wo Tolkien zu dieser Zeit mit seiner Ehefrau Edith lebte. Diese Biografie ist zum ersten Mal 1977, also vier Jahre nach Tolkiens Tod, von Allen & Unwin veröffentlicht worden. Die deutsche Erstausgabe folgte 1979 bei Klett-Cotta und die hier besprochene Ausgabe erschien 2022 im Klett-Cotta Imprint Hobbit Presse.

Im Vorwort erklärt der 2005 verstorbene Biograf, dass sein Buch auf Tagebüchern, Briefen und Erinnerungen von Tolkiens Angehörigen und Freunden beruht. Eine Wertung von Tolkiens literarischem Werk sei es nicht, vielmehr ein Versuch herauszufinden, wie berufliches und privates Leben sein Werk geprägt haben. In erster Linie geht es aber um den Menschen J. R. R. Tolkien und seinen nicht immer einfachen Lebenslauf.

Überwiegend chronologisch hat Humphrey seine Biografie gegliedert. Dem „Besuch“ folgen die „Jugendjahre“ (1892 – 1916). In diesem Kapitel erfahren wir, wie es John Ronalds Eltern nach Südafrika verschlug, wo er 1892 geboren wurde. Und unter welchen tragischen Umständen Tolkiens Mutter mit ihren Söhnen nach England zurückkehrte und sich dort als Witwe mit Kindern durchschlagen musste. Als John Ronald 12 war, verloren er und sein jüngerer Bruder Hilary auch noch die Mutter. Nach Mabels Tod nahm sich ihrer ein katholischer Geistlicher, Pater Francis Morgan, an und brachte sie in Birmingham unter. John Ronald besuchte die King Edward’s School. Dort kam er in Kontakt mit klassischen und alten Sprachen und gründete den berühmten T.C.B.S. Club, dem dieses Buch gewidmet ist. Die Jungen dieses Debattierclubs sollten zur Inspirationsquelle seiner Mythologie und zu lebenslangen Freunden werden.

Seine große Liebe Edith lernte John Ronald in der Nachbarschaft kennen. Sie war zunächst eine treue Freundin und schließlich eine heimliche Geliebte. Denn der Pater duldete diese Beziehung nicht und verhängte schließlich ein Kontaktverbot, das die beiden drei Jahre voneinander trennte. Als sie wieder zueinander fanden, studierte John Ronald bereits am Exeter Collage in Oxford.

Philologie, die „Liebe zu den Wörtern“ – das war es, was ihn bewegte. Es war nicht das frostige Interesse an den wissenschaftlichen Prinzipien der Sprachlehre, es war die tiefe Liebe zu dem Klang und der Gestalt der Wörter, [..]. S. 62/63

Das dritte Kapitel „Schaffung einer Mythologie“ erzählt die Anfänge von Tolkiens literarischem Werk. Er erfand bereits in seiner Schulzeit eigene Sprachen, die er für Tagebücher verwendete. Der beständige Kontakt mit dem T.C.B.S. Club, die Lehre und das akademische Leben entfachten in Tolkien einen enormen Schub an Inspiration und Kreativität. Relativ kurz ist Tolkiens Zeit als Nachrichtenoffizier im Ersten Weltkrieg beschrieben (mehr dazu in “Tolkien und der Erste Weltkrieg“). Das Grabenfieber, an dem er lange Zeit litt, begrenzte seinen Einsatz an der Front. Doch selbst im Schützengraben und im Lazarett schrieb er mythologische Gedichte und arbeitete an Sprachschöpfungen. Die Entstehung einer großen, englischen Mythologie war nicht mehr aufzuhalten und sollte Tolkiens Leben bis zum Ende prägen.

In fünf weiteren Kapiteln werfen Lesende einen intensiven Blick in die folgenden Lebensabschnitte des ehrgeizigen Professors, akribischen Sprachwissenschaftlers und liebevollen Vaters und Ehemanns.

Professor, Philologe, Schriftsteller

Als Tolkien Ende 1918 aus dem Offiziersdienst entlassen wurde, waren Edith und er bereits Vater eines Sohnes. In Oxford ging er auf Jobsuche und fand zunächst eine Anstellung im Mitarbeiterstab des New English Dictionary. Hier erhielt er den Auftrag, ein mittelenglisches Wörterbuch zu erstellen. Seinen ersten Job als Dozent erhielt Tolkien in Leeds. Carpenter vermittelt, wie schwierig die Lage für die Familie Tolkien besonders am Anfang war. Aber auch wie viel Spaß Tolkien an seiner Arbeit hatte, sowohl als Lehrer, als auch als Sprachwissenschaftler und Geschichtenerzähler. Alle drei Passionen ergänzten sich perfekt.

Ein zweiter Sohn kam auf die Welt und eine Textsammlung entstand, die Lesende schließlich als das „Buch der verschollenen Geschichten“ kennenlernen sollten. Zunächst schrieb Tolkien seine Geschichten als Lyrik, dann in Prosa-Form, „Das Silmarillion“ nahm Gestalt an. An der Universität Leeds erhielt Tolkien schließlich einen Lehrstuhl und war nun Professor. Ein dritter Sohn kam auf die Welt und endlich wurde in Oxford eine Professur frei. Tolkien bewarb sich erfolgreich und kehrte in seine gewählte Heimatstadt zurück. Dort sollte er den Rest seiner akademischen Laufbahn verbringen.

Mensch voller Widersprüche

Carpenter veranschaulicht den facettenreichen Charakter J. R. R. Tolkiens, der bisweilen widersprüchlich erscheint. Offensichtlich führte Tolkien ein Doppelleben: das Leben des Akademikers und das Leben des Ehemanns und Familienvaters. Schnittmengen der beiden Leben zeigen sich in seinem literarischen Werk. Die Begegnung des Menschen Beren mit der Elbin Luthien in der „Beren und Luthien“ Erzählung ist einer Szene nachempfunden, die John Ronald und Edith tatsächlich erlebten. Nicht zufällig trägt ihr gemeinsamer Grabstein die Inschrift „Luthien“ unter Ediths Namen und „Beren“ unter dem John Ronalds. Des Weiteren entsprang nicht nur die Erzählung des „Hobbit“ den Gute Nacht – Geschichten, die Tolkien seinen vier Kindern erzählte.

Tolkiens Literatur wurde sowohl von seinen akademischen Interessen als auch von seinem Familienleben beeinflusst. Das Leben im Beruf und zuhause hielt er jedoch überwiegend getrennt. In die für Tolkien so wichtigen Freundschaften im T.C.B.S Club oder den Inklings bezog er seine Frau nicht ein. Dazu kam, dass Edith sich unter den elitären Professorenfrauen in Oxford nicht angenommen fühlte und nur selten Einladungen zum Tee erhielt. In Leeds hatte Edith Freundinnen gefunden, denn hier waren die Menschen selbst im akademischen Umfeld bodenständiger.

Carpenter beschreibt Tolkien als einen melancholischen und ernsten, aber auch fröhlich-geselligen und albernen Menschen. Tolkien verlangte seiner Ehefrau einiges ab, was aus heutiger Sicht patriarchalisch erscheint. So musste Edith vor der Heirat vom anglikanischen zum katholischen Glauben konvertieren. Auch in der Wahl des Lebensorts Oxford ließ er ihr keine Wahl. Nach seiner akademischen Karriere jedoch ließ sich das Ehepaar im Küstenort Bournemouth nieder. Edith hatte sich dort in den Ferien stets wohlgefühlt und so verbrachte sie einen angenehmen Lebensabend an der See.

So war er ein Mann extremer Kontraste. War er in finsterer Stimmung, so hatte er das Gefühl, es gebe keine Hoffnung, weder für ihn noch für die Welt; und da oft gerade diese Stimmung ihn dazu trieb, seine Gefühle auf Papier festzuhalten, zeigen seine Tagebücher meist nur diese dunkle Seite seines Charakters. Doch fünf Minuten später, in Gesellschaft eines Freundes, vergaß er sein finsteres Brüten und war bester Laune. S. 205

Wissenswertes unterhaltsam präsentiert

Was erwarten Lesende von einer solchen Biografie? Tolkien-Fans möchten alles Wichtige über die Entstehung seines literarischen Werks erfahren und den Menschen dahinter kennenlernen. Im idealen Fall schafft es die Biografie ein Leben und Lebenswerk spannend und authentisch zugleich zu schildern. Dafür ist der Blick auf den tristen Alltag nötig und auf schwierige und erfolglose Lebensphasen.

„J.R.R. Tolkien – eine Biographie“ erzählt Tolkiens Leben einerseits als eine spannende Entwicklungsgeschichte. Insbesondere dann, wenn es um die langen Jahre geht, in denen er seine großen Werke „Das Silmarillion“, „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ schrieb. Andererseits schildert sie eindrücklich John Ronalds und Hilarys schwierige Kindheit, geprägt von Armut und einem viel zu frühen Verlust beider Eltern. Carpenter vermittelt uns in seiner Biografie eindrucksvoll und kurzweilig, wie Tolkiens Werdegang und Persönlichkeit eine Literatur prägten, die Generationen von Lesenden inspiriert. Sogar Fantasy-Fans, die 100 Jahre nach ihm leben.

  • Autor: Humphrey Carpenter
  • Titel: J. R. R. Tolkien – Eine Biographie
  • Originaltitel: J. R. R. Tolkien – A biography
  • Übersetzer: Wolfgang Krege
  • Verlag: Hobbit Presse
  • Erschienen: 09/2022
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 448
  • ISBN: 978-3-608-98672-3
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 13/15 dpt

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