Christine Westermann – Die Familien der anderen: Mein Leben in Büchern (Buch)


Ein sehr persönliches Sachbuch voller Lesetipps.

Cover © Kiepenheuer & Witsch

„Die Familien der anderen“ ist bereits das sechste Buch der Besteller-Autorin und Journalistin Christine Westermann, die viele sicherlich auch aus Funk und Fernsehen kennen. Gemeinsam mit Musiker Götz Alsmann moderierte sie bis 2016 sage und schreibe 20 Jahre lang die Fernsehsendung „Zimmer frei!“, in der ein prominenter Gast als WG-Mitbewohner oder Mitbewohnerin auf Herz und Nieren geprüft wird und allerhand Firlefanz mitmacht. Ausgezeichnet wurde die Sendung mit dem “Grimme-Preis”, was sicherlich nicht zuletzt auf Westermann zurückzuführen ist, die es immer wieder vermochte, den Promis zwischen all den albernen Spielen und musikalischen Einlagen, durch ihre empathische Art intime Einblicke zu entlocken. Diese persönliche Herangehensweise in Interviews, die ihre journalistische Arbeit schon immer geprägt hat, findet sich auch in ihrem aktuellen Buch wieder. Fast ist es, als würde man einer Freundin zuhören.

Doch worum geht es eigentlich? Der Untertitel „Mein Leben in Büchern“ verrät es schon: Christine Westermann pickt sich einige Stationen ihres Lebens heraus, von denen sie uns erzählt und verknüpft diese mit verschiedenen Büchern, die sie in der Zeit gelesen hat, oder die thematisch dazu passen. Das Buch ist also eine Mischung aus Lesetipps und persönlichen Einblicken.

Als Scheidungskind wuchs Christine Westermann bei ihrem Vater auf, der überraschend verstarb, als sie 13 war – ein Ereignis, das sie ihr Leben lang prägt. Sie vergleicht die Bücherregale ihres Vaters, der ein Faible für Literatur über Krieg hatte und über eine umfangreiche Sammlung verfügte, mit demjenigen ihrer Mutter. Dort stehen lediglich drei Exemplare hinter Glas: „Der große Regen“ von Louis Bromfield, der ADAC Reiseatlas sowie Thomas Manns „Der Zauberberg“. Das absolute Highlight von „Die Familien der anderen“ besteht darin, dass Christine Westermann sich daran wagt, eben diesen Wälzer endlich zu bezwingen. Urkomisch beschreibt sie in einzelnen Passagen, die immer wieder eingestreut werden, an welcher Stelle des Romans sie mittlerweile angekommen ist:

Zauberberg (II): Der Autor liebt es, sich sprachlich zu verbiegen. Macht aus einem Elternhaus eine Pflanzstätte und aus einem Feuerzeug einen Taschenzündapparat. […] Sex ist nach gut zweihundert Seiten auch im Spiel. Was Hans Castorp alias Thomas Mann wohl nicht ganz geheuer ist. […] S. 37
Zauberberg (IV): Der Aufstieg stockt. […] Hans Castorp hat übrigens nach elf Monaten Sanatoriumsaufenthalt endlich kein Nasenbluten mehr, […]S. 109

Der spöttische Ton steht Westermann wirklich gut: Folgt sie doch sonst streng ihrem Credo, keine Verrisse zu schreiben, sondern Leseempfehlungen. Gefällt ihr ein Buch nicht, wird es nicht besprochen. Umso schöner ist es, dass gerade das Lesetagebuch zum „Zauberberg“ wunderbar sarkastisch ausfällt – damit können sich sicherlich viele Leser*innen identifizieren.

Besonders spannend und amüsant sind die Schilderungen Westermanns über ihre Zeit als Mitglied des „Literarischen Quartetts“ in der Neuauflage von 2015 bis 2019. Sie erzählt – immer in klarer Sprache und mit einfachem Vokabular – von ihren Selbstzweifeln, den drei anderen akademisch-belesenen Mitgliedern gegenüber oder ihrer Ehrfurcht, als sie im berühmten Theater „Berliner Ensemble“, wo die Sendung aufgezeichnet wurde, auf dem Sofa von Helene Weigel sitzt und friedlich ein Brötchen isst. Solche Bilder bleiben nach der Lektüre im Kopf, die von Westermann empfohlenen Bücher leider weniger. Zu oft klappt der inhaltliche Spagat zwischen Leseempfehlung und Christines Erinnerungen nicht. Ihren Anekdoten folgt man gern, ihre Familiengeschichte berührt, aber die eingestreuten Kurzbesprechungen von Romanen stören eher den Lesefluss und wirken zu gewollt untergebracht. Im Anhang des Buches befindet sich eine Übersicht der empfohlenen Lektüre.

Fazit: Das Buch ist nur bedingt für alle, die auf der Suche nach neuer Lektüre sind. Eher wird es denjenigen gefallen, die mehr über Christine Westermann erfahren möchten und die kompetente Journalistin mit ihrer gütigen, sympathischen Art zu schätzen wissen. Wer gern liest, wird viele ihrer Gedankengänge teilen und beim Lesen wissend nicken. Und wer Thomas Manns „Der Zauberberg“ (noch) nicht oder nur unter Kämpfen bezwungen hat, wird auf jeden Fall etwas zu lachen haben.

    • Autorin: Christine Westermann
    • Titel: Die Familien der anderen: Mein Leben in Büchern
    • Verlag: Kiepenheuer & Witsch
    • Erschienen: 03. November 2022
    • Einband: Hardcover
    • Seiten: 224
    • ISBN: 978-3-462-00301-7
    • Sonstige Informationen:
    • Produktseite 
    • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 11/15 dpt

     


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