Wenn ein Debüt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises landet, dann ist das etwas Besonderes. Der Mainzer Autorin Elena Fischer ist das mit ihrem in diesem Sommer (August 2023) im Diogenes Verlag erschienenen Roman „Paradise Garden“ gelungen. Da der Roman sowohl in den Feuilletons sehr wohlwollend aufgenommen als auch in Bloggerkreisen ziemlich einstimmig gefeiert wird, könnte man sich die Buchvorstellung eigentlich fast sparen. Oder man schaut genau hin, inwieweit der allgemeine Hype gerechtfertigt ist.
Fischer bedient mit ihrem Text das beim Publikum sehr beliebte Genre der Coming-of-age-Story. Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Billie, die in sehr ärmlichen Verhältnissen aufwächst. Mutter Marika hält sie beide mit gleich zwei Jobs eher schlecht als recht über Wasser. Es fehlt an allem, worunter die Heranwachsende natürlich leidet. Trotzdem wächst sie behütet auf. Das Zusammenleben ist von Liebe und Toleranz geprägt. Fischer entwirft ein Mutter-Tochter-Gespann, das man einfach ins Herz schließt.
Der Besuch der ungarischen Großmutter bringt die Idylle in Schieflage. Mit dem plötzlichen Tod Marikas bricht für Billie dann völlig alles auseinander. Fischer schickt ihre jugendliche Heldin auf einen Roadtrip nach Norddeutschland, um, spärlichen Hinweisen folgend, den unbekannten Vater ausfindig zu machen.
Der Roman gehört zu der Sorte, die man in einem Rutsch weglesen kann, da die Autorin über alle Pageturner-Zutaten verfügt. Der Stil ist eingängig und gerade modern genug, um als Perspektive der 14-jährigen Ich-Erzählerin durchzugehen. Die Sprache ist ein moderater Mix aus poetisch-zarten, manchmal humorvollen oder auch melancholischen Tönen. Die Hauptfigur ist durchweg sympatisch. Die Story ist durchgängig hochemotional.
Die Autorin inszeniert die Armut ihrer Protagonistin realistisch. Auf einfühlsame Weise führt sie ihre Leser:innen in Billies Erlebniswelt ein und macht die Nöte der Heranwachsenden sicht- und nachvollziehbar. Die Teenagerin muss nicht nur mit den Herausforderungen des Erwachsenwerdens klar kommen, das „Arm sein“ nötigt ihr eine zusätzliche Resilienz ab.
Trotzdem geht Fischer nie soweit, die Würde ihrer Figuren zu verletzen. Sie legt den Finger ganz direkt in die offenen Wunden des Systems, umschifft jedoch geschickt jedwede Polemik oder Larmoyanz.
Viele Leser:innen werden angesichts dieser Vorzüge von einem perfekten Lese-Erlebnis sprechen, zumal die Autorin ihnen auch noch den Gefallen erweist, die tieftraurige Geschichte zu einem märchenhaftschönen Ende zu führen.
Doch genau dieses Happy-End wirft einen kleinen Schatten auf die wirklich gelungene Lektüre.
Es gibt da diesen einen Moment im Buch, in dem man ganz deutlich den Umschaltmoment spürt, in dem die Autorin sich entscheidet, den bisher gegangenen Weg zu verlassen, um ihrer Figur ein glückliches, aber nicht das konsequent realistische, Ende zu bereiten.
Billie ist gerade zur Vollwaise geworden. Alles ist für sie verloren. Sie wird dem System überantwortet. Diese Ausgangslage ist der Auftakt zur klassischen Abwehrspirale, in die die Figur nun geworfen wird. Fischer, die bis dahin die Armut zum zentralen Thema ihres Romans gemacht hatte, könnte, ja müsste eigentlich, nun damit fortfahren, Billies Leidensgeschichte zu erzählen. Doch sie schlägt einfach eine andere und dazu recht überraschende Richtung ein.
Vielleicht ist es diese Entscheidung, die dem Roman die Nominierung auf der Shortlist gekostet hat. Der Plot zerfällt in zwei Teile, die nicht mehr ganz so harmonisch zusammenpassen. Fischer funktioniert ihre Geschichte in eine Roadstory um und lenkt das Geschehen in Richtung Happy-End.
Was bleibt ist in jedem Fall ein überraschend gutes Debüt. Fischer unterhält und stimmt nachdenklich. Sie berührt. Sie schafft Figuren mit hohem Identifikationspotential, obwohl diese am Rand der Gesellschaft stehen. Man darf sich auf weitere Romane der Autorin freuen.
- Autorin: Elena Fischer
- Titel: Paradise Garden
- Verlag: Diogenes Verlag
- Erschienen: August 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 352 Seiten
- ISBN: 978-3257072501
Wertung: 12/15 dpt