Stille Wasser sind tief, flache offenbaren Abgründe
Dannys Vater steuerte im Sommer 1968 sich und seinen Sohn in seinem alten Buick in den Moon Lake. Ohne die mutige Rettungsaktion von Ronny Candles wäre auch Danny ertrunken. Eine Weile lebt er bei der schwarzen Familie. Dann zieht Danny um zu einer Tante, die er kaum kennt und die zwei Autostunden von seinem Heimatort New Long Lincoln entfernt wohnt.
Zehn Jahre später trocknet der See aus und gibt mehr als nur den überfluteten Ort, das ursprüngliche Long Lincoln, frei. Die Polizei findet das alte Auto, Überreste von Dannys Vater und eine weibliche Leiche im Kofferraum. Danny kehrt nach New Long Lincoln zurück, um Antworten auf Fragen um die Geschehnisse der Vergangenheit zu suchen. Und findet eine Menge Leichen und ein düsteres Geheimnis aus der Historie beider Orte. Bis in die Gegenwart des Handlungszeitraums wachsen finsterste, okkulte Machenschaften wie Krebsgeschwüre und manifestieren generationenübergreifend menschenverachtendes Unrecht. Danny und Ronny bekommen es mit Gegnern zu tun, denen jedes Mittel recht ist, um ihr Geheimnis und den Status Quo zu wahren.
So typisch Lansdale
Joe R. Lansdale hat die Gabe, Geschichten mit einem für ihn typischen Wiedererkennungswert zu schreiben und sich gleichzeitig immer neue, originelle Plots auszudenken. Alle seine Romane spielen in seiner Heimat Osttexas, die Schauplätze liegen oft in der Nähe von Gewässern. Zu den Themen, denen sich der Autor durchgängig widmet, gehören Rassismus, Homophobie und zumindest in Werken, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielen, auch Kapitalismuskritik. Was Lansdales Romane aber vor allem auszeichnet, ist Menschlichkeit. Seine Akteure sind normale Menschen ohne besondere Fähigkeiten. Ihnen passieren gute und schlechte Dinge. Sie treffen gute und schlechte Entscheidungen und ringen mit den Konsequenzen.
In „Moon Lake“ geschieht dem jungen Danny etwas Schreckliches: Sein Vater versucht sich und ihn umzubringen. Dafür, dass Danny nicht an diesem Schicksalsschlag zerbricht, sorgt die Familie Candles. Sie nehmen ihn nicht nur auf und sorgen für ihn. Sondern sie teilen ihre Geschichte als Schwarze Bürger der Stadt mit ihm, nehmen ihn und seine Sorgen ernst und fangen seinen Kummer mit Liebe und Geborgenheit auf. Die logische Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass Danny zehn Jahre später den Kampf für das Gute aufnimmt. Seite an Seite mit Polizistin Ronny Candles und seiner Vermieterin Mrs. Chandler, die ihrerseits gute Gründe hat, gegen ein zum Himmel schreiendes Unrecht und grausamste Verbrechen in New Long Lincoln zu kämpfen. Die Antagonisten seiner Held:innen zeichnet der Autor in den dunkelsten Farben, aber auch in Grautönen. Sie alle bringen ihre Geschichte mit, die sie zu dem machen, was sie sind.
Von Poesie bis Trash – eine Herausforderung für Übersetzende
Joe R. Landales Romane zeichnet darüber hinaus ein spezieller Genre-Mix aus zwischen Crime Noir, Coming of Age, Mystery und Horror, was auch für „Moon Lake“ gilt. Wir erleben mit, wie Danny aufwächst, lesen über Morde und Mörder, die die Stadt über Jahre heimsuchen, begegnen mystischen und furchteinflößenden Gestalten. Joe R. Lansdales literarische Wurzeln liegen im Pulp und auch das merkt man seinen Romanen an. Auch „Moon Lake“ nimmt im Finale diese für viele Lansdale-Geschichten typische Wendung ins Absurde, mit Geschehnissen und Elementen, die Lesende gruseln, aber auch schmunzeln und lachen lassen. Zumindest die mit schwarzem Humor. Der Trash-Faktor in diesem Roman reicht zwar nicht an den der „Hap und Leonard“ Romane heran, erinnert aber durchaus an die populäre Serie.
Lansdales Schreibstil besticht gleichermaßen durch Poesie und Prägnanz, findet sowohl für die Schönheit des Mondlichts auf dem See, als auch für Dreck, Gewalt, Blut, Folter und Schmerz eindringliche Formulierungen. Manches Bild passt so gerade noch zur beschriebenen Situation, andere verzerren die Szene ins Satirische. Für Übersetzer und Übersetzerinnen ist des Autors Schreibe sicherlich nicht einfach in Formulierungen zu übertragen, die den richtigen Ton treffen, aber auch dem deutschen Sprachgebrauch entsprechen. Das ist zum Beispiel Hannes Riffel, dem Übersetzer von „Dunkle Gewässer“ etwas besser gelungen als Patrick Baumann in „Moon Lake“. Mancher Dialog ist hier zwar richtig übersetzt, würde aber in deutscher Sprache wahrscheinlich so nicht gesprochen werden.
Fazit
Mit „Moon Lake“ erzählt Joe R. Lansdale eine krasse Geschichte, die in den späten 1960er und 1970er Jahren spielt. Sie fängt harmlos an mit der Rettung des dreizehnjährigen Danny und seiner Zeit bei den Candles, nimmt einen kurzen Anlauf über die Zeit des Erwachsenwerdens und biegt ein auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, gespickt mit systematischer Skrupellosigkeit, Hass, grenzenlosem Egoismus und Wahnsinn. Jim Crowe Rassismus Gesetze und reinster Kapitalismus prägen dieses Amerika, auch nach dem Ende der Rassentrennung und dem Inkrafttreten des Civil Rights Act.
„Moon Lake“ ist also ein typischer Lansdale Roman und erzählt dennoch eine neuartige, spannende und ergreifende Geschichte über tiefe menschliche Abgründe und jene, die sich ihnen entgegenstellen.
- Autor: Joe R. Lansdale
- Titel: Moon Lake – Eine verlorene Stadt
- Originaltitel: Moon Lake
- Übersetzer: Patrick Baumann
- Verlag: Festa Verlag
- Erschienen: 11/2022
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 464
- ISBN: 978-3-98676-030-4
- Sonstige Informationen:
- Produktseite zu Moon Lake beim Festa-Verlag
Wertung: 12/15 dpt