Vierzehn Kandidaten. Sieben Tage. Ein verlassener Freizeitpark. Die Aufgabe: Versteckt bleiben, ohne gefunden zu werden. Der Gewinn: Genug Geld, um endlich ein glücklicheres Leben führen zu können.
Mack ist sich sicher, diese Realityshow gewinnen zu können. Sich verstecken und im Verborgenen bleiben, das tut sie schließlich bereits ihr ganzes Leben lang. Als jedoch nach und nach immer mehr Kandidaten verschwinden, wird Mack klar, dass etwas nicht stimmt und bei dieser Gameshow weitaus mehr auf dem Spiel steht.
Spielshows, die mit dem Leben von Menschen spielen, sind seit Langem ein beliebtes Thema in der Popkultur. Sei es in Stephen Kings Roman „Menschenjagd“, in dem deutschen Fernsehfilm „Das Millionenspiel“, dem Weltbestseller „Die Tribute von Panem“ samt Filmen, dem japanischen Film „Battle Royale“ oder den Netflixserien „Squid Game“ und „Black Mirror“: Die zunehmende Perversion der Unterhaltungsbranche wurde längst von derselben erkannt. Titulierte man die erste Staffel Big Brother anno 2000 noch als Tabubruch, hat man sich mittlerweile an genau diese Tabubrüche längst gewöhnt. In Zeiten von Social Media, die von Menschen genutzt werden, um freiwillig ihr Privatleben zu präsentieren, und „Live-Matches“ auf TikTok, wirken Formate, in denen mit Menschenleben verhandelt wird, plötzlich gar nicht mehr allzu dystopisch.
In Kiersten Whites Roman finden sich vierzehn junge Menschen, die alle irgendwie Opfer ihrer Generation sind, in einer vielversprechenden Gameshow wieder.
Da ist zum Beispiel eine Influencerin, die von großen Sponsoren träumt, eine Schauspielerin, die laut Manager bloß eine Brustvergrößerung benötigt, um die richtigen Rollen zu bekommen und ein angehender Fitnessstudiobesitzer, dem bloß noch das Fitnessstudio fehlt. Aber auch die ewige Praktikantin, deren exklusiver Studiengang dennoch keine vielversprechende Arbeitsstelle einbrachte, der zynische Schriftsteller, dessen beeindruckendes Wissen über Maxim Gorki weder Bewunderung noch eigene Ideen erntet und eine Handvoll Menschen, denen das Leben einfach übel mitgespielt hat, sind nun verzweifelt genug, um in einer Fernsehshow ihr Glück zu versuchen.
In Kiersten Whites Roman treffen sehr viele unterschiedliche Charaktere aufeinander, die alle ihr eigenes Päckchen zu tragen haben. Diese sind so unterschiedlich wie die Charaktere selbst und mögen die Probleme des einen angesichts der Sorgen, die andere plagen, banal erscheinen, so eint sie doch alle die Ratlosigkeit.
Ratlosigkeit, Resignation, Zukunftsängste, Diskriminierung und der ewige Zwist der Generationen sind die Themen, die den Roman tragen und die anhand der zahlreichen Figuren dargestellt werden. Durch die wechselnden Erzählperspektiven erhält der Leser Einblicke in die Sorgen der einzelnen Personen. Auf diese Weise wird einerseits zahlreiches Identifikationsmaterial geboten und andererseits die Möglichkeit, die unterschiedlichen Sichtweisen kennenzulernen.
Deutlich wird dies beispielsweise in einer leisen Kritik an True-Crime-Formaten. Was für die einen reine, meist nicht böswillige Unterhaltung ist, ist für die anderen schmerzhafte Realität. Diese Erkenntnis hinterlässt beim Lesen einen bitteren Nachgeschmack.
Die Beschreibungen der verlassenen Landschaft sind eindringlich und rufen Bilder hervor, die einen wohligen Schauer über den Rücken rieseln lassen. In Verbindung mit dem Innenleben der Protagonisten, die in der Einsamkeit der Wildnis gezwungen sind, sich mit der Einsamkeit ihrer Gefühlswelt auseinanderzusetzen, wird ein Horror erschaffen, der ein wenig an den Alltagshorror eines Stephen Kings erinnert.
Was im Laufe des Romans leider verloren geht, ist die Idee des grenzüberschreitenden Fernsehens. Auflösung und Ursache für den Horror sind durchaus nicht uninteressant, jedoch gewöhnungsbedürftig und schlagen eine ganz andere Richtung ein als die, die man zunächst erwarten würde. Bedauerlicherweise fällt eine mögliche Erklärung hierzu recht dürftig aus, stattdessen werden einige Fragen aufgeworfen, die leider nicht beantwortet werden.
Gewöhnungsbedürftig ist auch die Schreib- und Erzählweise. Und auch wenn sich recht bald auf eine bestimmte Gruppe konzentriert wird, ist das große Personenensemble ein wenig verwirrend, zumindest am Anfang fällt es schwer, die einzelnen Charaktere auseinanderzuhalten.
Gelungen ist jedoch die Spannung, die genau richtig dosiert ist, sowie Kiersten Whites Gespür für ihre Figuren und das aktuelle Zeitgeschehen, welches sie perfekt einfängt.
„Amazement Park“ ist vielleicht kein Meisterwerk, aber ein solider Horror-Fantasy-Thriller, der auf den Grusel unseres Zeitgeistes aufmerksam macht, zum Nachdenken anregt und für die Gefühle unserer Mitmenschen sensibilisiert.
Denn Monster und innere Dämonen plagen uns alle. Für manche sind sie bloß sichtbarer.
Wertung: 9/15 dpt
- Autor: Kiersten White
- Titel: Amazement Park
- Originaltitel: Hide
- Übersetzer: Kerstin Fricke
- Verlag: Piper
- Erschienen: 06/2023
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 336
- ISBN: 978-3-492-70639-1
- Sonstige Informationen:
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Cover © Piper Verlag GmbH
liebe Anna, deine Buchbeschreibung ist brillant!, die Schilderung der handelnden Personen, Umgebung und Hintergründen machen neugierig auf den Inhalt des Buches. Bewundernswert dein Schreibstil.
Vielen lieben Dank für deinen lieben Kommentar! Ich freue mich sehr darüber!