Thilo Corzilius – Die Lüge von Feuer und Ewigkeit (Buch)


Ein Geheimnis, ein Mord, eine Quest und eine Katastrophe

© KLett Cotta / Hobbit Presse

Tali, eine Assassinin der Sturmpriester, erhielt den Auftrag, den Grafen von Ebenar umzubringen. Doch jemand kam ihr zuvor.

Gräfin Jenna verlor durch den Mord ihr Kind und beschließt herauszufinden, wer ihren Ehemann umgebrachte und warum. Ihr Berater Infendio zieht los, um geeignete Mitstreiter für diesen Auftrag zu rekrutieren. Und findet: einen geheimnisvollen und grübelnden Zauberer, eine gescheiterte Ritterin und einen geschwätzigen Drachen. Und die Beinahe-Mörderin, die für den Ausstieg bei den Sturmpriestern die Gesundheit ihres Arms opferte.

Die Sturmpriester sagen das Wetter voraus, mit verblüffender Genauigkeit. Wie machen sie das? Dieses Geheimnis wollte Miral von Ebenar ergründen. Der Zauberer Mandris will es ebenfalls unbedingt erfahren. Die Quest führt die fünf Gefährt:innen nach Kett und was sie dort entdecken, verändert den Lauf der Dinge auf dem Kontinent Amarelle. Als sich die Völker Amarelles gerade anschicken, die entfesselte Macht in ihre Gewalt zu bringen, geschieht eine Katastrophe. Und die Held:innen sehen mit Entsetzen, dass der in Kett befreite Geist sich nicht wieder in die Flasche zwingen lässt.

Du wirst in die Dunkelheit hineinrufen. Und dreimal wird man Dir antworten. Vernehmen wirst Du die Antwort des Krieges. Die Antwort des verlorenen Wanderers, und die Antwort des geheimen Feuers. Und vor Deinem Tod werden wir uns wiedersehen. S. 125

Ein charismatisches, beinahe zu menschliches Ensemble

Ähnlich wie in „Diebe der Nacht“ schickt Thilo Corzilius in seinem aktuellen Roman „Die Lüge von Feuer und Ewigkeit“ eine illustre Gruppe in spektakuläre Abenteuer. Typische Held:innen sind sie nicht, sondern eher gestrauchelte Charaktere, die schwere Schicksale schultern müssen. Es sind Menschen mit Stärken und Schwächen, die mitunter grundlegend falsche Entscheidungen treffen und damit hadern.

Für eine Fantasy-Erzählung kommen sie vielleicht fast „zu“ menschlich daher. So lässt sich zumindest die Kritik erklären, die einige Kommentierende äußern. Ich hingegen fand es besonders glaubwürdig, dass Mandris trotz magischer Talente und fundiertem Wissen menschlicher Schwächen wie Neugier und Eitelkeit erliegt. Raurianne vermasselt die Prüfung zur Ritterin und fühlt toxische Loyalität zur Liga und ihrer Familie, auch nachdem sie deren Mittel und Ziele nicht länger gutheißt. Auch Rauriannes Abhängigkeit wider besseren Wissens wird kritisiert. Und doch sind solche zwanghaften Bindungen in unserer Gesellschaft, zum Beispiel in Religionen, allgegenwärtig. Jenna und Infendio kommen wie Politiker herüber, die die Interessen ihrer Grafschaft vertreten, wachsen jedoch charakterlich zu ehrlichen und emotionalen Freunden heran. Tali bringt außer ihrer bei der Flucht vor den Sturmpriestern erlittenen Verletzung eine einsame und heimatlose Kindheit mit. Sie alle schweißt das Abenteuer zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen. Zwischen einigen entstehen tiefere Gefühle, originell, divers und glaubwürdig entwickelt.

Die Faszination der Welt erwächst aus der Geschichte

Vom Kontinent Amarelle gibt es auf den ersten Seiten des Buchs eine hübsche und übersichtliche Karte. Zunächst wirkt er wie eine normale Fantasy-Welt mit der typisch mittelalterlich angehauchten Feudalgesellschaft. Thilo Corzilius entwickelte seine Schauplätze analog zu der Geschichte weiter zu einer steampunkigen Welt mit faszinierenden geografischen und technologischen Besonderheiten. Die „Länder der Nacht“ bilden eine Art Matrix zwischen verschiedenen Welten, über die Lesende vielleicht an anderer Stelle mehr erfahren. Angedeutet werden ein komplexer und weitreichender Kosmos. Ein auf den Elementen basierendes, mächtiges, aber dennoch limitiertes Magie-System rundet diesen einzigartigen Weltenbau ab. Die Protagonist:innen praktizieren es individuell, verändern es und lernen voneinander.

Eine Szene, verschiedene Perspektiven

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht der Protagonist:innen erzählt. Bisweilen bedient sich der Autor eines erzählerischen Mittels, das schon George R. R. Martin in seinen „Eis und Feuer“ Romanen erfolgreich nutze: die Schilderung derselben Szene aus der Sicht mehrerer Personen. Dass dabei Dialoge im selben Wortlaut wiederholt werden, ist logisch, wird allerdings ebenfalls kritisiert. Dabei ist es äußerst spannend, entscheidende Szenen aus verschiedenen Perspektiven zu erleben. Es erschafft eine intime Nähe zu den Figuren und bietet ein breites Spektrum an Einblicken auf die entsprechende Szene.

Stärken und Schwächen in der Entwicklung

Thilo Corzilius hat mit „Die Lüge von Feuer und Ewigkeit“ ein vielschichtiges Fantasy-Abenteuer geschrieben, dem man auf den ersten Blick die zahlreichen Analogien zu gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit gar nicht anmerkt. Wir lesen eine Fantasy typische Quest, deren Ziel nach dem ersten Drittel erreicht ist: Das Geheimnis der Sturmpriester ist gelüftet. Danach verringert sich deutlich das Tempo der Geschichte und der Spannungsbogen hängt ein wenig durch, bevor er wieder ansteigt. Die Länder Amarelles buhlen um die Macht, die das nun öffentliche Geheimnis darstellt. Das Volk der Bandu und die Drachen beobachten das Geschehen und greifen den Abenteurern unter die Arme, bevor es zur Katastrophe kommt.

Je weiter die Geschichte fortschreitet, umso offensichtlicher wird, dass es im übertragenden Sinn um die Verantwortung für technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt geht. Der Kontinent Amarelle verändert sich und unsere Erde verändert sich ebenfalls infolge des menschengemachten Klimawandels. Die Sturmpriester lassen sich ihre Wettervorhersagen gut bezahlen und auch wir beuten die Rohstoffe unseres Planeten aus, um Geld zu verdienen. Und ohne hinreichend die Folgen für kommende Generationen zu berücksichtigen. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist sicherlich das Thema Künstliche Intelligenz, deren Entwicklungsgeschwindigkeit die Abwägung von Risiken bereits jetzt abgehängt hat.

Jetzt fuhr Mandris hoch. „Nun hör mal auf, so selbstgerecht zu sein, Drache. Du bist mitgekommen, du warst ebenfalls neugierig., und außerdem: Was geschehen ist, kann man nun nicht mehr ändern. Wenn Du willst, dass etwas Sinnvolles passiert, dann lass die Vorwürfe – mach lieber einen brauchbaren Vorschlag. S. 426

Fazit

Mit viel Feingefühl und Cleverness entwickelt der Autor die Hintergründe in „Die Lüge von Feuer und Ewigkeit“. Nicht ganz so sorgfältig ausgearbeitet und vorhersehbar erscheint die Herleitung einiger Schlüsselszenen oder Wendepunkte. Zum Beispiel beginnt die Quest mit sechs Personen, der zusätzliche Begleiter wird allerdings weder eingeführt noch näher charakterisiert. Wäre er ein Star Trek Protagonist, hätte er ein rotes Shirt getragen.

Ähnliches gilt für das Finale. Einerseits stellt es ein Plädoyer für Völkerverständigung und Toleranz dar. Andererseits kommt ein bestimmtes Ereignis sehr plötzlich daher und entfaltet sich nicht wirklich aus der Geschichte. Insgesamt ist der Roman „Die Lüge von Feuer und Ewigkeit“ jedoch ein spannendes Fantasy-Abenteuer, das sich zu einem tiefgründigem Epos entwickelt und sich vor allem durch die kompromisslose Menschlichkeit der Protagonist:innen auszeichnet.

  • Autor: Thilo Corzilius
  • Titel: Die Lüge von Feuer und Ewigkeit
  • Verlag: Klett Cotta / Hobbit Presse
  • Erschienen: 03/2023
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 640
  • ISBN:9 78-3-608-98084-4
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 11/15 dpt

 


2 Kommentare
  1. Bisher bin ich um den Autor herumgeschlichen aber deine Rezension macht neugierig. Die Punkte, die andere Personen als Kritikpunkte sehen ist tatsächlich das, was mir gefällt. Gerade die Schilderung aus unterschiedlichen Perspektiven. Danke für die ausführliche Rezension. Viele Grüße Petra von phantastische-fluchten.blogspot.com

    1. Sehr gerne, Petra. Ich bin froh, das ‘rüberkommt, das ich manchen Kritikpunkt echt nicht nachvollziehen konnte. Andere Kritikpunkte teile ich hingegen durchaus. Insgesamt ist “Die Lüge von Feuer und Ewigkeit” aber ein guter und unterhaltsamer Roman, der klassisch beginnt und sich zu etwas Besonderem entfaltet. Liebe Grüße, Eva

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