Harald Fritzsch – Flucht aus Leipzig


© Connewitzer Verlagsbuchhandlung

Es ist 20.08 Uhr als sich ein Plakat in der Leipziger Kongresshalle entrollt. In der Halle befinden sich zu diesem Zeitpunkt, am 20. Juni 1968, anlässlich des jährlich stattfindenden Bachwettbewerbs mehr als 2000 Zuschauer, die die Botschaft zu sehen bekommen, die von zwei Studenten verfasst worden war: „Wir fordern Wiederaufbau“. Gemeint ist der Wiederaufbau der Paulinerkirche. Das 700 – Jahre alte Gebäude war kurz zuvor am 30. Mai gesprengt worden und ist auf dem Plakat als Zeichnung zu sehen. Diese Aktion löst sofort heftiges Entsetzen bei der Staatsmacht aus und den beiden jungen Männern wird schnell bewusst, dass es lediglich eine Frage der Zeit ist, wann die STASI herausfinden würde, wer hinter diesem Affront gegen die damalige Obrigkeit steht.

Harald Fritzsch und Stefan Welzk sind diese beiden Studenten, die daraufhin ihre Flucht gen Westen in Angriff nehmen. Es beginnt eine waghalsige Reise, die die beiden über das Schwarze Meer an die Küste von İğneada führt, von wo aus sie in die Bundesrepublik einreisen, in der beide eine Karriere verfolgen, die ihnen in der DDR so nicht möglich gewesen wäre. Fritzsch geht nach München, setzt dort sein Physikstudium fort und promoviert während Welzk sein Philosophiestudium in Hamburg vollendet und ebenfalls seine Doktorarbeit schreibt.

Der Physiker Harald Fritzsch hat diese Erlebnisse in seinem Buch „Flucht aus Leipzig“ festgehalten und dokumentiert. Das Werk ist erstmalig 1990 im Piper Verlag erschienen und wurde 2016 in einer handlichen Hard Cover Ausgabe von der Connewitzer Verlagsbuchhandlung neu herausgegeben.

Fritzsch bleibt in seinen Ausführungen stets prägnant und verzichtet auf Ausschweifungen. So beginnt er die Geschichte zu diesen zwei essenziellen Ereignissen, die sein Werk auszeichnen und ihn prägten nicht mit einer ausladenden Vorgeschichte, sondern setzt nach einem kurzen Prolog, direkt im Jahr 1967 an. Er beschreibt wie es ihm, als Sohn eines selbständigen Bauunternehmers, nach seinem Dienst in der Nationalen Volksarmee möglich war sein Physik Studium aufzunehmen. In einzelnen Rückblenden bezieht er sich unter anderem auch auf seine Schulzeit und die Aussage eines Lehrers, die ihn an dem vorherrschenden System zweifeln und schon in jungen Jahren den Entschluss in ihm reifen ließ die DDR zu verlassen.

Da hättest du dir aber einen anderen Vater aussuchen sollen. Bei uns studieren nur Kinder von Arbeitern und Bauern, schreib dir das hinter die Ohren, Junge.

Immer wieder schmiedet er mit Freunden, auch schon während seiner Zeit in der NVA, Pläne für eine Flucht, die er wohlüberlegt angeht und auch scheint ihm stets das Glück ein Begleiter zu sein. Wie groß die Gefahr ist, vom Ministerium für Staatssicherheit entdeckt zu werden, wird ihm erst bewusst als er beim Pläneschmieden fast erwischt wird. Danach agiert er vorsichtiger und beschreibt, wie hoch das Misstrauen und die Vorsicht war, die er stets im Hinterkopf haben musste. Aufgelockert wird diese manchmal bedrückende Stimmung von kurz eingeschobenen Sätzen, in denen auch das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung immer wieder deutlich werden. So etwa wenn Fritzsch auf seine Wirtin zu sprechen kommt oder das kulturelle Angebot aufgreift, das er mit seiner damaligen Freundin Susanne wahrnahm, wenn sie beispielsweise das Gewandhaus oder auch das Kabarett „Die Pfeffermühle“ besuchen.

Gestern war die Pfeffermühle zu, heute sind wir offen. Wenn wir heute zu offen sind, sind wir morgen wieder zu.

Beim Lesen von „Flucht aus Leipzig“ wird klar, dass Fritzsch es nicht wichtig ist seine Flucht vor den möglichen Repressalien aufgrund der Plakataktion reißerisch in den Vordergrund zu stellen, sondern das „Warum“ in all seinen Facetten zu erklären, das ihn zu diesem Schritt bewegt hat. Nachvollziehbar stellt er dar, dass auch wenn er schon früh fest entschlossen war die Flucht anzutreten, es niemals eine leichte Entscheidung war, denn da war auch eine Freundin und eine Familie, die er zurückgelassen hat und die er erst 16 Jahre nach seiner Flucht wiedersehen sollte.

Schnörkellos und kurzweilig zeichnet Harald Fritzsch ein Bild der DDR, so wie er sie erlebt hat und gleich einem Transparent entrollt sich dieses Bild klar und deutlich. Schnell wird klar, worauf es ihm in seiner Erzählung ankommt und dass ein Weggang mehr bedeutet als Flucht, sondern, dass dieser auch immer einen Neuanfang in sich trägt. Umrahmt wird dieser Gedanke am Anfang des Buches von den Bildern Karin Wieckhorsts, die die Fotos der einstürzenden Paulinerkirche heimlich aus dem Grassi Museum heraus aufnahm, sowie von dem Interview, das sich am Ende des Buches finden lässt, in dem Fritzsch auf die einzelnen Stationen in seinem Leben Bezug nimmt. Zudem hat die Connewitzer Verlagsbuchhandlung eine englische Ausgabe im Sortiment, was einmal mehr dazu anregt, sich mit diesem Werk auseinander zu setzen, denn es zeigt den Willen und die Offenheit, gerade dieses Buch auch über die sprachliche Grenze hinweg, einem möglichst breitem Publikum zugänglich zu machen.

  • Autor: Harald Fritzsch
  • Titel: Flucht aus Leipzig
  • Verlag: Connewitzer Verlagsbuchhandlung
  • Erschienen: 2016
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 176
  • ISBN:978-3-937799-71-1
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 14/15 dpt

 


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