Grausamer Doppelmord auf Hawai und der Überfall auf Pearl Harbor
Hawai. Auf einer Milchfarm im Ka’a’awa Valley in der Nähe von Kahana Beach macht ein Landarbeiter in einem Geräteschuppen eine grausige Entdeckung. Detective Joe McGrady vom Honolulu Police Department soll sich auf Anweisung seines Vorgesetzten Captain Beamer des Falles annehmen. Zunächst findet McGrady die an einem Fleischerhaken kopfüber aufgehängte Leiche eines jungen Mannes. Nachdem er Verstärkung angefordert hat, trifft er – zurück am Tatort – auf einen Mann, der offenbar den Schuppen in Brand setzen will. Nach einem Schusswechsel stirbt der Fremde, während der hinzugezogene Sergeant Kondo eine weitere Leiche bemerkt. Wie sich bei der Obduktion herausstellt, handelt es sich bei den Opfern um den seit drei Tagen vermissten Neffen von Admiral Kimmel, US-Oberbefehlshaber der Pazifikflotte, sowie dessen japanische Freundin. Kimmel will, dass McGrady den Mörder sucht, während Beamer darauf besteht, dass Detective Fred Ball, dessen Methoden nicht unumstritten sind, die Ermittlung leitet.
„Das habe ich schon begriffen.“
„Verständlich. Sie waren auf dem College. Sie waren Captain in der Army. Derselbe Rang wie er, aber seien wir ehrlich – die Army ist ein anderes Paar Schuhe, die großen Jungs. Dagegen ist das HPD ein Haufen Bauerntrampel. Was die Leute nicht kennen, mögen sie nicht. Diese Suppe zum Beispiel. Was zu Teufel ist da drin?“
„Verdicktes Entenblut. Nach einer Weile kommt man auf den Geschmack.
Als wenige Tage später ein Mord auf Wake Island gemeldet wird, dessen Brutalität dem Doppelmord auf Hawai gleicht, ergibt sich eine erste Spur, denn es gab nur eine Person die auf einer Flugreise von Hawai nach Hongkong bei einem Zwischenstopp auf Wake Island den fraglichen Tag dort verbrachte. McGrady wird nach Hongkong geschickt, wo er den Mörder, der seinen Flug als John Smith gebucht hatte, stellen soll. Am 7. Dezember 1941 kommt McGrady in der britischen Kronkolonie an und läuft geradewegs in eine Falle. Er wird verhaftet, doch dann erobern die Japaner die Stadt und McGrady wird nach Tokyo verschleppt, wo ihm überraschend der Diplomat Takahashi Kansei bis zur Kapitulation ein Versteck bietet.
Gewinner des Edgar Award 2022 und des Barry Award 2022
„Fünf Winter“ spielt vom November 1941 bis Dezember 1945, daher auch der treffendere Originaltitel „Five Decembers“. Es beginnt mit dem Doppelmord auf Hawai bis zur Verhaftung McGradys in Hongkong. Danach folgen im Mittelteil die Kriegsjahre, in denen McGrady im Haus von Takahashi und dessen Tochter Sachi versteckt wird. Im dritten und finalen Teil geht es zunächst wieder zurück nach Hawai, wo McGrady den Doppelmord aufklären will und auf einen noch größeren Fall trifft. Der Roman war 2022 ein großer Erfolg in Amerika, gewann den Edgar (Allan Poe) Award und den Barry Award, und ist im März 2023 im Suhrkamp Verlag erschienen. Hinter dem Pseudonym James Kestrel verbirgt sich Jonathan Moore, unter dessen Namen im Vorjahr – ebenfalls bei Suhrkamp – der Thriller „Poison Artist“ erschienen ist.
„Unmöglich.“
„Wie bitte?“
„Das Kabel funktioniert nicht mehr. Wir wissen nicht, an welcher Stelle es durchtrennt wurde.“
„Wo sonst, wenn nicht hier?“
„Sie begreifen es nicht. Die Japsen haben Pearl Harbor angegriffen. Und Wake. Dann Guam und Manila und Hongkong zur selben Zeit. Wir reden über eine Front von fast neuntausend Kilometern Länge.
„Fünf Winter“ hat seine Preise zurecht gewonnen, denn es ist ein grandioser Mix aus Krimi, Thriller, Kriegsroman und einer tragischen Liebesgeschichte. Mit hohem Erzähltempo treibt Kestrel die Story voran, ohne dabei auf Details zu verzichten. Das rund fünfhundert Seiten starke Werk lässt sich problemlos an zwei Tagen lesen, denn – fünf Euro ins Phrasenschwein – dieses Buch legt man wirklich ungern aus der Hand.
Die Ermittlungen auf Hawai werden detailliert beschrieben, wenngleich im Hintergrund die Vorboten des Krieges im Pazifik nicht zu übersehen sind. Eine gewaltige Kampfflotte wird in Pearl Harbor stationiert und zu einem nicht unerheblichen Teil am 7. Dezember 1941, am Tag von McGradys Ankunft in Hongkong, vernichtet. Einen Tag später folgt die Kriegserklärung der USA an Japan. Genau dieser Aspekt macht den Roman zeithistorisch besonders interessant, denn Krimis respektive Thriller, die während des Zweiten Weltkrieges im Pazifik spielen, sind selten. Zumeist fokussiert man sich auf den Kriegsverlauf in Europa, den Holocaust, Hitler und die Nationalsozialisten.
„Ja.“
„Wie lange?“
„Bis der Krieg vorbei ist.“
„Haben Sie eine Vorstellung, wie lange das dauern könnte?“
„Wenn es eine diplomatische Lösung gibt, geht es sicher schneller.“
„Können Sie sich das vorstellen? Ich habe die Vorbereitungen in Honolulu gesehen. Ich kann Ihnen versichern, dass man die Differenzen nicht mit einem Stück Papier aus der Welt schaffen will.
Die Schrecken des Pazifikkrieges (mindestens eine Viertelmillionen Opfer) und die massiven Bombenangriffe auf Tokyo (über 50% der Stadt wurde zerstört) sowie andere Städte, werden ungeschönt aufgezeigt. McGrady ist im Haus seines Gastgebers quasi gefangen, darf dieses als Amerikaner nicht verlassen und dennoch geht es ihm vergleichsweise gut. Er muss nicht hungern und dank Sachi lernt er im Lauf der Jahre die japanische Sprache, wobei sich die beiden näherkommen. Japanische Sitten und McGradys große Liebe, eine Frau namens Molly auf Hawai, stellen jedoch eine nicht zu unterschätzende Barriere dar.
Ein packender Krimiplot, ein harter Einblick in die Grauen des Krieges sowie eine ergreifende Liebesgeschichte tragen diesen insgesamt imponierenden Roman, dessen Verfilmung nicht lange auf sich warten lassen dürfte respektive sollte. Schon jetzt einer der interessantesten Thriller des Jahres 2023. Klare Empfehlung!
- Autor: James Kestrel
- Titel: Fünf Winter
- Originaltitel: Five Decembers
- Übersetzer: Stefan Lux
- Verlag: Suhrkamp
- Erschienen: 03/2023
- Einband: Hardcover
- Seiten: 499
- ISBN: 978-3-518-47317-7
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
- Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 13/15 dpt
