Wolfgang Benz – Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser (Buch)


Das Attentat, das die Geschichte hätte verändern können

Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser
© C.H. Beck

Acht Tote, 63 Verletzte, Hitler überlebte. So lautet die Bilanz des 8. November 1939. Ein in vieler Hinsicht denkwürdiger Abend, an dem der Schreiner Johann Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe explodieren lies. Zum Jahrestag des Putschversuches von 1923 trifft sich Hitler mit seinen alten Weggefährten in dem traditionsreichen Bierhaus. Danach wollte er aufgrund der Kriegslage sofort zurück nach Berlin fliegen, doch die Wetterlage gibt dies nicht her. Kurzfristig wird der Ablauf umgestellt, seine Rede gekürzt, denn er muss einen Zug erreichen. Es sind nur wenige Minuten, die jedoch dafür sorgen, dass Hitler von dem Anschlag zunächst nichts mitbekommt. Ein Zufall oder wie es die damalige Propaganda meinte: Die Vorsehung. Wäre das Attentat geglückt, hätte sich der weitere Kriegs- und somit Geschichtsverlauf anders entwickelt.  

Anders als viele Widerstandskämpfer, von den Geschwistern Scholl bis zum Grafen Stauffenberg, musste Georg nicht nach anfänglicher Begeisterung für den „Führer“ der „nationalen Erhebung“ zur besseren Einsicht kommen, er brauchte kein Damaskus-Erlebnis, das ihn wie einst den Saulus zum Paulus machen musste, weil er in sachlicher Unbeirrbarkeit nie auf anderem Weg wandelte, nie eine falsche Richtung eingeschlagen hatte.

Für die Propaganda der Nazis ein willkommener Anlass, den Engländern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein Einzeltäter ohne Auftraggeber, dies war (offiziell) undenkbar. Im Ausland glaubte man hingegen, dass womöglich Hitler selbst den Auftrag für das Attentat gegeben habe. Erinnerungen an die Reichskristallnacht lebten auf. Seine letzten Jahre verbrachte Elser in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau als „persönlicher Gefangener des Führers“, denn nach dem „Endsieg“ sollte es einen großen Schauprozess geben. Kurz vor der Befreiung von Dachau wurde Elser erschossen.

Facetten- und kenntnisreiche Betrachtung des Johann Georg Elser und seiner Zeit

Wenn man heute vom Widerstand im Dritten Reich spricht, fallen zum Thema Attentäter fast ausschließlich zwei Namen: Graf Stauffenberg und Elser. Dabei hätte nur das Attentat des Handwerkers aus Königsbronn den Lauf der Geschichte entscheidend verändern können. Der in der Öffentlichkeit deutlich präsentere Anschlag vom 20. Juli 1944 war eher symbolischer Natur. Attentatspläne gegen Hitler aus dem militärischen Umfeld gab es schon in den 1930er Jahren, allerdings wurden diese nie umgesetzt. Als man im Juli 1944 endlich zur Tat schritt, war das Schicksal der Nation und das Unheil, welches die Nazidiktatur über Deutschland und die Welt brachte, längst entschieden. Die öffentliche und vor allem mediale Aufmerksamkeit dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass sich Militärs gegen die eigene Regierung auflehnten.

Das späte Unternehmen Stauffenbergs und seiner Freunde markiert die Skrupel der Vertreter einer militärischen Elite, die sich berufen fühlte, ins Rad der Geschichte zu greifen, aber zu lange brauchte, um Erfolgsaussicht und moralische Berechtigung der geplanten Tat abzuwägen. Auflehnungen gegen die Staatsgewalt war freilich weder in ihrer Sozialisation als Offiziere noch in der Tradition ihres Berufes zu verorten. Meuterei war im deutschen Soldatentum das Fremdwort schlechthin.

Wolfgang Benz, langjähriger Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, ist ein profunder Kenner der Geschichte des Nationalsozialismus und des Widerstands (siehe auch beispielhaft „Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler“, C.H. Beck Verlag 2019). In seinem lesenswerten Werk über Johann Georg Elser entwirft er einen großen Bogen, der zum Gesamtverständnis der damaligen Zeit und zum Leben und Handeln des Attentäters respektive Widerstandskämpfers unerlässlich ist. Neben den obligatorischen biografischen Anmerkungen werden die Zustände im Dritten Reich, die die Freiheit der Menschen von Tag zu Tag immer mehr abschaffen sowie die außenpolitischen Entwicklungen, die geradewegs auf einen Krieg zusteuern, eingehend betrachtet.

Ausführlich werden die Vorbereitungen des Attentats geschildert. Elser hat sich den Bau der Bombe autodidaktisch beigebracht, das erforderliche Material gestohlen und lange experimentiert. Es ist erstaunlich, dass er über längere Zeit unbemerkt im Bürgerbräukeller agieren konnte, ebenso wie die quasi nicht existenten Sicherheitsvorkehrungen bei Hitlers Auftritt am 8. November 1939. Interessant ist außerdem, wie nach Ende des Krieges die Geschehnisse aufgenommen wurden. Überwiegend gar nicht und wenn doch, glaubte man beispielsweise den absurden Unfug, dass Elser ein SS-Mann war. Selbst führende Historiker wie Joachim Fest, Peter Longerich oder Ian Kershaw befassten sich – wenn überhaupt – nur oberflächlich mit Elser. Eine Aufnahme in den „Olymp der Widerstandskämpfer“ erfolgte spät. Der bekannte Film „Einer von uns“ von und mit Klaus Maria Brandauer aus dem Jahr 1989, sorgte für erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit.

Wer sich für den deutschen Widerstand interessiert, dem sei an dieser Stelle auch das epochale Werk von Sabine Friedrich „Wer wir sind“ (2.032 Seiten, dtv 2012) empfohlen. Allerdings: Widerstandskämpfer unterschiedlichster Prägung gab es zahlreiche, Attentäter hingegen nur wenige. Deswegen dürfen Menschen wie Elser nicht in Vergessenheit geraten, denn so Wolfgang Benz:

„Er steht für viele, die es hätte geben können, die sich jedoch nicht trauten, was Georg Elser wagte.“

  • Autor: Wolfgang Benz
  • Titel: Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser
  • Verlag: C. H. Beck
  • Umfang: 224 Seiten mit 29 Abbildungen
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Februar 2023
  • ISBN: 978-3-406-80061-0
  • Produktseite


Wertung: 13/15 dpt


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