Nachdem Brown unter weiblichem Pseudonym einen satirischen Ratgeber auf den Markt brachte, legt er nun unter echtem Namen seinen nunmehr sechsten Thriller vor – den vierten, in welchem der namhafte Symbologe Robert Langdon der Protagonist ist. In “Inferno”, welches entgegen berechtigter Befürchtungen keine Vorbildung in Form von Dante Alighieris “Die Göttliche Komödie” erfordert, wacht er mit einer Narbe am schmerzenden Kopf auf und findet sich am Tropf hängend in einem Krankenhaus wieder. Gerade träumte er noch von einer verschleierten Frau, die an einem blutrot getränkten Flussufer stand, während sich zu ihren Füßen Körper in Schmerzen winden. »Suche, und du wirst finden.« sind die einzigen Worte, die sie von sich gibt.
Langdon versucht sich zu orientieren und wieder zu sich selbst zu finden, denn ihm ist weder klar, wo er sich hier befindet, noch was zuletzt passiert war, und warum er verletzt ist, kann er sich ebenso wenig erklären. Auch der Traum beschäftigt ihn, denn ihm ist nicht klar, auf welche Suche er sich begeben soll – und was es dort zu finden gibt. Bald stellt er fest, dass er sich nicht, wie er glaubte, in seinem Heimatland, den Vereinigten Staaten von Amerika befindet, sondern ein paar tausend Kilometer weit weg, nämlich im italienischen Florenz. Im Krankenhaus versucht eine Agentin, Langdon das Lebenslicht auszulöschen, doch dank einer cleveren Ärztin ist eine Flucht möglich.
In gewohnter Brown-Manier beginnt eine klassische Schnitzeljagd nach einzelnen Informationen, die erst in ihrer Gesamtheit Sinn ergeben. Der Forscher muss nun mitten in Europa bestimmte Orte aufsuchen, die Rätsel und Geheimnisse in sich bergen, die teilweise Jahrhunderte alt sind. Der Haken an der ganzen Sache: Wenn das Problem nicht gelöst wird, wird das fatale Auswirkungen auf das Jetzt und die Zukunft der gesamten Menschheit mit sich bringen. Langdons umfassendes Wissen ist einmal mehr gefragt und dient in Kooperation mit wichtigen Schlüsselpersonen Schritt für Schritt, Rätsel für Rätsel, einer Annäherung an das Ziel. Obendrein muss immer wieder die Frage gestellt werden: Wie gut ist das Böse? Und wie schlecht ist das Gute?
An seinem Erfolgsrezept hat der US-amerikanische Autor kaum etwas geändert: Sinnvoll in 104 knackig-kurze Kapitel unterteilt wird praktisch von Anfang an in hohem Tempo eine sehr gut recherchierte, spannende, sich über achtundvierzig Stunden erstreckende Story erzählt, die sich zudem mit der Zeit etappenweise erklärt, sodass zu keiner Zeit ernsthafte Wissenslücken entstehen. Verschnaufpausen bekommt der Leser auch im fast monoprotagonistischen “Inferno” praktisch überhaupt nicht geboten, zumal es zahlreiche Schauplatzwechsel zu erleben gibt, die für einen interessanten Twist sorgen. Da alles durch die Bank nachvollziehbar und klar ausgedrückt bleibt, sind diese Wechsel niemals verwirrend, sodass man sich als Leser sehr schnell zurechtfindet.
Dank der (bis auf vereinzelte Fachbegriffe und spezielle Ausdrücke) doch recht einfach gehaltenen Sprache lässt sich das Buch innerhalb kurzer Zeit auf unanstrengende Weise lesen – anstrengend ist schlimmstenfalls das Gewicht des doch recht backsteinernen Druckerzeugnisses. Und zwar ist es stets hilfreich, die Vorgängerwerke gelesen zu haben, doch im Gegensatz zu vielen anderen Reihen ist es durchaus kein Problem, “Inferno” unabhängig von den anderen als erstes anzupacken, da die Geschichte selbst in sich geschlossen ist. Lediglich der ein oder andere Querverweis bedarf möglicherweise irgendwann der Aufklärung, doch das Stopfen der kleinen Wissenslöcher, die dadurch bezüglich Langdon entstehen, ist nicht unbedingt notwendig. Andere Wissenslöcher, deren Existenz man sich bislang nicht gewahr war, werden hingegen aufgefüllt, denn wieder einmal liefert Brown seinen Lesern den ein oder anderen enorm interessanten wissenschaftlichen Schnipsel, sodass man fernab der eigentlichen Story eine Menge Wissenswertes mitnimmt – so wird beispielsweise ausführlich erklärt, wie das Wort “Quarantäne” eigentlich zustande kam.
Auch hinsichtlich der Kernkomponenten ist “Inferno” ein klassischer Brown-Thriller: Moral, Mysteriöses, Psychologie und Action gehen Hand in Hand miteinander und bilden ein atmosphärisch dichtes Bollwerk. Was man eventuell bemängeln könnte, wäre die ein oder andere Stelle, die sich praktisch mehrmals wiederholt, doch das hat vor allem psychologische und perspektivische Gründe. Ob und in welchem Maße Dan Brown dieses Buch mit dem Hintergedanken einer Verfilmung geschrieben hat, darüber kann man bestenfalls spekulieren, doch an vielen Ecken und Enden dieser Veröffentlichung fügen sich fast von alleine bewegte Bilder zusammen.
Die Meinungen zu “Inferno” gehen vielerorts auseinander – zahlreiche Blogger und Journalisten sehen Brown mittlerweile als einen Hollywood-Drehbuchschreiber mit Crowdpleasing-Attitüde an, andere sind schlichtweg gefesselt von seinem Schreibstil. Gern wird beispielsweise kritisiert, dass Brown sich in zu vielen Details verliert, doch gerade hinsichtlich der historischen Gebäude baut er seinen Stil doch sehr deutlich erkennbar auf einem typischen Wesenszug Langdons auf, denn jener Symbologe besitzt ein ausgeprägtes Faible für diese imposanten Bauwerke und lässt sich immer wieder zu ausführlichen Erläuterungen derselben hinreißen. Das ist schlichtweg eine Eigenart, die zu diesem Universitätsprofessor gehört und macht einen Teil des besonderen Charmes der Figur aus.
Letztendlich befindet sich der Autor mitten im Mainstream, und er weiß genau, wo seine Qualitäten liegen. Das mag wenig überraschend anmuten, zumal man sich hier und dort schon denken kann, was als nächstes geschehen mag, doch weiterhin bewegt sich Brown auf einem solide hohen Level, soweit es kinokompatible Literatur zulässt. Denn einen Fehler darf man nicht begehen: Brown als Eroberer des schriftstellerischen Olymps zu sehen. Denn seine Intention wird kaum sein, die Literaturkritiker wohlzustimmen, sondern eher die, seine Leser mit guter Unterhaltung bei Laune zu halten.
Diese Rezension entstand in Zusammenarbeit mit Stephanie Papenbrock.
Cover © Lübbe
- Autor: Dan Brown
- Titel: Inferno
- Originaltitel: Inferno
- Übersetzer: Axel Merz, Rainer Schumacher
- Verlag: Lübbe
- Erschienen: 14.05.2013
- Einband: Gebunden mit Schutzumschlag
- Seiten: 688
- ISBN: 978-3-78572-480-4
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 12/15 dpt