Gelungene Außenseiterstory vor Singapur-Kulisse
Der 35-jährige Lehrer Sukhin ist – sehr zum Verdruss seiner traditionsbewussten Familie – noch immer Single. Immer wieder entzieht er sich mehr oder weniger geschickt allen Versuchen seiner Eltern ihn zu verkuppeln. Bei einer vorweihnachtlichen Einkaufstour trifft er zufällig seine Ex-Freundin Jinn wieder. Die Trennung liegt bereits einige Jahre zurück. Jinn hat sich sehr verändert. Sie lebt inzwischen als Obdachlose auf der Straße.
Wer aufgrund dieser Ausgangs-Konstellation nun eine klebrig-süße Mainstream-Romanze befürchtet, kann absolut beruhigt werden. Autorin Yeoh Jo-Ann liefert hier vor der quirligen Multi-Kulti-Kulisse Singapurs eine sensible Außenseitergeschichte, die sich mühelos jenseits aller Klischees bewegt.
Zwar kommen sich Sukhin und Jinn wieder näher, aber sowohl Autorin als auch Protagonisten achten penibel darauf, der Beziehung keinen romantischen oder erotischen Anstrich zu verleihen. Es ist zunächst reine Freundschaft, ein neues Kennenlernen unter anderen Vorzeichen, bei dem gerade Sukhin sein eigenes Leben hinterfragt.
Jinn, das stellt Sukhin fest, hat sich völlig verändert. Anders als man auf den ersten Blick vermuten könnte, ist sie keine klassisch Gestrandete, die ihr Leben nicht mehr in den Griff bekommt. Die Autorin zeichnet sie als selbstbewusste und sehr kontrolliert handelnde Person. Die Entscheidung ihrem vorherigen Leben den Rücken zu kehren geschah sehr bewusst. Sukhin kommt nur sehr langsam dahinter, was Jinn zu ihrem Ausstieg bewegt hat.
Anders Sukhin: Obwohl er nach außen hin ein etabliertes sehr geregeltes Leben führt, beruflich Anerkennung erntet, bewegt er sich am Abgrund. Sein Alltag ist eine Aneinanderreihung von Fluchtmomenten, in denen er meist panisch versucht, den zahlreichen Anforderungen, die Vorgesetzte, Kollegen und seine Familie an ihn stellen, zu entkommen. Er gibt sich kauzig, um seine Menschenscheu zu kaschieren. Versteckt sich in seinem Büro unter dem Schreibtisch, um von Kollegen nicht gesehen zu werden. Er hadert auch mit seinem Lehrerberuf.
Yeoh Jo-Ann porträtiert mit Sukhin und Jinn zwei sensible Menschen, die unter den Erwartungen ihrer Umwelt leiden. Sie stellt die klassischen Erfolgsmuster unserer sich selbst als aufgeklärt bezeichnenden Zeit offen in Frage. Das eigentliche Glück des Individuums liegt, das zeigt sie am Beispiel ihrer Figuren, in der Freiheit auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, sich z.B. gegen Karriere oder Konsum zu entscheiden.
Die Autorin bettet ihre Story in ein lebendiges Bild des modernen Singapur ein, wobei sie durch authentische Milieuszenen die Postkarten-Kulisse nadelstichartig durchdringt. Sie entlarvt die glänzende Fassade einer wohlhabenden Gesellschaft, in der sich Armut und Obdachlosigkeit nur im Verborgenen abspielen.
In Singapur landete das Debüt auf der Shortlist des Singapore Book Awards. Mit der Übertragung ins Deutsche durch Gabriele Haefs stellt der Kröner Verlag den Erfolgsroman nun erstmals einer deutschen Leserschaft zur Verfügung.
Fazit: Eine ebenso humorvoll wie sensibel inszenierte Selbstfindungsgeschichte, die völlig ohne Kitsch und Klischees auskommt, die die Verletzlichkeit ihrer Protagonisten offenbart, ohne deren Würde zu verletzten.
- Autorin: Yeoh Jo-Ann
- Titel: Zweckfreie Kuchenanwendungen
- Originaltitel: Impractical Uses of cake
- Übersetzer: Gabriele Haefs
- Verlag: Alfed Kröner Verlag
- Erschienen: Oktober 2022
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 320 Seiten
- ISBN: 978-3520625014
Wertung: 13/15 dpt
