Fynn Haskin – Der Mondmann (Buch)


Fynn Haskin – Der Mondmann (Buch)

Der Mondmann
© Lübbe

Einfühlsamer wie spannender Grönland-Thriller

Kommissar Jens Lerby aus Kopenhagen hat es nicht leicht, was in erster Linie an ihm selber liegt. Anderen gegenüber ist er oft aggressiv, verfällt gern in Selbstmitleid und ist vor allem antriebslos. Nachdem er beim Abschied des scheidenden Polizeipräsidenten einmal mehr verbal aus der Rolle fällt, will ihn sein Vorgesetzter Birger Sorensen aus der Schusslinie nehmen. Da passt es gut, dass rund dreitausend Kilometer entfernt, im abgelegenen Illokarfiq, einer Siedlung an der südlichen Ostküste Grönlands, drei Menschen brutal ermordet wurden und die einheimische Polizei um Unterstützung gebeten hat.

Sonst ein Hinweis auf Drogen?“
„Nein. Das Zeug, mit dem sich die jungen Leute in Europa wegballern, ist hier im Norden nicht das Problem. Hier hängt man noch ganz altmodisch an der Flasche.

Eisige Kälte und Schnee sind nicht das, wonach sich Lerby sehnt und dass er es mit einem Volk zu tun haben wird, in dem noch immer alte Sagen und Mythen erheblichen Einfluss auf die Menschen ausüben, macht es nicht besser. Zunächst startet Lerby auch in Illokarfiq wie zuvor in Kopenhagen, als selbstgefälliger, arroganter Mistkerl tritt er den neuen Kollegen auf die Füße und verscherzt es sich umgehend mit Magnus, dem örtlichen Schamanen, dessen Bezug zur Anderswelt er mit Hohn begegnet.

Und die Inuit finden, dass das Böse zum Leben gehört wie das Gute. Seit vier Jahrtausenden leben sie hier, das sind eineinhalb Millionen Nächte voller Kälte, Angst und Bitterkeit. Die überlebt man nicht, indem man das Böse bekämpft, sondern indem man es aushält.

Derweil glauben die Einheimischen sehr wohl, dass etwas Außergewöhnliches geschieht, zumal die tödlichen Spuren an den Leichen durch Walrosszähne entstanden sind. Sollte es den sagenumwobenen tupilaq, jenen berüchtigten Dämon tatsächlich geben? Gemeinsam mit der jungen Inuk Pallaya „Pally“ Shaa macht sich Lerby auf die Suche nach einem Serienmörder und findet dabei letztlich auch zu sich selbst zurück.

Kultur und Leben der Inuit werden lebendig dargestellt

Fynn Haskin hat mit „Der Mondmann“ einen äußerst interessanten und lesenswerten Thriller geschrieben, der einerseits in das kriminell eher unauffällige Grönland entführt, welches zwar autonom regiert wird, aber dennoch zu Dänemark gehört, und andererseits beeindruckend in die Welt der Inuit einführt. Rund zweitausend Menschen leben in Illokarfiq, rund fünfundneunzig Prozent sind Inuit. Diese leben überwiegend in der Gegenwart, während vor allem ältere Menschen noch den alten Weg leben, so wie es ihre Vorfahren seit vier Jahrtausenden machen.

Wir Grönländer können hören, woher jemand kommt. Die beiden Männer haben Kitaamiutut gesprochen. Das bedeutet, dass sie aus dem Westen stammten. Die Leute hier an der Ostküste sprechen Tunumiutut, das ist ein völlig anderer Dialekt. Deshalb kennt die beiden hier auch kein Mensch, da können sie so viele Flugblätter verteilen, wie Sie wollen.

Doch die Einwohner von Illokarfiq haben Probleme, auch weil Menschen an fernen Schreibtischen ihnen ungefragt in den 1970er Jahren den Robbenfang verboten und somit ihrer wichtigsten Nahrungsgrundlage beraubten. Und, damit nicht genug, ihnen gleichzeitig ihre traditionelle Lebensweise nahmen. Die Folgen sind die gleichen wie bei den indigenen First Nations in Amerika und Kanada: Hohe Arbeitslosigkeit, noch höherer Alkoholkonsum, häusliche Gewalt und eine enorm große Selbstmordrate. Empathisch führt Fynn Haskin in diese fremde Welt ein und lässt seinen Protagonisten an der Seite von Pally eine Metamorphose vollziehen. Lerby, der unausstehliche Besserwisser, lernt „Land und Leute“ kennen und vor allem hochschätzen und findet so auch zurück zu sich selbst; so wie er einst war und eigentlich immer sein wollte.

Du lässt dich mit Dingen ein, die du nicht verstehst.“
„Ich wurde hierhergeschickt. Ich bin Polizist und habe keine andere Wahl.“
„Doch. Sie können das tun, was Jäger immer tun.“
„Und das wäre?“
„Geduld haben. Abwarten.

Neben informativen Einblicken in die Welt der Inuit wäre natürlich noch der Kriminalfall zu betrachten, der gekonnt mit übersinnlichen Phänomenen spielt, wenngleich Lerby keine Sekunde daran zweifelt, dass es hier um einen Mörder aus Fleisch und Blut geht. Allerdings hat er nur teilweise recht, denn die wahren Ausmaße der Morde, ein vierter lässt nicht lange auf sich warten, vermag auch er nicht zu erkennen. Erst spät, nachdem er sich, Pally und seine Polizeikollegen in tödliche Gefahr gebracht hat, wird ihm der Anlass für das große Ganze klar und soll hier natürlich nicht vorweggenommen werden. Nur so viel: Wer Krimis und Thriller vor allem deshalb liest, um den oder die Täter zu erraten, dürfte enttäuscht werden. Zudem ist das Finale ein billiger Showdown mit vorhersehbarem Ausgang. Dessen ungeachtet ist „Der Mondmann“ eine klare Empfehlung für alle, die sich für fremde Länder und Kulturen interessieren.

  • Autor: Fynn Haskin
  • Titel: Der Mondmann
  • Verlag: Lübbe
  • Umfang: 397 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: November 2022
  • ISBN: 978-3-404-18865-9
  • Produktseite


Wertung: 13/15 dpt


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