Alternativ #6 – Sandwürmer beißen nicht!


Alternativ #6 Sandwürmer beißen nicht!

Vielleicht geht es euch wie mir: Ich wurde voll vom “Dune”-Hype mitgerissen und wollte unbedingt das Buch lesen, nachdem ich diesen beeindruckenden und gewaltigen Film gesehen hab.  Kurz darauf habe ich herausgefunden, dass es nicht nur ein Buch, sondern eine ganze Reihe ist. Noch ein bisschen später habe ich erfahren, dass das Buch richtig heftig zu lesen sein soll und nur noch abgespacter wird, je mehr frau liest.
Davon verunsichert ließ ich die deutsche Ausgabe – die ich von meinem besten Freund geschenkt bekommen habe – Monate lang liegen, bis ich nach der Abgabe meiner Bachelorarbeit endlich genug Freizeit hatte, um mich diesem vermeintlichen Ungetüm zu stellen.
Schnell merkte ich dann, dass das, was mir als Chimäre vorgestellt wurde, doch nur ein zahmer Gecko ist und ich ärgerte mich, dass ich “Dune” nicht schon eher gelesen hatte.
Deswegen möchte ich diese Kolumne dazu nutzen, euch etwas die Angst vor “Dune” zu nehmen, damit ihr nicht wie ich dieses tolle Buch aufschiebt!

Dazu möchte ich erstmal darauf eingehen, wieso “Dune” eigentlich so wichtig ist, die wichtigsten Themen aufzählen und den Schreibstil erklären, der so viele anfangs verwirrt. Das Buch selbst habe ich auf Deutsch gelesen, was meine Leseerfahrung um einiges einfacher gemacht hat.

First things First: Wenn man sich mit “Dune” beschäftigt, muss man berücksichtigen, wie wichtig das Buch und die gesamte Reihe für die Literaturgeschichte ist. 

“Dune” hat nämlich die Science Fiction, wie wir sie heute kennen, maßgeblich geformt: Ideen und Konzepte wurden von bedeutenden Reihen wie Star Wars und Star Trek übernommen. Erst durch “Dune” begannen politische, soziologische und ökologische Themen Einzug in Science Fiction zu nehmen und “Dune” hat Generationen von Regisseuren, Autoren, Kameraleuten und Musikern beeinflusst.
“Dune” ist überall zu finden und ist ein Meilenstein in unserer Geschichte.
Wieso aber hatte “Dune” so einen großen Einfluss? Frank Herbert hat Themen mit Science Fiction verbunden, wie es zuvor kaum passiert ist – Politik, Ökologie, Social Engineering, Genetic Engineering, Soziologie, Kolonialismus, White Saviourism, Glaube, Kultur und Gender in einem Genre verbunden, das zuvor durch abstrakte Alienangriffe, konsequenzlose Raumabenteuer, heldenhafte Space-Kriege und fantastische Erfindungen definiert wurde. Die Figuren waren dabei hauptsächlich (misogyne) Männer, die asexuell und intelektuell der nerdigen Leserschaft escapeism geboten hat. 
Die sozialen Auswirkungen der technischen Errungenschaften – ihre Auswirkungen auf soziale Hierarchien, Sexualität, Geschlecht, das politische System und die Träume und Ziele der einzelnen – wurden kaum thematisiert und wahrscheinlich auch gar nicht erst bedacht.
Herbert aber geht auch auf Terraforming ein, wie sich Menschen körperlich und mental an die veränderte Umwelt angepasst haben und wie die Entwicklungen auch politische Systeme beeinflussten. Dazu hat Herbert sich mit Geographie, Soziologie, Politologie beschäftigt, was Referenzen und die Verwendung von Sprache “Dune” zu einer Reihe gemacht hat, die auch gerne wissenschaftlich analysiert wurde.
Das alles bedeutet nicht, dass “Dune” ein Instant-Hit war! Tatsächlich hangelte sich Frank Herbert von Verlag zu Verlag, ehe “Dune” von einem Verlag veröffentlicht wurde, der zuvor nur Auto-Bücher verlegte.

Die Handlung selbst beginnt damit, dass das Haus Atreides den Wüstenplaneten Dune (offiziell Arrakis) als Lehen durch den Imperator erhält. Dabei handelt es sich aber um ein vergiftetes Geschenk, denn die vorherigen Lehensherren, das Haus Harkonnen, nutzen diese Situation, um die verfeindeten Atreides anzugreifen und das Haus auszulöschen. Doch Paul, der Sohn des Grafen Leto Atreides kann, sich mit seiner schwangeren Mutter bei den einheimischen Fremen flüchten und dort seine Rache planen.
Währenddessen werden politische Intrigen von allen Beteiligten gesponnen, die Wüstenökologie und ihre politischen Auswirkungen thematisiert, ein Jahrtausende altes Züchtungsprogramm ausgeübt und Religionen dafür genutzt, die eigenen politischen Ziele zu erreichen.

Bevor frau “Dune” liest, muss man etwas wissen: Es geht nicht darum, einen Konflikt zu lösen oder ein poetisches Ende mit Happy End zu finden – es geht darum zu zeigen, welche politischen und sozialen (negativen) Auswirkungen ein Helden- oder Messiah-Kult hat.
Ziel ist es nicht Paul auf seiner Reise zu begleiten, ihm beim Wachsen zu verfolgen und Bösewichte fertig zu machen – viel mehr sehen wir, wie Paul versucht einen alles verschlingenden Jihad zu vermeiden, aber dabei von dem Gewicht seines eigenen Namens mitgerissen wird.

Am ehesten kann “Dune” deswegen mit einem Polit-Thriller verglichen werden, bei dem politische Ziele mit planetarer Ökologie, Psychologie, Social Engineering und Status miteinander abgewogen werden.
So gibt es die Bene Gesserit, die seit Jahrtausenden Blutlinien miteinander kreuzte, um einen männlichen Auserwählten heranzüchten, der Frieden bringen soll. Währenddessen verteilen sie Glauben und Prophezeiungen im Universum, um die Völker zu ihrem Nutzen zu konditionieren.
Wir haben den Harkonnen-Baronnen, der einen ganzen Planeten von einem Tyrannen unterjochen lässt, damit sein Lieblingsneffe als Nachfolger besser beim Volk ankommt.
Wir haben das Fremenvolk, das seit Jahrhunderten für die planetaren Ressourcen unterdrückt wird und scheinbar den imperialen Strategien unterworfen ist.
Menschen werden zu Mentaten erzogen, was sie zu de facto humanoiden Computern macht und es gibt die Raumgilde, die kaum noch menschlich wirkt. Vielmehr sind Menschen in “Dune” nicht einzigartig oder inhärent wertvoll, sondern sind an ihre Funktionen und Aufgaben gebunden. Diesem Gefüge zu entkommen, ist dabei nahezu unmöglich.

Der Schreibstil ist etwas, das von den meisten als anstrengend und schwierig beschrieben wurde. Wieso? Herbert verwendet eine auktoriale Erzählperspektive und hat die Handlung so wiedergegeben, als würde es sich hierbei um eine Nacherzählung handeln. Deswegen wird die Handlung auch aus mehreren Perspektiven gleichzeitig erzählt. So können wir in einer Szene erfahren, wie mehrere Personen gleichzeitig ihre Handlungsstrategien umsetzen oder sich an stattfindende Entwicklungen anpassen. Die unterschiedlichen Perspektiven werden aber nicht von Absätzen voneinander getrennt, sondern fließend miteinander verbunden. 
Außerdem erinnert der Aufbau der Szenen eher an ein Theaterstück – Handlungen und Gespräche passieren meistens vor gleich oder ähnlich bleibenden Kulissen und Gespräche wirken zwar spannend und raffiniert, aber meistens wirken sie durch den Inhalt wie Bühnengespräche.
An den Schreibstil kann man sich aber schnell gewöhnen, wenn man versteht, welche Perspektive eingenommen wird – und das sogar ganz schnell. Wichtig ist dabei nur, nicht den Überblick über die beteiligten Figuren zu verlieren – also passt gut beim Lesen auf!

Ein anderer Punkt sind die arabisch klingenden Eigennamen und Begriffe, die auf Dune von den Fremen verwendet werden – gerade ihretwegen empfehle ich “Dune” auf Deutsch zu lesen, da es auf Dauer anstrengend werden kann, die Begriffe vom Englischen zu unterscheiden sowie sich die Begriffe zu merken und zu verstehen, wie sie in die Handlung eingegliedert werden.

Die Figuren in “Dune” sind ebenfalls sehr spannend und vielfältig. Aus heutiger Perspektive wirken viele klischeehaft, was durch das Alter des Buches, aber auch das Ziel, typische Heldengeschichten zu entlarven.
So haben wir Helden, Krieger, Liebhaber, Baronen und Imperatoren, die entsprechend ihres Standes und Ehrhaftigkeit handeln und ihren Rollen dabei nicht entkommen können. Dazu gehört es auch, dass diese Rollen auf Geschlechterstereotypen aufbauen (wobei Gender auch ein wirklich spannendes Thema in “Dune” ist!).

Am wichtigsten ist aber zu verstehen, dass es sich bei “Dune” nicht um eine Heldengeschichte, sondern um eine Warnung handelt. Die ganze Handlung zielt nämlich darauf ab, zu zeigen, was passiert, wenn es einen Helden, einen Herrscher, gibt: Religiöser Fanatismus kann entstehen und der ideologisch motivierter Krieg wird als gerecht angesehen.
Wichtig klingende Themen wie Ökologie, Gender, Kolonialismus sind wirklich spannend umgesetzt, aber es ist nicht schlimm, kein*e Expert*in in diesen Bereichen zu sein, um Spaß an dem Buch zu haben.

Deswegen: “Dune” ist nicht so schlimm, wie alle sagen. Viele Konzepte waren für die Zeit revolutionär und sogar kontrovers und auch heute noch bietet “Dune” eine hervorragende Diskussionsgrundlage (wie unzählige Hausarbeiten und Forschungspaper zeigen). In den Schreibstil findet man sich schnell rein und wichtige Konzepte werden zur Genüge erklärt.
Natürlich ist “Dune” mit der hohen Seitenzahl schon ein Brummerchen, aber die Ausdauer lohnt sich! Ich habe noch nie so einen raffinierten und komplexen Polit-Thiller gelesen, der so unglaublich viele spannenden Ideen miteinander verknüpft – und dabei den roten Faden nicht verliert!

Deswegen: traut euch “Dune” zu lesen (aber am besten auf Deutsch), denn Sandwürmer beißen nicht!


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