René Anour – Die Totenärztin: Wiener Blut (Buch)


René Anour – Die Totenärztin: Wiener Blut

Die Totenärztin: Wiener Blut
© Rowohlt

Auf der Jagd nach dem Diamantstern von Kaiserin Sisi

Wien im Jahr 1908. Fanny Goldmann, fünfundzwanzig Jahre jung, hat einen gänzlich außergewöhnlichen Beruf, denn während für die meisten Frauen spätestens mit der Heirat das Berufsleben wieder endet, arbeitet sie mit großer Leidenschaft als studierte Medizinerin in der Gerichtsmedizin. Für ihren Chef, Professor Albin Kuderna, ist jedoch klar, dass Fanny als Prosekturgehilfin allenfalls Sachen wegräumen, putzen und Berichte ausfüllen soll. Dabei möchte sie liebend gern selber mal eine Leiche sezieren. Als an einem späten Freitagabend ein Obdachloser eingeliefert wird, will sich ihr Kollege Franz, das Wochenende vor Augen, die Sache einfach machen und gar nicht erst versuchen herauszufinden, ob eine Gewalteinwirkung stattgefunden haben kann. Doch Fanny wundert sich, denn trotz eines schäbigen, nach Pferdepisse stinkenden Mantels, wirkt der Tote auffällig sauber und gut genährt.

Erstickt, verblutet. Kannst dir aussuchen, was zuerst passiert ist.“
„Aber vielleicht ist da noch etwas anderes.“
„Warum willst du nur immer irgendwas finden!“
„Warum willst du immer nichts finden? Ich kann’s dir sagen! Weil’s Scherereien bedeutet.

Heimlich schleicht sich Fanny später wieder in das Institut und sieht sich die Leiche näher an. Dabei findet sie heraus, dass die Todesursache Morphin im Wein war und somit ein Tötungsdelikt vorliegt. Aber wie soll sie das der Polizei erklären, ohne dabei ihren Arbeitsplatz zu verlieren? Bei dem Toten findet sie einen Zettel, der auf ein Treffen im Palais Equitable hinweist. Zumindest dies ist sie dem Ermordeten schuldig und begibt sich neugierig zum Treffpunkt, wo sie auf einen Mann stößt, der sich „Blaumeise“ nennt und dort mit dem „Walzerkönig“, einem legendären Dieb, verabredet war. Blaumeise ist auf der Suche nach einem Diamantstern, der der ermordeten Kaiserin Sisi gehörte. Dieser soll sich im Besitz des Grafen Waidring befinden, wo ihn der Walzerkönig entwenden sollte.

Fanny begibt sich mit ihrer besten Freundin Tilde gut verkleidet auf ein Fest beim Grafen, nicht ahnend, dass sie sich und Tilde damit in große Gefahr begibt. Derweil landen in den folgenden Tagen weitere Leichen auf dem Sektionstisch.

Guter Serienauftakt

„Die Totenärztin: Wiener Blut“ ist der Auftakt zu einer lesenswerten Reihe, die die Leserschaft in das Jahr 1908 nach Wien entführt und einen gelungenen Mix aus Medizin- und Kriminalroman bietet. Der dritte Band „Donauinsel“ ist soeben erschienen, Band vier „Schattenwalzer“ ist für März 2023 angekündigt. Hier der Link zur Rezension des zweiten Bandes „Goldene Rache.“

Die Medizin macht Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in Wien große Fortschritte, die von dem studierten Veterinärmediziner René Anour äußerst lebendig beschrieben wird. Die Obduktionen von Franz und Fanny gehören zu den Höhepunkten des Romans. Eine blutige Sache halt. Auch das Attentat von Luigi Lucheni auf Kaiserin Sisi wird recht originalgetreu dargestellt, bei dem übrigens (abweichend von der Realität) der gesuchte Diamantstern gestohlen wird. Auch das Lebensende des Attentäters entstammt der Fantasie des Autors, was aber der Geschichte zugutekommt und künstlerische Freiheit ist ja ohnehin Hauptmerkmal eines Romans. Hierzu gibt es im Anhang einige informative Anmerkungen unter dem Motto „Dichtung und Wahrheit.“

Wir haben einen Kaiser, der von Gottes Gnaden regiert. Dieses Gerede vom Wahlrecht kann nur einem simplen Verstand entspringen, der die Welt nicht begreift!

Neben den Themenschwerpunkten Gerichtsmedizin und Kaiserin Sisi ist natürlich die Mordserie von Interesse, die verschiedene Verdächtige aufweist und daher einen konstant hohen sowie actionreichen Spannungsbogen bietet. Das Privatleben der Protagonistin hätte etwas kürzer ausfallen dürfen – nicht alle werden sich intensiv für den an einem Schlaganfall leidenden Vater interessieren -, geht aber angesichts des Umstandes, dass dieses Buch ja in eine Serie einführen soll, in Ordnung. Die junge Fanny wird sehr fortschrittlich beschrieben, denn wie der Autor selber anmerkt, gibt es keinen belegten Fall, wonach eine Frau in der Gerichtsmedizin 1908 gearbeitet hat. Auch sonst wirkt Fanny ausgesprochen mutig, wenngleich sie mitunter als zögerliche Figur vorgestellt wird. Fanny verkörpert letztlich aber eine moderne Frauenfigur, der ihr Beruf wichtiger als die erwartete Familiengründung ist. Einen Eindruck in die damaligen Moralvorstellungen gibt es somit obendrein, welche, trotz Erstarken der Frauenbewegung, natürlich sehr männergeprägt sind. Interessant ist zudem die Figur der „Blaumeise“, die mindestens ein Geheimnis verbirgt, welches Fanny arg überraschen wird.

Ein gelungener Auftakt mit einer schillernden Metropole im Hintergrund.

  • Autor: René Anour
  • Titel: Die Totenärztin: Wiener Blut
  • Verlag: Rowohlt
  • Umfang: 416 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juni 2021
  • ISBN: 978-3-499-00558-9
  • Produktseite


Wertung: 12/15 dpt


1 Kommentar
  1. Hallo,

    vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Wieder ein sehr spannendes Thema! Super interessante Einleitung, da bin ich gleich verliebt. Danke dir für deine Mühen

    Ich freue mich auf weitere interessante Beitrage von dir!

    Beste Grüße
    Graffitiartist

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