Lee Child – Die Hyänen (Buch)

Lee Child – Die Hyänen (Buch)

“Die Hyänen” (OT.: “Blue Moon”, 2019) ist der vierundzwanzigste Roman der Jack Reacher-Serie und (vermutlich) der letzte, den Lee Child ohne seinen Bruder als Co-Autor verfasst hat. Drei weitere Romane, die der Autor gemeinsam mit Andrew Child verfasst hat, der irgendwann die Reihe solistisch stemmen soll, sind bereits erschienen.

Mit “Die Hyänen” gibt Child und damit sein Held Reacher noch einmal Vollgas. Obwohl er sich ein bisschen Zeit lässt, das nicht sonderlich komplexe Handlungsszenario zu entwerfen und zu analysieren, ehe die Schlacht beginnt, und sich vor der Ein-Mann-Armee Reacher und ein paar freundlichen Helferlein die Leichen stapeln. Und das nicht bloß als Wortspiel.

Vorher strandet der ewige Drifter in einer namenlosen Großstadt und hilft Aaron Shevick, einem alten Mann aus der Patsche, der bei albanischen Geldverleihern massiv in der Kreide steht. Zudem braucht er weitere hohe Summen, um die horrenden Arztkosten seiner krebskranken Tochter zahlen zu können. Das weckt natürlich Reachers Beschützerinstinkt. Wie passend, dass die ukrainische Konkurrenz ins von Albanern dominierte Viertel drängt und man die Verwirrung um die Gebietsverteilung ausnutzen kann.

Der Hüne versammelt ein paar Getreue um sich, inklusive der autarken Kurzzeitliebsten Abby, und beginnt die zwei rivalisierenden Gangsterbanden gegeneinander auszuspielen, bevor er sich aktiv einmischt. Man muss kein Wahrsager sein, um zu wissen, wie die rettet-den-Entrechteten-den-Tag”-Aktionen ausgehen. Reacher reinigt die Stadt vom Verbrechertum. Mit Blut. Der befriedigte Ritt in den Sonnenaufgang ist nur eine Frage der Zeit.

Einmal mehr gibt Jack Reacher den Robin Hood aus Vigilante City. Immer im Dienst der eigens bestimmten Gerechtigkeit unterwegs. Die für sozialen Ausgleich sorgt. Denn Childs Bücher sind nicht nur wonnigliche Allmachtsphantasien, sie erzählen ebenfalls, wenn auch nur am Rande, vom Amerika von unten. Von Vergessenen, Betrogenen, Ausgebeuteten; Menschen, die beim Kampf ums Kapital ausgebootet werden. Ob von Gangstern, oder wie diesmal, einem mitleidlosen Gesundheitssystem, das sich nicht dem Wohlergehen von Patienten, sondern dem Profit verpflichtet hat. Reacher sorgt für Korrektur, nicht nur finanziell. Lee Child setzt dies wieder überbordend, höchst unrealistisch, aber effizient, konsequent und temporeich in Szene.

Angesichts der derzeitigen Zeitläufte ist der Entscheid, die sich bekämpfenden Banden mit Ukrainern und Albanern zu besetzen, während nebulöse russische Hintermänner die wahren Geschicke lenken, etwas unglücklich. Doch sind Nationalitäten nur Chiffren für das menschliche Übel, das eine lebenswerte Gesellschaft unterminiert und zerstört. Was Reacher zu verhindern sucht. Er weiß zwar, dass es Kämpfe gegen Windmühlenflügel sind, die er eines Tages unweigerlich verlieren wird. Doch er weiß ebenso, wie weiland Arya Stark: “Nicht heute!”

Reacher kennt Akira Kurosawas “Yojimbo” und Sergio Leones Variante “Für eine Handvoll Dollar”. So wiegelt er erst einmal die kriminellen Konkurrenten gegeneinander auf, bevor er selbst ins Geschehen eingreift. Überlegen, selten ernsthaft bedroht, selbst wenn Gegnermassen auf ihn einstürmen, walzt er bulldozerhaft durchs Geschehen. Lee Child türmt diesmal Leichenberge auf wie selten. Eine Mischung aus Karikatur und Hommage an die finalen Kämpfe beim James Bond-Franchise, bei denen sich ebenfalls Handlanger en masse in den Kugelhagel stürzen, nur um hilflos niedergemäht zu werden. Immerhin überlässt er gelegentlich seiner Freundin Abby die Wahl, wer leben und sterben darf. “Ja oder nein”, ist die Frage. Abby, die den gleichen moralischen Kompass wie Reacher besitzt, weiß die Antwort immer.

Da schlägt der Humbug schon mal Kapriolen, besonders wenn Reachers Pläne, die nie so vertrackt oder militärisch ausgefeilt sind, wie es der Protagonist gerne darstellt, problemlos aufgehen. Selbst, wenn es Pannen gibt, hat Reacher dies vorausgesehen. Und eigentlich heißt es nur: Rein ins Gewühl und ab durch die Mitte.

Dass das, politisch ziemlich unkorrekt, immer noch (oder wieder einmal) höllisch Laune macht, spricht für die Kunst des Autors, das ewig gleiche Sujet gekonnt zu variieren und aufzubereiten. Befriedigt ein bisschen die Sehnsucht nach einem Kosmos, in dem es Helden gibt, die für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen. Eskapismus wohl wahr, aber einer, der genau weiß aus welcher Welt man virtuell flieht.

Cover © Blanvalet

  • Autor: Lee Child
  • Titel: Die Hyänen
  • Teil/Band der Reihe: 24
  • Originaltitel: Blue Moon
  • Übersetzer: Wulf Bergner
  • Verlag: Blanvalet
  • Erschienen: 07/22
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 416
  • ISBN: 978-3-7645-0804-3
  • Sprache: englisch
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 11/15 dpt



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