Andrea Abreu – So forsch, so furchtlos (Buch)


Andrea Abreu – So forsch, so furchtlos (Buch)

Abschied von der Kindheit

Cover (c) Kiepenheuer & Witsch

Andrea Abreu nimmt uns in ihrem Debütroman mit ins Teneriffa der 90er Jahre. Im Mittelpunkt stehen zwei etwa zehnjährige Mädchen: Isadora und die namenlos bleibende Ich-Erzählerin. Die beiden sind unzertrennlich, beste Freundinnen, wobei die Rollen klar definiert sind: Isadora ist die Anführerin, die Bewunderte. Diejenige, die der Freundin immer einen Schritt voraus ist. Diejenige, die forsch und furchtlos den Rhythmus ihrer beider Leben bestimmt.

Ihr Alltag im Norden der Insel, unter dem sogenannten „Panza de burro“ (dt. Eselsbauch) wie der dauergraue Himmel von den Einheimischen genannt wird und dem der Roman seinen spanischen Originaltitel verdankt, ist alles andere als spektakulär. Es sind Ferien und die meiste Zeit über langweilen sich die Mädchen. Das wahre Leben scheint woanders zu passieren. Das Freizeitangebot ist karg, alles atmet eine gewisse Perspektive- und Trostlosigkeit.

„Und wie wir so fraßen, überkam mich eine Traurigkeit wie ein Donnerschlag, ein Schmerz in der Magengrube, mein Mund war trocken, wie wenn ich Milchpulver mit Gofio und Zucker gegessen hatte. Den Sommer über würden wir nicht mehr aus unserem Viertel rauskommen, der Strand war weit weg. Wir waren nicht wie die anderen Mädchen, die im Zentrum der Ortschaft lebten, wir wohnten ganz oben im Nirgendwo.“
Seite 9

Andrea Abreu zeichnet ein schonungsloses Bild vom Herauswachsen aus der Kindheit. Ohne spürbare erwachsene Fürsorge probieren sich die Mädchen aus. Irritierend direkt beschreibt Abreu, wie die beiden ihre Sexualität entdecken. Orientierung suchen die Kinder dabei in den stereotypen Geschlechterklischees der allgegenwärtigen Telenovelas, die das tradierte Weltbild der Eltern und Großeltern spiegeln. Ihre Unsicherheit kaschieren sie durch Kraftausdrücke. Die eigene Verletzlichkeit wird durch Grobheit getarnt.

Der Roman ist in jeder Hinsicht mitreißend geschrieben. Jeder Satz, den der Roman atmet, scheint der jugendlichen Erzählerin direkt aus dem Mund gewachsen zu sein. Diese ist ordinär. Fäkalausdrücke gehören zum guten Ton und auch die Einblicke, die sie gewährt, sind unverblümt direkt.

Es ist die Geschichte von der Entdeckung der Liebe und all ihren Auswirkungen. Abreu lässt ihre kindlichen Protagonistinnen Glück und gegenseitigen Halt erfahren, aber auch Abhängigkeit und Eifersucht spüren sowie den bodenlosen Schmerz, den der Verlust von Liebe verursacht.

Die tiefe Emotionalität ihrer Come-of-Age-Erzählung bettet die Autorin in die Darstellung der im Umbruch befindlichen Gesellschaft Teneriffas. Eine vom Tourismus dominierte Welt, die den Großteil der Erwerbstätigen in Dienstleistungsberufe drängt und das wirtschaftliche Gefälle zwischen konsumorientierter und traditioneller Lebensform sichtbar macht.

Abreus Roman endet mit einem Paukenschlag, der die kurze Erzählung auf den letzten Seiten in eine Tragödie verwandelt und den latent wütenden Ton der Ich-Erzählerin im Rückblick noch verständlicher erscheinen lässt.

Es ist unmöglich, diesen Roman zu lesen ohne von ihm bewegt zu werden, egal ob man ihn mag oder nicht.

  • Autor: Andrea Abreu
  • Titel: So forsch, so furchtlos
  • Originaltitel: Panza de burro
  • Übersetzer: Christiane Quant
  • Verlag: Verlagsname Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Juli 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 192 Seiten
  • ISBN:  978-3462001754


Wertung: 13/15 dpt


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