Joey Comeau – Malagash
Einfühlsames Protokoll eines Abschieds
Teenager zu sein ist keine leichte Aufgabe. Wenn das Erwachsenwerden dann auch noch durch den Tod eines geliebten Menschen belastet wird, kann dieser Entwicklungsschritt durchaus traumatisch sein.
Der kanadische Autor Joey Comeau hat sich dieses sensiblen Themas angenommen und mit „Malagash“ einen Jugendroman geschrieben, der – weit entfernt von den genreüblichen „Sick Lit -Romanen“, bei denen der Tod wie ein emotionaler Geschmacksverstärker wirkt – sowohl dem Sterben als auch der Trauer einen würdevollen Raum bietet.
Comeau erzählt uns die Geschichte aus der Perspektive von Sunday, einer Teenagerin, die gemeinsam mit Mutter und kleinem Bruder den sterbenden Vater während seiner letzten Lebenstage im Hospiz begleitet.
Natürlich will Sunday nicht, dass der Vater stirbt. Verzweifelt weigert sie sich die Realität anzuerkennen. Wie besessen versucht sie, ein Computerprogramm zu entwickeln, mit dem sie die Persönlichkeit des Vaters archivieren kann. Panisch zeichnet sie dafür jedes Gespräch mit ihm auf, um keinen einzigen Satz zu verpassen. Alles will sie transkribieren und in das Computerprogramm überführen.
Die Dramaturgie des gut 130 Seiten zählenden Romans ist bewusst einfach gehalten. Die Besetzungsliste ist klein. Es gibt keinen Spannungsbogen, keine falsche Hoffnung, keine raumgreifenden emotionalen Nebenschauplätze. Comeau konzentriert seinen Plot aufs absolut Wesentliche. Er zeigt die völlig natürlich auftretenden Aspekte, die ein solcher Sterbefall in einer Familie auslöst: Die Weigerung das Unvermeidliche anzunehmen, die Bedeutung letzter Gesten, den Wert der Versöhnung, die Wut dem Sterbenden gegenüber nicht ausreichend gekämpft zu haben etc.
Einfühlsam zeichnet Comeau nach welche Erfahrungen den Abschiedsprozess begleiten und wie diese sich auf die Beziehungen innerhalb der Familie auswirken. Sunday und ihr jüngerer Bruder reifen an ihrem Verlust. Sie rücken näher zusammen und erfahren, wie wertvoll es ist, sich in seiner Trauer gegenseitig zu stützen.
Sundays Blick auf den Vater verändert sich ebenfalls. Sie beginnt ihn auch außerhalb seiner Vater-Rolle wahrzunehmen. Sie entdeckt in ihm den Ehemann, Bruder und Sohn. Die Erkenntnis nicht als einzige einen Anspruch auf ihn und seine Liebe zu haben, überrascht sie anfangs, erzeugt sogar ein wenig Eifersucht.
Auch stilistisch verzichtet Comeau auf große Effekte. Die Sätze, die er seinen Protagonisten in den Mund legt, sind ruhig. Seine Prosa ist von einer zarten Poesie durchdrungen.
Comeau fischt nicht nach vermeintlichen großen Wahrheiten, nach einem höheren Sinn oder dem perfekten Trost. Vielmehr spürt er dem Leben selbst nach und protokolliert den Schmerz, den die Endgültigkeit des Todes allen Beteiligten abverlangt. Dadurch verleiht er seinem Text eine tiefe Authentizität.
Comeaus Roman, bereits 2017 in Kanada erschienen, wurde von Tobias Reußwig aus dem kanadischen Englisch übersetzt und erschien 2021 im Luftschacht Verlag.
Aktuell ist der Roman für den Deutschen Jugendbuchpreis 2022 nominiert.
- Autor: Joey Comeau
- Titel: Malagash
- Originaltitel: Malagash
- Übersetzer: Tobias Reußwig
- Verlag: Luftschacht Verlag
- Erschienen: Mai 2021
- Einband: Art des Einbands
- Seiten: 126 Seiten
- ISBN: 978-3903081512
Wertung: 13/15 dpt