Troll à Zoll
»Herr Ellrond, an Ihrer Stelle wäre ich etwas vorsichtiger mit Ihren Aussagen!«
»Ellrik! Mein Name ist Ellrik!«
»Trotzdem, Sie haben Zucker geschmuggelt.« Die schmalen Finger des Herrn am Schreibtisch tappelten über die gläserne Platte. Seine Lippen schürzten sich; dann presste er den Button. Augenblicklich triumphierte zwischen ihnen das Hologramm der geschmuggelten Ware – vier Päckchen Zucker, aufgetürmt zu einem Berg.
»Pah!« Der Andere verschränkte die Arme und lehnte sich nach hinten – fast fiel er, denn bis auf das karge Sitzpolster bot der physiologisch angepasste Hocker keinerlei weitere Annehmlichkeit. Die rasche Abfolge der Bewegungen ließ ihn zur Besinnung kommen. »Hören Sie«, Ellriks speckige Hand schwebte vor, »wir können doch über alles reden.« Er beugte sich nach vorn und zog die Augenbrauen zusammen. »Oder nicht?« In der Brusttasche seines biologisch abbaubaren Einweg-Overalls knisterte es.
Der hagere Beamte horchte auf. Sein Blick führte zum Namensschild, welches, schräg aufgestellt, in Sichtweite des Ertappten die Platte schmückte. Darauf stand: »Ullrich Hagedorn, Zollfahndung«.
»Herr Ellbik …«
»Ellrik.« Dieses Mal korrigierte er mit einem Lächeln. »Nicht der Rede wert.« Er winkte ab.
»Äh, ja, ja, Ellbik.« Der Fahnder wirkte verstört – und dann gefasster: »Haben Sie da etwa … Also tragen Sie da etwa noch mehr Süßwaren bei sich?!« Erstaunt ob der Unverfrorenheit weitete sich sein Blick. Mit einem Kopfschütteln wies Hagedorn die Gedanken an den zuckrigen Import fort: Viel zu lange schon hatte er ihm abgesprochen. »Herr Troll …«
Ellrik schaute auf, abwartend.
»Äh«, wieder Kopfschütteln, »Herr Ellround, meine ich.« Der Zollfahnder wischte sich mit einem Tuch über die glänzende Stirn. »Also, Sie unterwandern das System. Wir haben seit 2040 striktes Einfuhrverbot von Süßwaren etc., Zuckerstoffen aller Art, nach Paragraph 341 des Zoll …«
Ein Lachen war zu hören. Herr Ellrik rieb über seinen Anzug: Es raschelte. Hagedorns Augen blitzten auf; sie folgten den Bewegungen der weißen, fleischigen Hände auf knisterndem Grau. Die Stimme des Fahnders bot kaum noch Widerstand:
»Herr Ellround.« Er schluckte – Speichel hatte sich in seinem Mund gesammelt. »Ich … Sie … wissen das. Sie …« Die Augen folgten, noch immer. »… kennen die Risiken: die aggressiven Tendenzen, die krankmachende Wirkung von … von dieser weißen Substanz …« Weitere Einwände verklangen im Raum.
Den prallen Bauch zwischen den Oberschenkeln eingeklemmt, beugte sich der Schmuggler nach unten auf den Boden. »Ich glaube, ich habe da etwas verloren …« Seine Augen schienen zu suchen. – Oberflächlich glitten sie über den Teppich; dann fokussierten sie die dürre Gestalt, welche nur noch mit Mühe das Gesetz repräsentierte.
Ein letztes Aufbäumen: »Herr Ellbound, ich …«
Zeitgleich schwenkten die Blicke beider zur Überwachungskamera: Es klopfte.
…
Über die Relativität von Verbotenem und aus Huldigung an alle Texte, Filme etc., die einen zunächst mit Unverständnis zurücklassen, aber dennoch unsere Welt ein wenig bunter und gedankenvoller machen.
Über Juliane Vogler
- studierte Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
- arbeitet als Wissenschaftsjournalistin, Autorin und Texterin
- veröffentlichte mehrere wissenschaftliche Artikel/Fachbuchkapitel und zwei Romane »Adams Wahrheit« (engl. »The real Truth about Adam’s Life – A Storytelling«) und »Acht Sommer und eine Distel« (Ebooks)
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