Raymond Chandler – Die Lady im See (Buch)


Die Lady im See
© Diogenes

Raymond Chandler – Die Lady im See (Buch)

Großartiger Klassiker in frischer Übersetzung

Derace Kingsley, Chef des Kosmetikkonzerns Gillerlain Company, beauftragt Privatdetektiv Philip Marlowe seine verschwundene Frau zu finden. Vor einem Monat erreichte Kingsley ein Telegramm aus El Paso, demnach Crystal beabsichtige Chris Lavery zu heiraten. Von Kingsley angesprochen teilt der windige Frauenheld Lavery mit, dass er Crystal seit längerer Zeit nicht mehr gesehen habe. Da die Ehe der Kingsleys längst in die Brüche gegangen ist, sind seit Crystals Verschwinden bereits vier Wochen vergangen. Kingsley kann jedoch keine Skandale gebrauchen, daher will er Klarheit. Zuletzt gesehen wurde Crystal in ihrem Ferienhaus am Little Fawn Lake, wo Marlowe mit seiner Suche beginnt. Dort trifft er auf Bill Chess, der sich als Kriegsversehrter um das Anwesen kümmert und dessen Frau Muriel etwa zeitgleich mit Crystal verschwand. Bei einem gemeinsamen Rundgang entdeckt Bill im See eine Frauenleiche, die sich – den Umständen entsprechend – vermutlich seit einem Monat dort befindet und entsprechend entstellt ist. Doch Bill erkennt Muriel und da diese einen Abschiedsbrief hinterließ, ist ein Selbstmord nicht auszuschließen. Die Polizei sieht dies anders und verhaftet Bill.

Sie bekommen jetzt jede Menge Publicity.“
„Ach wirklich?“
„Falls der Little Fawn Lake in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt jedenfalls.“
„Der See von Kingsley. Klar. Gibt es da oben ein Problem?“
„Eine tote Lady im See.

Marlowe, weiterhin auf der Suche nach Crystal, gerät in einen immer undurchsichtiger werdenden Fall, bei dem weitere Tote nicht lange auf sich warten lassen.

Undurchsichtige Frauen spielen zentrale Rollen

„The Lady in the Lake“ (1943) ist ein Klassiker der Kriminalliteratur und dies nicht nur, weil der Autor Raymond Chandler (1888-1959) heißt, einer der wichtigsten Vertreter des Genres insgesamt und neben Dashiell Hammett einer der Gründer der amerikanischen Hard-Boiled Novels. Der vierte von insgesamt sieben Philip-Marlowe-Romanen wurde auf Deutsch schon etliche Male und mit stetig wechselnden Buchcovern veröffentlicht, allerdings bisher unter anderen Titeln: „Einer weiß mehr“ (1949) und erstmals in vollständiger Übersetzung „Die Tote im See“ (1976). Allein der aktuelle Buchtitel verrät schon, dass die vorliegende Neuübersetzung von Robin Detje überfällig war.

Sie hatten kein Recht, das Haus zu durchsuchen.“
„Natürlich nicht. Aber die Gelegenheit konnte ich mir kaum entgehen lassen.

Neben den sieben Romanen schrieb Chandler auch zahlreiche Kurzerzählungen, darunter „Bay City Blues“ (1938), „The Lady in the Lake“ (19939) und „No Crime in the Mountains“ (1941), aus denen er sich reichlich für seinen Roman bediente. Das besondere Merkmal an dem Roman „Die Lady im See“ ist, dass nicht alle Figuren die sind als die sie sich ausgeben. Insbesondere mehrere Frauenfiguren werfen Fragen auf und kommen in ihrer Darstellung schlechter weg als gewohnt. Auch einige der männlichen Akteure und deren genaue Rolle sind zwiespältig, was schnell in ein undurchsichtiges Knäuel führt. In seinem informativen Nachwort stellt Rainer Moritz folgerichtig fest: „… vor dem Who-did-it? muss das Who-is-who? beantwortet werden.“ Selbst für Chandler ist der vorliegende Fall auffallend komplex und verwirrend. Dies zeigt sich nicht zuletzt an den ständig wechselnden Orten, die den Protagonisten aus Los Angeles unter anderem (übrigens nicht zum ersten Mal) nach Bay City treibt.

Diese Szene hat mir noch nie gefallen. Detektiv stellt Mörderin zur Rede. Mörderin zieht Waffe, zielt damit auf Detektiv. Mörderin erzählt Detektiv die ganze jämmerliche Story, weil sie ihn nachher sowieso erschießt. Und verschwendet so wertvolle Zeit, selbst wenn Mörderin Detektiv am Ende erschießen würde. Nur dass Mörderin es nie tut. Irgendetwas kommt immer dazwischen. Denn auch den Göttern gefällt diese Szene nicht. Sie verderben sie jedes Mal.“
„Aber diesmal könnten wir es anders machen. Ich erzähle Ihnen überhaupt nichts, nichts kommt dazwischen, und ich erschieße Sie, zum Beispiel.“
„Dann würde mir die Szene immer noch nicht gefallen.

Ansonsten gibt es die gewohnten Ingredienzien: Unzählige Zigaretten, reichlich Alkohol, mehrere Leichen, Schlägereien und natürlich schnoddrige Sprüche in Fülle. Die Dialoge sind ebenso pointiert wie bissig und somit hoch unterhaltsam. Für Spannung sorgen verschiedene Erzählstränge sprich Mordfälle, die zeitlich auseinanderliegen und deren Zusammenhänge erst nach und nach klar werden, wobei Marlowe diese natürlich früher erahnt als jeder mitwirkende Polizist. Diese sind in ihren Mitteln nicht immer wählerisch und auf Privatermittler nur selten gut zu sprechen.

Welcher der bekannten Romane Chandlers der Beste ist, kann nur individuell beantwortet werden; „Der große Schlaf“ dürfte indessen der Bekannteste sein, was zumindest anteilig der Verfilmung mit Humphrey Bogart geschuldet sein mag. In „Lady in the Lake“ (1947) spielte Robert Montgomery den weltbekannten Schnüffler. Wer die Philip-Marlowe-Romane noch nicht kennen sollte oder diese wiederentdecken mag, dem bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit.

  • Autor: Raymond Chandler
  • Titel: Die Lady im See
  • Originaltitel: The Lady in the Lake. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje
  • Verlag: Diogenes
  • Umfang: 336 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Oktober 2021
  • ISBN: 978-3-257-07171-9
  • Produktseite  


Wertung: 13/15 dpt


5 Kommentare
  1. Hallo Sören, Marlowe wurde und wird unter anderem als “„altmodischer Ritter in einer dekadenten Industriegesellschaft“ (Stephan Maus, Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2006) bezeichnet. Verweise auf King Arthur und seine Rittter der Tafelrunde sind durchaus vorhanden, so wird kolportiert, dass Marlowe ursprünglich “Mallory” heißen sollte, als Anspielung auf Thomas Malory, den Verfasser von “Le Morte d’Arthur”. Auch Marlowes Verhaltenskodices beruhen geradezu auf ritterlicher Tradition und “The Big Sleep” beginnt mit einem Glasfenster, in dem ein Ritter abgebildet ist. Direkte Bezüge zur Artussage gibt es meines Erachtens in “The Lady Of the Lake” und anderen Werken Chandlers nicht, ein ideelles Verwurzelttsein im Rittertum hingegen schon.

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