Nikoletta Kiss – Das Licht vergangener Tage (Buch)

Lovestory vor historischer Kulisse

Coverbild "Das Licht vergangener Tage" (c) Heyne Verlag
Coverbild “Das Licht vergangener Tage” (c) Heyne Verlag

In ihrem Romandebüt „Das Licht vergangener Tage“ verknüpft Nikoletta Kiss zwei Zeitebenen. Die 2017 angesiedelte Rahmenhandlung ist an die Galeristin Anna geknüpft, die beauftragt wird als Nachlassverwalterin eine wertvolle Gemäldesammlung in Budapest zu betreuen. Sehr schnell wird ihr klar, dass dieser Job ihre persönliche Familiengeschichte berührt, denn eines der Gemälde zeigt das Porträt ihrer Großmutter, die 1956 aus Ungarn flüchtete.

Kiss verwebt die historischen Ereignisse ausgehend von 1949 bis zum Ungarn Aufstand von 1956 unmittelbar mit der Liebesgeschichte zwischen dem Maler István und der Schauspielerin Rebeka. Dabei ist ihr Roman ist ein echter Pageturner, der das Ende fast bis zur letzten Seite offen hält. Doch trotz der klassischen Lovestory-Konstellation verliert sich Kiss nie in Klischees. Der Roman lebt und atmet vor allem durch seine beiden starken Hauptcharaktere.

István und Rebeka sind beide Vollblut-Künstler, die im Wirrwarr der politischen Ereignisse um ihren Weg zur künstlerischen bzw. privaten Selbstbestimmung ringen. Kiss zeigt uns die innere Zerrissenheit zweier Menschen, die stellvertretend für die Nachkriegsgeneration in Ungarn stehen.

Es ist ein geschickter feministischer Schachzug der Autorin, dass sie dabei die klassischen Geschlechterklischees etwas durcheinanderbringt, indem sie ausgerechnet ihre männliche Figur István die Flucht ins Private (Familie, Kinder, Haus) favorisieren lässt, während die weibliche Figur Rebeka unbeirrt nach außen (Karriere) strebt.

Dient die Historie anfangs noch als Kulisse, vor deren Hintergrund sich die persönliche Entwicklung der Hauptfiguren entfaltet, so wird sie spätestens ab Mitte des Romans zum beherrschenden Handlungstreiber. Die von den Sowjets etablierte Diktatur führt zu Gewaltherrschaft, Enteignungen und Zwangsumsiedlungen und beraubt die Menschen ihrer persönlichen Freiheit. Seinen dramatischen Höhepunkt findet Kiss‘ Roman in der blutigen Niederschlagung des Aufstands von 1956.

Auch ihrer Rahmenhandlung schenkt die Autorin große Sorgfalt und authentische Figuren. Durch Anna, Rebekas Enkeltochter, bringt sie mit der Thematik „Mutterschaft contra Karriere“ ein durchaus zeitgemäßes Thema ein, lässt dieses jedoch nicht zu dominant werden, um die Balance zu Gunsten ihrer historisch verankerten Haupthandlung nicht zu gefährden.

Kiss‘ Roman ist eine gelungene Zeitreise in die jüngere Vergangenheit Ungarns, unterhaltsam geschrieben und glaubwürdig inszeniert. Obwohl die Autorin historisch korrekt berichtet, liegt ihr weitaus mehr an der Darstellung der Schicksale ihrer Protagonisten als an einer umfangreichen Zusammenfassung geschichtlicher Fakten und Zusammenhänge.
Ohne Frage ist dieser Roman, alleine durch die Konstellation seiner beiden Hauptakteure, ein Liebesroman, aber keiner, der einen verklärten idealisierten Begriff von Liebe liefert. Liebe, das zeigt Kiss sehr anschaulich, steht immer im Spannungsfeld von Wunsch und Realität. Am Ende misst sich die Liebe am Grad der Freiheit und Selbstbestimmung, die sie dem anderen gewährt.

  • Autor: Nikoletta Kiss
  • Titel: Das Licht vergangener Tage
  • Verlag: Heyne Verlag
  • Erschienen: Oktober 2019
  • Einband: Broschiert, Taschenbuch
  • Seiten: 448
  • ISBN:  978-3453423213


Wertung: 13/15 dpt

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