Benedict Wells – Hard Land (Buch)


Benedict Wells – Hard Land (Buch)

Benedict Wells - Hard Land (Cover © Diogenes-Verlag)
Benedict Wells – Hard Land
(Cover © Diogenes-Verlag)

Druckfrisch: Der neue Roman Hard Land von Benedict Wells ist da! Drei Jahre nach seinem letzten Buch sorgt der 1984 geborene Schriftsteller wieder für Lesestoff. Bei seinem Debüt Becks letzter Sommer war er der jüngste Diogenes-Autor, inzwischen hat er das Image des Nachwuchsautors längst abgelegt – auch wenn Jugend-Themen und Alltagssprache fester Bestandteil seines Schreibens bleiben. In Hard Land kämpft sich die Hauptfigur durch eine Entwicklungsphase, die allen Leserinnen und Lesern bekannt ist: das Erwachsenwerden.

Zur Story – klassische Coming of Age-Geschichte oder mehr?

Sam steht kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag und wohnt in der amerikanischen Kleinstadt Grady in Missouri, ein „verschlafenes Zwanzigtausend-Einwohner-Kaff“ in der Nähe des Missouri River, umgeben von Wald und einem See namens Lake Virgin. Eine Idylle zum Weglaufen – zumindest in Sams Gedanken am 4. Juni 1985, der Tag an dem der Sommer beginnt, in dem er gezwungen wird, erwachsen zu werden. Vorrangig ist Hard Land eine klassische Coming of Age-Story, bekannt aus amerikanischen Serien, Filmen und Büchern: Die Hauptfigur fühlt sich als Außenseiter ohne Freunde, verloren in ihrem langweiligen Heimatort und unverstanden von ihren Eltern. Die große Schwester hat der Familie bereits den Rücken gekehrt, führt ein erfolgreiches Leben und Sam fühlt sich von ihr im Stich gelassen. Er kämpft mit pubertärem Gefühlschaos und der großen Planlosigkeit, wenn er an seine Zukunft denkt. Die erste große Liebe und ein Todesfall bestimmen den Sommer, in dem sich für Sam auf einmal alles ändert.
Sprachlich bietet der Roman auf den ersten Blick keine großen Besonderheiten: Er lässt sich sich an einem Wochenende auf der Couch durchlesen und ist in Alltagssprache gehalten. Gewöhnungsbedürftig sind dabei die Satzanfänge mit weil: „Weil, danach passierte natürlich wieder gar nichts.“

Wem das zu simpel erscheint, dem sei gesagt: Trotzdem lesen. Denn Wells schafft es, seiner Story einen speziellen Zauber zu geben. Einerseits durch die starke Zeichnung seiner Figuren, deren Eigenheiten und Marotten sie zu etwas Besonderem machen und ihnen das Schablonenhafte nehmen. Andererseits arbeitet er geschickt mit Andeutungen, die der Handlung vorgreifen und so Spannung erzeugen – im richtigen Maß. Und wer schon mal ein Buch von Benedict Wells in der Hand hatte, der weiß: Er kann erzählen. Und das ist der Hauptgrund, weshalb sich auch die Lektüre dieses Buchs lohnt. Die originellen Ideen, die witzigen Episoden zwischendurch, die Dichte der Ereignisse eines Sommers, die manchmal nebenbei abgehandelt und manchmal bis ins kleinste Detail beschrieben werden. Auf Passagen, in denen mit wenig Text viel erzählt wird, folgt ein Pausieren des Erzählens, ein Ruhen auf einer winzigen Beobachtung, bevor die Handlung wieder Fahrt aufnimmt: Das ist sie, diese ganz eigene Wells-Dynamik, dank derer man das Buch nicht aus der Hand legen kann und die es schafft, dass man bei der Lektüre laut auflacht und zehn Seiten weiter feuchte Augen bekommt. Wie ein Teenager im Gefühlschaos eben.

Dramaturgisch ist der Roman gut gelungen, Handlungsstränge spitzen sich zu, bis es schließlich zum Unvermeidbaren kommt: dem großen Abschied zum Ende des Sommers. Das Nachgeplänkel zieht sich allerdings zu sehr in die Länge. Die folgenden rund 70 Seiten lesen sich eher wie eine Fortsetzung, bei der es an Spannung fehlt. Wendungen und Auflösungen gibt es zwar noch, aber beim Lesen entsteht der Eindruck, dass bestimmte Dinge erklärt werden, was schade ist. Auch wenn Wells davon kein Fan zu sein scheint: Ein bisschen Ungeklärtes beflügelt die Phanatasie und kann durchaus sein Gutes haben …

Zum Titel – das erinnert doch an …?

Hard Land heißt der Gedichtzyklus des einheimischen, fiktiven Autors William J. Morris, mit dessen Interpretation die Schülerinnen und Schüler aus Grady gequält werden.

Hard Land: die ‘Geschichte des Jungen, der den See überquerte und als Mann wiederkam’, wie alle sagten. Ein Zyklus von über neunzig zusammenhängenden Gedichten, unterteilt in fünf Akte.Sam in 'Hard Land'

An der Aufgabe, die versteckte Pointe des Wälzers zu entschlüsseln, scheitern fast alle der jährlichen Abschlussklassen. Hin und wieder werden im Roman einzelne Passagen daraus zitiert und es existieren poetisch geknüpfte Parallelen zur Handlung. Die treue Diogenes-Leserschaft wird beim Titel allerdings an etwas anderes denken: Heartland, den 2008 erschienenen Roman von Joey Goebel. Tatsächlich bestätigt Wells, der Goebels Bücher in Interviews lobt, diesen Bezug in seinen „Special Thanks“ am Ende des Buches:

Als der Roman schon fast fertig war, reiste ich für mehrere Monate nach Amerika und besuchte diverse Kleinstädte. In einer traf ich Joey Goebel, dem ich – aufgrund eines Missverständnisses – letztlich den Titel dieses Buches verdanke.Benedict Wells

Fünf Highlights herausgepickt

1. Der erste Satz
Der erste Satz des Buches hat es in sich:
„In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“
Weiterlesen wird zur Pflicht. Umso schöner ist es, dass erste Sätze auch in der Handlung selbst thematisiert werden: Sams Auserwählte Kirstie sammelt sie heimlich im Buchladen von Sams Mutter.

2. Kleinstadtkino
Sam hat einen Sommerjob im Kino und sieht dort unter anderem die Premiere von „Zurück in die Zukunft“. Das nostalgische Setting passt gut zur Freundschaft, die Sam dort findet: Das Kino steht kurz vor der Schließung und die verschworene Gruppe, die sich dort täglich trifft, wird sich am Ende des Sommers trennen müssen. Anspielungen auf Filme wie „Stand by me“ und „The Breakfast Club“ sind von Wells durchaus beabsichtigt und als Hommage zu verstehen, wie er auf der Website zum Buch verlauten lässt. Dort zu finden sind auch Tourdaten zur geplanten Hard Land Club-Tour, ein Trailer zum Buch und mehr.

3. Erste Liebe
Die erste Liebe, der erste Kuss: Selten wurden Sehnsucht und die Angst verletzt zu werden in so schöne Worte gekleidet, wie Wells das in Hard Land schafft. Hollywood-Klischees umgeht er dabei durch die Kombination von berührenden Details im Wechsel mit Humor:

Wenn die First Base Küssen war und der Home Run Sex, dann saß ich noch in der Umkleidekabine und band meine Schuhe.Sam in 'Hard Land'

4. „Euphancholie“
Ist eine Wortschöpfung von Sams Freundin Kirstie, die ein Nebeneinander von Euphorie und Melancholie benennt. Das Glücksgefühl eines Moments und die gleichzeitige Trauer darüber, dass es nicht immer so bleiben kann. Wunderbar nachvollziehbar.

5. Abspann und Soundtrack
Letzter Satz und Schluss, damit gibt sich Hard Land nicht zufrieden. Vielmehr folgen „Abspann & Credits“ – stilecht wie im Kino. Und den Soundtrack zum Buch gibt’s auf Spotify.

Wertung: 13/15 dpt


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